Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Gesundheit kommt vor Karneval
Das Kinderdreigestirn in Köln und die Prinzenpaare in Düsseldorf haben in einer Session viele Auftritte. Der Schwächeanfall eines Neunjährigen in Moers wirft Fragen auf. Wie die jecken Hochburgen Kinder schützen.
KÖLN/DÜSSELDORF An seinem großen Tag wurde Nizam alles zu viel: Der Neunjährige brach am vergangenen Samstag bei der Proklamation des Kinderprinzenpaars in einem Kulturzentrum in Moers auf der Bühne zusammen. Der Kinderprinz habe vergessen, zu essen, und Lampenfieber gehabt, hieß es später. Es gehe dem Jungen aber wieder gut. Der Schwächeanfall des kleinen Prinzen lässt die Frage aufkommen, wie belastend eine Tour durch die Säle in einer Karnevalssession für Kinder ist. Wie alt sollten sie mindestens sein? Und wie kann verhindert werden, dass sie sich selbst überschätzen und in Stress geraten?
In Köln hat das Kinderdreigestirn den gleichen Stellenwert wie das der Erwachsenen. Kinderprinz, Kinderbauer und Kinderjungfrau gehören in der Karnevalshochburg zu den wichtigsten karnevalistischen Ämtern. „Sie absolvieren in einer Session rund 120 Auftritte, etwa in Kitas, Schulen, Seniorenheimen und natürlich auf Karnevalssitzungen“, sagt Christine Flock, Vizepräsidentin im Festkomitee Kölner Karneval und verantwortlich für den Kinderund Jugendkarneval. Dass die Kinder vor allem am Anfang aufgeregt seien, sei normal, sagt die 43-Jährige: „Gerade bei einer Proklamation; das ist ja etwas ganz Besonderes, wenn sie sich zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentieren.“Auch dass ein Kind einen Schwächeanfall bekommt – wie in Moers – kann passieren, sagt Flock. „Es war bestimmt die Aufregung, viele schlafen vor Nervosität auch schlecht vor so einem wichtigen Tag.“
Wenn in Köln nach einem Casting klar ist, welche Kinder das neue Dreigestirn bilden, müssen die Eltern ärztliche Bescheinigungen mitbringen, die belegen, dass körperlich und seelisch nichts dagegen spricht, dass die Kinder in die Rollen von Prinz, Bauer und Jungfrau schlüpfen. „Die Kinder werden dann die ganze Zeit von einer Betreuerin umsorgt“, sagt Flock: „Da entsteht eine enge Bindung, sie kennt die Kinder und sieht sofort, wenn zum Beispiel ein Kind blass wird.“Die Kinder machen mit der Betreuerin Zeichen ab, die sie nutzen können, wenn es ihnen nicht gut geht.
In Köln wäre ein neunjähriger Junge zu jung für das Casting. „Es hat sich bewährt, dass die Kinder bei uns schon in der vierten Klasse sind“, sagt Flock. „Der Druck, sich für die weiterführende Schule qualifizieren zu müssen, ist dann raus – in der dritten Klasse steht dieses Thema noch sehr im Mittelpunkt.“Die Proklamation des Kinderdreigestirns ist erst Anfang Januar, dann stehen bis Karnevalsdienstag am 21. Februar Termine an. Beim Kölner Rosenmontagszug hat das Kinderdreigestirn einen eigenen Wagen. „Man muss ja sehen: Was die Kinder in einer Session erleben können, ist einzigartig“, sagt Flock: „Die haben in der Zeit eine Energie, die sie sonst nicht haben. Da werden Hausaufgaben schon mal schneller gemacht, weil es dann wieder zum Auftritt geht.“
Das Kölner Kinderdreigestirn hat eine Entourage aus zehn kleinen Pagen und Gardisten. Alle kommen vor den Auftritten im Raum „Die kleinen Helden“beim Festkomitee zusammen – hier gibt es auch eine Hausaufgabenbetreuung für die Kinder, die direkt nach der Schule kommen.
Fühlt ein Kind sich nicht fit, kann es aussetzen. „Wir achten darauf, dass alle regelmäßig essen und genug Wasser trinken“, sagt Flock: „In den Autos gibt es immer Müsliriegel und Weckchen, die Eltern sind für die restliche Verpflegung verantwortlich. Es gibt dann Möhren, Äpfel, Gurken, Paprika, Fleischwurst und Käsewürfel, sodass jedes Kind sich nehmen kann, was es mag.“
Das diesjährige Kinderprinzenpaar der Karnevalsgesellschaft „Düsseldorfer Originale“ist schon aus dem Grundschulalter raus. Prinz Max I. und Venetia Nina sind 13 Jahre alt. „Wir achten sehr darauf, dass sie maximal zwei Termine pro Tag haben“, sagt Geschäftsführer Guido Pfeiffer. Neben einer Begleitung sei immer auch mindestens ein Elternteil bei den Auftritten dabei: „Wenn sich ein Kind unwohl fühlt, wird der Termin direkt abgesagt oder spontan abgebrochen.“Die Gesundheit der Kinder stehe immer an erster Stelle. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass ein Kind auf der
Bühne umfällt“, sagt Pfeiffer.
Monika Cöln hat 30 Jahre lang die Kinder- und Jugendtanzgruppe „Kölsche Dillendöppcher“geleitet und trainiert – dort tanzen Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren. Sie benennt ein Problem, das alle Vereine haben: „Die Schulen fordern immer mehr, sodass die Kinder nach dem Unterricht oder dem Offenen Ganztag eigentlich müde sind, wenn sie in den Nachmittag gehen“, sagt die 61-Jährige. Die Dillendöppcher haben bei ihren Auftritten Betreuer, die darauf achten, dass im Bus Brötchen und Obst gegessen werden. „Es kann natürlich immer passieren, dass die Kinder von der Schule direkt durchstarten und dabei vergessen, etwas zu essen“, sagt Cöln.
Gemäß den gesetzlichen Regelungen ist das Kölner Kinderdreigestirn an Wochentagen bis maximal 19 Uhr unterwegs, am Wochenende auch mal bis 20 Uhr. „Das Wichtigste ist genug Schlaf, dann klappt der Rest eigentlich gut“, sagt Flock: „Wir bitten die Eltern auch, in dieser Zeit auf Übernachtungspartys oder Ähnliches zu verzichten.“Die Kinder gehen tagsüber auch mal in den Zoo oder ins Schokoladenmuseum zusammen, um Pausen zwischen den Auftritten zu haben. „Es kann ja eine Gefühlsachterbahn sein, wenn sie erst im Kindergarten von 80 Kindern bejubelt werden und danach einen Termin in der Kinderonkologie oder im Seniorenheim ansteht“, sagt Flock: „Das muss ein Kind auch verkraften, aber wir bereiten alle Kinder auf jeden Auftritt vor – wer nicht mit möchte, kann beim Fahrer bleiben.“
Monika Cöln hat immer wieder erlebt, wie schön und prägend die Zeit in einer Tanzgruppe oder einem Karnevalsverein für Kinder sein kann. „Die Bühne stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder, sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und verlässlich zu sein“, sagt sie: „Denn wenn ein Kind fehlt, bleibt ein Platz in der Tanzgruppe leer – alle Kinder sind wichtig.“