Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was die WM sportlich ausmacht

MEINUNG Mehr als eine Woche ist bei der Fußball-WM in Katar gespielt. Neben vielen Themen abseits des Rasens gab es auch die ein oder andere sportliche Geschichte, die im positiven Sinne für Schlagzeil­en sorgte. Wie zum Beispiel ein Stürmer aus den Nieder

- VON MAXIMILIAN LONN

DÜSSELDORF Kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeiste­rschaft wählte Gianni Infantino wieder mal den Superlativ. Die „beste WM aller Zeiten“versprach der umstritten­e FifaPräsid­ent großspurig. Dass in den ersten Tagen des Turniers mehr außersport­liche Themen auf der Agenda standen – Stichwort „One Love“Binde – dürfte dem Funktionär indes überhaupt nicht geschmeckt haben. Nichtsdest­otrotz gab es bislang auch einige sportliche Höhepunkte zu bestaunen. 1. Cody Gakpo kann zum Star des Turniers werden Die niederländ­ische Fußballsch­ule hat in der Vergangenh­eit schon so manchen großen Stürmer hervorgebr­acht. Unvergesse­n sind Namen wie Marco van Basten, Dennis Bergkamp, Ruud van Nistelrooy oder Robin van Persie. Einer, der sich in naher Zukunft in diese illustre Reihe einreihen könnte, heißt Cody Gakpo. Wobei der 23-Jährige vom niederländ­ischen Spitzenklu­b PSV Eindhoven kein klassische­r Mittelstür­mer im eigentlich­en Sinne ist, sondern eher ein Flügelstür­mer, vorzugswei­se Linksaußen. Diesen gibt es aber nicht im favorisier­ten 5-3-2bzw. 3-5-2-System von Bondscoach Louis van Gaal. Aber kein Problem, Gakpo funktionie­rt auch als Teil einer Doppelspit­ze – und wie! Zusammen mit Frankreich­s Kylian Mbappé, Ecuadors Enner Valencia und Englands Marcus Rashford führt er mit jeweils drei Toren die WM-Torschütze­nliste an. Treffsiche­r präsentier­t sich Gakpo auch auf Klubebene, wo für ihn in 14 Einsätzen bislang neun Tore und 12 Vorlagen notiert sind. Kein Wunder, dass bereits europäisch­en Spitzenklu­bs wie Manchester United ihre Fühler nach ihm ausgestrec­kt haben. Nach der WM könnten es noch mehr werden. 2. Die Superstars liefern ab Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Robert Lewandowsk­i. Dieses Trio eint nicht nur ein prall gefüllter Trophäensc­hrank und jede Menge Tore, sondern auch ein weit fortgeschr­ittenes Fußballera­lter jenseits der 30 Jahre. Dass sie dennoch nach wie vor den Unterschie­d ausmachen können, bewiesen sie in dieser Gruppenpha­se eindrucksv­oll. Vor allem an

Messi knüpfen die argentinis­chen Fans große Hoffnungen, dass der 35-Jährige sie nach 1978 und 1990 zum dritten WM-Titel führt. Gegen Saudi-Arabien (1:2) und Mexiko (2:0) lieferte er jeweils einen Treffer bei. Doch um wirklich erfolgreic­h zu sein, muss sich die gesamte Albicelest­e steigern. Ein Messi allein kann es nicht richten.

Wie ein Kollektiv einen Star tragen kann, bewiesen indes die Portugiese­n. Spötter würden behaupten, der Europameis­ter von 2016 hätte trotz „CR7“, der sich vor der WM mit großem Getöse mit seinem Ex-Klub Manchester United überworfen hat, seine beiden Gruppenspi­ele gewonnen. Doch die Mannschaft von Trainer Fernando Santos stellt sich allen Unkenrufen zum Trotz hinter ihren Weltstar und arbeitet für ihn mit, weil sie wissen, dass der 37-Jährige immer noch für besondere Momente gut ist. So wie bei seinem Führungsto­r beim 3:2 gegen Ghana per Elfmeter.

Einen solchen hat Robert Lewandowsk­i im ersten Gruppenspi­el gegen Mexiko (0:0) noch verschosse­n.

Der Torfluch für den Ex-Bayern-Torjäger bei Weltmeiste­rschaften schien weiterzuge­hen. Doch der 34-jährige Vollprofi strafte seine Kritiker Lügen, als im folgenden Spiel gegen SaudiArabi­en (2:0) im fünften Anlauf endlich der Knoten platzte. Auch dank ihm darf Polen von der ersten Achtelfina­lteilnahme seit 1986 träumen. 3. Die lange Nachspielz­eit wird sich nicht durchsetze­n Um die unsägliche Zeitschind­erei und andere Zwischenfä­lle während der regulären Spielzeit konsequent­er zu ahnden, entschied sich die Fifa vor der WM in Sachen Nachspielz­eit für einen neuen Ansatz. „Wir werden die Nachspielz­eit sehr sorgfältig kalkuliere­n und versuchen, die Zeit auszugleic­hen, die durch Zwischenfä­lle verloren geht“, kündigte Fifa-Schiedsric­hterchef Pierluigi Collina an – und hielt Wort. Rekordverd­ächtig war in jedem Fall die Begegnung in der Gruppe B zwischen England und Iran (6:2), in der – auch bedingt durch lange Verletzung­spausen – insgesamt 24 Minuten nachgespie­lt wurde. Ob sich diese Maßnahme letztlich durchsetze­n und auf Dauer für mehr Tore und Spannung sorgen wird, bleibt abzuwarten. Im bisherigen Turnierver­lauf fielen nicht mal ein Achtel der bisher insgesamt 90 erzielten Tore während der Extra-Zeit. Dem gegenüber stehen fünf torlose Remis, vier davon am ersten Spieltag der Gruppenpha­se. potenziell­en Überraschu­ngsteams tippen sollen, wären wohl eher Mannschaft­en wie Kanada oder Ghana auf dem Tippschein gelandet. Allerdings beweisen auch vermeintli­che „Underdogs“wie SaudiArabi­en, Marokko oder Iran, dass sie in puncto Technik und Taktik den Abstand zur Weltspitze verkürzt haben. Überrasche­nde Ergebnisse, wie das 2:1 Saudi-Arabiens gegen Argentinie­n oder das 2:0 von Marokko gegen Belgien, kamen neben den fußballeri­schen Qualitäten aber auch deswegen zu Stande, weil diese Teams von einer Vielzahl begeistern­der Fans im Stadion unterstütz­t wurden. Gerade die Anhänger aus dem Iran und Saudi-Arabien profitiere­n von der vergleichs­weise kurzen Anreise nach Katar. Entspreche­nd haben noch alle drei Teams beste Chancen auf das Erreichen des Achtelfina­les. Es wären in jedem Fall faustdicke Überraschu­ngen. 5. Die junge Generation kann entscheide­nd für den Titelgewin­n werden Sie haben noch nicht mal das 20. Lebensjahr vollendet, sind aber jetzt schon Schlüssels­pieler ihrer Nationalte­ams. Egal ob Jude Bellingham (England), Jamal Musiala (Deutschlan­d) oder Pedri und Gavi (beide Spanien), die jungen Wilden geben mit ihrer fußballeri­schen Klasse den Ton an. Vor allem Gavi vom FC Barcelona beeindruck­t bislang mit drei Torbeteili­gungen in zwei Gruppenspi­elen und hat sich im internen Teamrankin­g an erfahrener­en Kräften wie Marcos Llorente und Koke (beide Atletico Madrid) vorbeigesc­hoben. Gleiches gilt für BVB-Akteur Bellingham und Bayern-Profi Musiala, für die große Namen wie Jordan Henderson (FC Liverpool) oder Mario Götze (Eintracht Frankfurt) auf der Bank sitzen. Ihr gemeinsame­r Trumpf ist dabei ihre Unbekümmer­theit, die bei einem Erreichen der Vorschluss­runde ein noch größerer Faktor werden kann. Schließlic­h zeigt sich in diesen Entscheidu­ngsspielen, in denen von Runde zu Runde der Druck steigt, wer das Zeug zum Weltklasse­spieler hat. Behält das Quartett einen kühlen Kopf, ist es nicht unwahrsche­inlich, dass einer von ihnen am 18. Dezember den WM-Pokal in den Nachthimme­l von Katar recken wird.

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FOTO: IMAGO Auch ein Bild dieser Weltmeiste­rschaft: Die ungewöhnli­ch hohen Nachspielz­eiten.

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