Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Phrasen in der Außenpolitik
Annalena Baerbock ist mit ihren Slogans der „wertegeleiteten Außenpolitik“und „feministischen Außenpolitik“derzeit die beliebteste Politikerin. Wie ist diese Verehrung moralischer Phrasen zu erklären? Mit Naivität? Aber wir wissen ja, dass es Worte, nicht Taten sind. Wenn Baerbock zu Kriegsbeginn die deutsche Vergangenheit bemüht, als Grund, die Ukraine nicht zu unterstützen. Wenn sie zum Aufstand der Frauen im Iran schweigt. Wenn sie nichts gegen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien einzuwenden hat. Wenn sie… Warum sind wir so angetan von dem moralischen Kitsch? Weil wir vor den politischen Realitäten zurückschrecken? Nietzsche klagte schon vor 150 Jahren über „BegriffsHalluzinationen“wie die „Würde der
Arbeit“. Er hielt es für eine Charakterschwäche, sich die Tatsache schönzureden, dass Wissenschaft und Kunst auf der Ausbeutung der Arbeiter beruhten. Nietzsche zog die Ehrlichkeit der Griechen vor, sich zur Sklaverei als einer schrecklichen, aber unverzichtbaren Praxis zu bekennen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Nietzsche kritisierte nicht die Ausbeutung, sondern nur ihre Beschönigung. Er votierte gegen die Verkürzung der Kinderarbeitszeit. Da ziehe ich die Haltung vor, die Bernd Ulrich in der „Zeit“formuliert hat: lieber Doppelmoral als gar keine Skrupel. Und doch sollten wir uns fragen: Haben moralische Halluzinationen in der Außenpolitik etwas zu suchen? Eine Außenministerin vertritt die deutschen Interessen. Dazu müssten diese aber erst einmal klar bestimmt werden, wie das Beispiel China zeigt: Der Aufstieg der Volksrepublik ist Resultat einer sehr langfristigen Strategie mit klar formulierten Zielen.
Die deutsche Politik hingegen war sehr lange eine moralisch bemäntelte Wirtschaftsaußenstelle. Das ist mit der Russlandpolitik deutlich gescheitert. Um deutsche und europäische Interessen verteidigen zu können, müssen wir sie anerkennen. Anstatt uns hinter der Illusion zu verstecken, Politik wäre ein selbstloses Handeln für das Wohlergehen aller Kinder in dieser Welt.
Unsere Autorin ist Philosophie-Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektionsbiologin Gabriele Pradel ab.
Wohlmeinende Begriffe, die nur schönreden, verändern die Realität nicht.