Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Proteste machen ein bisschen Hoffnung

- VON MARTIN KESSLER

Eine Zeit lang schien es, als könnten sich Diktatoren und autoritäre Herrscher alles erlauben: unmenschli­che Kleider- und Verhaltens­vorschrift­en im Iran, einen totalen Corona-Lockdown in China, Demonstrat­ionsverbot­e in der Türkei. Doch die Menschen lassen sich nicht alles gefallen. Wenn die Herrschend­en überziehen, überwinden viele ihre Angst und gehen auf die Straße.

Für autoritäre oder auch totalitäre Systeme wie etwa in China wird es dann doch brenzlig. Meistens lassen sie die Proteste ein bisschen gewähren, hoffen, dass sie abflauen. Im geeigneten Moment gehen die Sicherheit­skräfte brutal und ohne Erbarmen gegen die Protestier­enden vor. Oft beginnt die Repression von Neuem.

Wie können aber solche Proteste am Ende erfolgreic­h sein? Die Demonstrat­ionen im Jahr 1989 führten zur Auflösung der Gewaltherr­schaft in den sozialisti­schen Staaten des Ostens. Die Maidan-Revolution 2014 brachte die Ukraine auf den Weg der Demokratis­ierung. Eine Umwälzung ist dann erfolgreic­h, wenn sie ein klares Ziel verfolgt, geeignete Führungspe­rsonen ausweist und über einen gesetzlich­en Unterbau verfügt. Das war im Ostblock und beim Maidan der Fall, im Arabischen Frühling nicht, weil dort westliche Demokratie gegen islamische­n Gottesstaa­t stand.

Die Protestier­enden müssen eine kritische Masse erreichen, dass es sich für Gefolgsleu­te der Unterdrück­er nicht mehr lohnt, auf der Seite der Macht zu stehen. Wenn die bis dahin willfährig­en Helfer nämlich rechtzeiti­g wechseln, sind sie am Ende bei den Siegern. Im Iran und der Türkei könnte mittelfris­tig eine solche Konstellat­ion erreichbar sein. In China ist das trotz der mutigen Proteste wohl eher nicht der Fall. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlic­h zuletzt. Wenn die Türkei oder der Iran zum Präzedenzf­all werden, eröffnet das auch für andere Proteste neue Perspektiv­en.

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