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Die neun Symphonien von Vaughan Williams
Klassik Wie immer wird das nicht von heute auf morgen gehen. Es wird Zeit verstreichen, bis wir unsere Benommenheit abgeschüttelt haben. Man lässt sich auch nicht gern nötigen, ein vertrautes Buch aufzuklappen und das Schlusskapitel zu revidieren. Doch wenn die mächtige Renaissance abgeschlossen sein wird, die uns derzeit ereilt, dann wird der letzte große Symphoniker der klassisch-romantischen Epoche nicht Gustav Mahler, sondern Ralph Vaughan Williams heißen. Das ist so sicher wie der englische Nebel, aus dem die neun Symphonien des verkannten Genies seit geraumer Zeit wiederauftauchen.
Wir können uns anschließend nicht mehr damit herausreden, es habe sich bei Vaughan Williams (1872 bis 1958) um einen braven Eklektiker gehandelt, dessen Musik allenfalls auf die Tonspur opulenter Filmsequenzen dränge. Gewiss war dieser Charakterkopf kein Kind von Traurigkeit. Doch seine neun Symphonien tragen alles in sich, was weitausgreifende Musik braucht – vor allem sind sie ihrem Kern nach spätromantisch, nicht mit Schostakowitsch zu vergleichen.
Schon sein erstes Opus, die „Sea
Symphony“auf Gedichte von Walt Whitman, war ein Meilenstein, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts parallel zu Mahlers Achter komponiert – eine riesige Choralkantate auf den Ozean, wie ihn nur Engländer schreiben konnten. Jetzt hat das Label Chandos pünktlich zum 150. Todestag des Komponisten eine feine Gesamtaufnahme aller symphonischen
Werke Vaughan Williams‘ mit grandiosen Solisten und Chören, dem London Symphony Orchestra und dem Bergen Philharmnic Orchestra unter Richard Hickox und Andrew Davis neu aufgelegt. Sie ist (sechs CDs für 40 Euro) umso mehr zu empfehlen, als die Neuaufnahme der „Sea Symphony“unter Dennis Russell Davies mit Chor und Orchester des MDR gehörig misslungen ist – ein unhomogener Chor, wummernde Solisten, dazu ein mittelmäßiges Orchester. Diese „Sea Symphony“ist überflüssig. Wolfram Goertz