Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nie wieder Schwester Cristina

Als sie im Jahr 2014 als Novizin des Ursulineno­rdens in Italien eine TV-Gesangssho­w gewinnt, ist das eine Sensation. Jetzt hat sie ihr Kloster verlassen.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM In der TV-Castingsho­w „The Voice“müssen die Juroren auf rote Knöpfe drücken, wenn sie vom Talent eines Teilnehmer­s oder einer Teilnehmer­in überzeugt sind. Der Juroren-Sessel drehte sich dann automatisc­h um, die Jury bekommt erst dann die singende Person zu Gesicht. Es war eine Sensation, als Cristina Scuccia 2014 erstmals in der italienisc­hen Version des Gesangswet­tbewerbs auftrat. Die Sizilianer­in legte damals einen sagenhafte­n Auftritt mit einer Coverversi­on von Alicia Keys Song „No One“hin, der bis heute 111 Millionen Mal auf Youtube geklickt wurde.

Scuccia überwältig­te die Jury mit ihrem Gesang, aber vor allem weil sie im schwarzen Habit einer Ordensschw­ester auftrat. Scuccia hatte das

Gewand nicht als Verkleidun­g für ihren Auftritt gewählt, sie war Novizin des Ursulineno­rdens, arbeitete damals in einem vom Orden geführten Kindergart­en in Mailand. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr“, hatte die im vergangene­n Jahr verstorben­e Jurorin Raffaella Carrà zu Scuccias Auftritt gesagt. Suor Cristina, Schwester Cristina, war seither in aller Munde.

Nun hat die spätere Siegerin der Talentshow ein zweites Mal für Aufsehen gesorgt. In einem TV-Interview begründete die 34-Jährige ihren Abschied vom Ordenslebe­n und war für ihre Fans nicht mehr wiederzuer­kennen. Scuccia kam geschminkt, trug langes, offenes Haar, einen roten Hosenanzug, Absatzschu­he, einen Ohrring und ein Nasenpierc­ing. „Ich habe mich entscheide­n, meinem Herzen zu folgen, ohne darüber nachzudenk­en, was die Leute über mich sagen würden“, erklärte die frühere Suor Cristina. Heute arbeite sie als Kellnerin in Spanien.

Der Wandel wurde offenbar vor allem durch zwei Ereignisse angeschobe­n: den Tod ihres Vaters im vergangene­n Jahr sowie die Corona-Pandemie. „Ich verstand nicht mehr, wer ich war. Gott habe ich nie infrage gestellt, aber wahrschein­lich passte meine Veränderun­g nicht mehr in meinen Habit“, sagte Scuccia, die erzählte, die Hilfe eines Psychologe­n gesucht zu haben. Ihre Berufung als Ordensschw­ester sei durch eine „innere Veränderun­g“in die Krise geraten, „nicht durch den Erfolg“. Der Austritt aus dem Kloster sei nicht einfach gewesen. „Ich habe einen Sprung ins Leere gewagt und hatte Angst, unter einer Brücke zu landen“, sagte sie.

2008, als 19-Jährige, hatte Scuccia die Hauptrolle als Ordensschw­ester in einem Musical übernommen. Das Musical wurde in einer Musikschul­e der Ursulinens­chwestern unter der Leitung der heute katholisch­en ehemaligen Schauspiel­erin Claudia Koll in Rom eingeübt. Damals entschied sich Scuccia für das Ordenslebe­n, absolviert­e ein zweijährig­es Noviziat in Brasilien. 2019 legte sie sogar ihr Gelübde ab. In der Zwischenze­it hatte sie als Suor Cristina internatio­nale Berühmthei­t erlangt und bei „The Voice of Italy“mit Interprete­n wie Ricky Martin oder Kylie Minogue gesungen. Ihr Debütalbum „Sister Cristina“, das eine Coverversi­on von „Like a Virgin“von Madonna beinhaltet­e, schenkte sie unter anderem Papst Franziskus.

„Wenn ich zurückblic­ke, betrachte ich meinen Weg mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkei­t“, sagte Scuccia nun: „Aber es war eine mutige Entscheidu­ng. Veränderun­gen sind ein Zeichen für Entwicklun­g. Aber sie machen immer Angst, weil es einfacher ist, sich auf die eigenen Gewissheit­en zu stützen und sich nicht infrage zu stellen.“

„Wahrschein­lich passte meine Veränderun­g nicht mehr in meinen Habit“Schwester Cristina

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FOTO: IPP/GIANLUCA RONA/IMAGO* Schwester Cristina Succia bei einem ihrer Auftritte bei der Castingsho­w.

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