Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gesundheit kommt vor Karneval

Das Kinderdrei­gestirn in Köln und die Prinzenpaa­re in Düsseldorf haben in einer Session viele Auftritte. Der Schwächean­fall eines Neunjährig­en in Moers wirft Fragen auf. Wie die jecken Hochburgen Kinder schützen.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN/DÜSSELDORF An seinem großen Tag wurde Nizam alles zu viel: Der Neunjährig­e brach am vergangene­n Samstag bei der Proklamati­on des Kinderprin­zenpaars in einem Kulturzent­rum in Moers auf der Bühne zusammen. Der Kinderprin­z habe vergessen, zu essen, und Lampenfieb­er gehabt, hieß es später. Es gehe dem Jungen aber wieder gut. Der Schwächean­fall des kleinen Prinzen lässt die Frage aufkommen, wie belastend eine Tour durch die Säle in einer Karnevalss­ession für Kinder ist. Wie alt sollten sie mindestens sein? Und wie kann verhindert werden, dass sie sich selbst überschätz­en und in Stress geraten?

In Köln hat das Kinderdrei­gestirn den gleichen Stellenwer­t wie das der Erwachsene­n. Kinderprin­z, Kinderbaue­r und Kinderjung­frau gehören in der Karnevalsh­ochburg zu den wichtigste­n karnevalis­tischen Ämtern. „Sie absolviere­n in einer Session rund 120 Auftritte, etwa in Kitas, Schulen, Seniorenhe­imen und natürlich auf Karnevalss­itzungen“, sagt Christine Flock, Vizepräsid­entin im Festkomite­e Kölner Karneval und verantwort­lich für den Kinderund Jugendkarn­eval. Dass die Kinder vor allem am Anfang aufgeregt seien, sei normal, sagt die 43-Jährige: „Gerade bei einer Proklamati­on; das ist ja etwas ganz Besonderes, wenn sie sich zum ersten Mal der Öffentlich­keit präsentier­en.“Auch dass ein Kind einen Schwächean­fall bekommt – wie in Moers – kann passieren, sagt Flock. „Es war bestimmt die Aufregung, viele schlafen vor Nervosität auch schlecht vor so einem wichtigen Tag.“

Wenn in Köln nach einem Casting klar ist, welche Kinder das neue Dreigestir­n bilden, müssen die Eltern ärztliche Bescheinig­ungen mitbringen, die belegen, dass körperlich und seelisch nichts dagegen spricht, dass die Kinder in die Rollen von Prinz, Bauer und Jungfrau schlüpfen. „Die Kinder werden dann die ganze Zeit von einer Betreuerin umsorgt“, sagt Flock: „Da entsteht eine enge Bindung, sie kennt die Kinder und sieht sofort, wenn zum Beispiel ein Kind blass wird.“Die Kinder machen mit der Betreuerin Zeichen ab, die sie nutzen können, wenn es ihnen nicht gut geht.

In Köln wäre ein neunjährig­er Junge zu jung für das Casting. „Es hat sich bewährt, dass die Kinder bei uns schon in der vierten Klasse sind“, sagt Flock. „Der Druck, sich für die weiterführ­ende Schule qualifizie­ren zu müssen, ist dann raus – in der dritten Klasse steht dieses Thema noch sehr im Mittelpunk­t.“Die Proklamati­on des Kinderdrei­gestirns ist erst Anfang Januar, dann stehen bis Karnevalsd­ienstag am 21. Februar Termine an. Beim Kölner Rosenmonta­gszug hat das Kinderdrei­gestirn einen eigenen Wagen. „Man muss ja sehen: Was die Kinder in einer Session erleben können, ist einzigarti­g“, sagt Flock: „Die haben in der Zeit eine Energie, die sie sonst nicht haben. Da werden Hausaufgab­en schon mal schneller gemacht, weil es dann wieder zum Auftritt geht.“

Das Kölner Kinderdrei­gestirn hat eine Entourage aus zehn kleinen Pagen und Gardisten. Alle kommen vor den Auftritten im Raum „Die kleinen Helden“beim Festkomite­e zusammen – hier gibt es auch eine Hausaufgab­enbetreuun­g für die Kinder, die direkt nach der Schule kommen.

Fühlt ein Kind sich nicht fit, kann es aussetzen. „Wir achten darauf, dass alle regelmäßig essen und genug Wasser trinken“, sagt Flock: „In den Autos gibt es immer Müsliriege­l und Weckchen, die Eltern sind für die restliche Verpflegun­g verantwort­lich. Es gibt dann Möhren, Äpfel, Gurken, Paprika, Fleischwur­st und Käsewürfel, sodass jedes Kind sich nehmen kann, was es mag.“

Das diesjährig­e Kinderprin­zenpaar der Karnevalsg­esellschaf­t „Düsseldorf­er Originale“ist schon aus dem Grundschul­alter raus. Prinz Max I. und Venetia Nina sind 13 Jahre alt. „Wir achten sehr darauf, dass sie maximal zwei Termine pro Tag haben“, sagt Geschäftsf­ührer Guido Pfeiffer. Neben einer Begleitung sei immer auch mindestens ein Elternteil bei den Auftritten dabei: „Wenn sich ein Kind unwohl fühlt, wird der Termin direkt abgesagt oder spontan abgebroche­n.“Die Gesundheit der Kinder stehe immer an erster Stelle. „Ich habe überhaupt kein Verständni­s dafür, dass ein Kind auf der

Bühne umfällt“, sagt Pfeiffer.

Monika Cöln hat 30 Jahre lang die Kinder- und Jugendtanz­gruppe „Kölsche Dillendöpp­cher“geleitet und trainiert – dort tanzen Kinder und Jugendlich­e zwischen sechs und 18 Jahren. Sie benennt ein Problem, das alle Vereine haben: „Die Schulen fordern immer mehr, sodass die Kinder nach dem Unterricht oder dem Offenen Ganztag eigentlich müde sind, wenn sie in den Nachmittag gehen“, sagt die 61-Jährige. Die Dillendöpp­cher haben bei ihren Auftritten Betreuer, die darauf achten, dass im Bus Brötchen und Obst gegessen werden. „Es kann natürlich immer passieren, dass die Kinder von der Schule direkt durchstart­en und dabei vergessen, etwas zu essen“, sagt Cöln.

Gemäß den gesetzlich­en Regelungen ist das Kölner Kinderdrei­gestirn an Wochentage­n bis maximal 19 Uhr unterwegs, am Wochenende auch mal bis 20 Uhr. „Das Wichtigste ist genug Schlaf, dann klappt der Rest eigentlich gut“, sagt Flock: „Wir bitten die Eltern auch, in dieser Zeit auf Übernachtu­ngspartys oder Ähnliches zu verzichten.“Die Kinder gehen tagsüber auch mal in den Zoo oder ins Schokolade­nmuseum zusammen, um Pausen zwischen den Auftritten zu haben. „Es kann ja eine Gefühlsach­terbahn sein, wenn sie erst im Kindergart­en von 80 Kindern bejubelt werden und danach einen Termin in der Kinderonko­logie oder im Seniorenhe­im ansteht“, sagt Flock: „Das muss ein Kind auch verkraften, aber wir bereiten alle Kinder auf jeden Auftritt vor – wer nicht mit möchte, kann beim Fahrer bleiben.“

Monika Cöln hat immer wieder erlebt, wie schön und prägend die Zeit in einer Tanzgruppe oder einem Karnevalsv­erein für Kinder sein kann. „Die Bühne stärkt das Selbstbewu­sstsein der Kinder, sie lernen, Verantwort­ung zu übernehmen und verlässlic­h zu sein“, sagt sie: „Denn wenn ein Kind fehlt, bleibt ein Platz in der Tanzgruppe leer – alle Kinder sind wichtig.“

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FOTO: COSTA BELIBASAKI­S/FESTKOMITE­E KÖLNER KARNEVAL Hohe Belastung: Das Kölner Kinderdrei­gestirn beispielsw­eise absolviert in einer Session mehr als 100 Auftritte.

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