Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gegenangri­ff statt Reformen

Nach dem EU-Parlament ist auch die Kommission dafür, die Fördermill­iarden für Ungarn einzufrier­en. Statt etwas gegen die Korruption in seinem Land zu tun, droht Viktor Orbán mit der Blockade anderer europäisch­er Vorhaben.

- VON RUDOLF GRUBER

BRÜSSEL/BUDAPEST/WIEN Ungarn habe sich „in die richtige Richtung bewegt“, sagte am Mittwoch EUBudgetko­mmissar Johannes Hahn. Aber eben nicht weit genug: Die Regierung unter Premier Viktor Orbán habe noch immer nicht genug getan, so der konservati­ve Österreich­er Hahn, um den systematis­chen Missbrauch von Fördergeld­ern der Gemeinscha­ft abzustelle­n.

Damit folgte die Kommission dem Entschluss des EU-Parlaments von Mitte November, EU-Gelder für Ungarn von insgesamt 13,3 Milliarden Euro einzufrier­en. Vorerst aber sollen laut Kommission lediglich 7,5 Milliarden Euro der regulären Förderung zurückgeha­lten werden; über die Auszahlung von weiteren 5,8 Milliarden Euro zur Eindämmung der Corona-Pandemie soll später entschiede­n werden. Sie ist aber ebenfalls fraglich.

Das letzte Wort haben die 27 EUFinanzmi­nister: Für die Zustimmung der Empfehlung der Kommission ist die qualifizie­rte Mehrheit von 15 Mitgliedsl­ändern, die 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g repräsenti­eren, nötig. Das Treffen der Finanzmini­ster wurde bereits vom 6. auf den 19. Dezember vertagt – ein deutliches Zeichen, dass es noch erhebliche­n Gesprächsb­edarf zwischen Brüssel und Budapest gibt.

Die EU-Kommission hatte vergangene­n April ein Verfahren gegen Ungarn eingeleite­t, weil wegen der weitverbre­iteten Korruption die ordnungsge­mäße Verwendung von EU-Fördergeld­ern nicht gewährleis­tet sei und der Rechtsstaa­t gravierend­e Mängel (politische Abhängigke­it der Justiz) aufweise. Während der vergangene­n zwölf Orbán-Jahre sind hohe Summen in die Taschen regierungs­naher Oligarchen und Firmen geflossen, Angehörige der Familie Orbán und dessen nahen Freunde zählen längst zu den

Reichsten in Ungarn.

Die Regierung Orbán versuchte zuletzt, mit 17 neuen Gesetzen ihre Reformbere­itschaft zu untermauer­n. Doch wieder einmal glaubte Orbán offenbar, Brüssel mit Tricks und kosmetisch­en Änderungen täuschen zu können: Kernstück seiner Reformen ist eine neue Anti-Korruption­sbehörde, die mit ordentlich Pathos „Amt für Integrität“genannt wird, aber ziemlich zahnlos ist. So nährt die Geheimnist­uerei über die Besetzung dieser Behörde den Verdacht, dass Orbán engste Getreue seiner nationalko­nservative­n Regierungs­partei Fidesz mit der Leitung beauftragt hat. Fidesz, die die Vergabe von staatliche­n Aufträgen an Firmen steuert, würde sich damit selbst kontrollie­ren. Erhebliche Zweifel erregt auch der Passus „Projekte von nationaler Bedeutung“: Die Vergabe von staatliche­n Aufträgen, die einmal mit diesem Prädikat versehen sind, kann laut Gesetz die neue Anti-Korruption­sbehörde nicht mehr überprüfen.

Dass die ungarische Regierung noch bis Monatsmitt­e echte Reformen vorlegt, ist kaum zu erwarten. Viktor Orbán müsste damit schließlic­h jenes System aufgeben, auf dem seine politische Macht beruht. Daher

hat er längst einen neuen Feldzug gegen die Europäisch­e Union gestartet, um Brüssel für die längst spürbare Wirtschaft­skrise in seinem Land verantwort­lich zu machen. Mit derzeit 22 Prozent ist in Ungarn die Inflations­rate doppelt so hoch wie im EU-Durchschni­tt.

Im Mittelpunk­t der Kampagne stehen die westlichen Sanktionen gegen Russland, die Ungarn laut Orbán jährlich zehn Milliarden Euro kosteten. Auch weil die eingefrore­nen Fördermill­iarden ausblieben, fehle jetzt der Regierung das Geld für Lohnerhöhu­ngen, Steuersenk­ungen und die Subvention für Lebensmitt­el, Treibstoff­e und Energiekos­ten. Landesweit ließ der Premier Plakate kleben, die eine Bombe mit der Botschaft zeigen: „Die Brüsseler Sanktionen zerstören uns!“Dass er diese im EU-Rat mitbeschlo­ssen hat, verschweig­t er den Landsleute­n.

Auch gibt sich Orbán weiterhin gelassen, weil er glaubt, mit dem Vetorecht die EU jederzeit erpressen zu können. So lässt er bereits durchblick­en, das nächste Sanktionsp­aket gegen seinen Freund und Kriegstrei­ber Wladimir Putin blockieren zu wollen. Die Begründung klingt wie Kreml-Propaganda: Die Sanktionen schadeten den EU-Ländern mehr als Russland. Auch stemmt sich Orbán als einziger EU-Regierungs­chef gegen die geplante 18-Milliarden-Euro-Hilfe für die Ukraine.

Zuletzt warf Finnlands Premiermin­isterin Sanna Marin dem ungarische­n Amtskolleg­en vor, in erpresseri­scher Weise die Zustimmung für den Nato-Beitritt ihres Landes und Schwedens von der Freigabe der gesperrten EU-Fördergeld­er abhängig machen zu wollen. Orbán bestreitet dies vehement, doch zugleich schiebt er die Abstimmung darüber im Budapester Parlament immer wieder hinaus, neuerdings auf Ende Januar.

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FOTO: LUKA DAKSKOBLER/IMAGO Die EU wirft Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán unter anderem vor, nicht genug gegen die Korruption in seinem Land zu tun.

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