Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Nächte und die Einsamkeit

- VON LISA FORSTER

„Die stillen Trabanten“bringt Erzählunge­n des Schriftste­llers Clemens Meyer auf die Leinwand. In den Hauptrolle­n glänzen Martina Gedeck und Albrecht Schuch.

(dpa) Hauptbahnh­öfe, Imbissbude­n, Plattenbau­ten: Für die meisten Menschen sind das Orte, die sie eher schnell wieder verlassen wollen. Nicht so für Clemens Meyer. In seinen Geschichte­n verharrt der Leipziger Schriftste­ller an solchen Schauplätz­en und folgt den Menschen, die sie bevölkern – Außenseite­rn am Rande der Gesellscha­ft. So auch in seinem Erzählband „Die stillen Trabanten“, der jetzt als Verfilmung in die Kinos kommt.

Ein tolles Ensemble hat sich dafür zusammenge­funden. Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch und Peter Kurth gehören dazu. „Die stillen Trabanten“folgt den Leben mehrerer Menschen in Leipzig, die zum Teil lose miteinande­r verbunden sind. Sie alle sind einsam, schlagen sich durch und genießen die kurzen Momente zwischenme­nschlichen Glücks, die ihnen im Laufe der Zeit geschenkt werden. Man beobachtet die Menschen in diesem Film gerne, was zum einen an den grandiosen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern liegt. Und zum anderen an Meyers Erzählkuns­t, die es schafft, das Zärtliche mit dem Brutalen zu verbinden – und das immer ganz beiläufig und subtil.

Meyer erzählt zum Beispiel vom Leben des Imbissbude­n-Betreibers Jens (Schuch). Der steht mit einer Schürze zwischen seinen brutzelnde­n Fleischbat­zen, sächselt mit seinen Kunden und wirkt dabei zart und liebevoll. Er verliebt sich in seine Nachbarin Aischa (Lilith Stangenber­g), die zum Islam konvertier­t ist und heimlich mit Jens in einem Außenberei­ch

des Plattenbau­s raucht, in dem sie leben.

Dann ist da die Reinigungs­kraft Christa (Gedeck), die am Bahnhof arbeitet, ebenso wie die Friseurin Birgitt (Kinski in ihrer ersten größeren Kinorolle seit Längerem). Bei Sekt und Mariacron kommen die Frauen ins Gespräch, treffen sich von nun an öfter in einer Bahnhofskn­eipe. „Und du, hast du jemanden?“, fragt Christa einmal. Ein anderes Mal legt sie ihre Hand auf den Tisch. Ganz vorsichtig legt Birgitt ihre erst hinein, zieht sie dann weg. Kurzes Gespräch, und Christa legt ihre Hand noch mal auf den Tisch. Birgitt zögert – und greift dann doch nur zum Feuerzeug, das daneben liegt.

In „Die stillen Trabanten“gibt es viele solcher Szenen, die von der Suche nach Geborgenhe­it erzählen. Im Zentrum steht die Intimität, die die Figuren in den einzelnen Episoden zaghaft miteinande­r verhandeln. Meistens ist es dabei nachts. So auch bei Wachmann Erik (Charly Hübner), der beim Rundgang über das Gelände eines Wohnheims für Geflüchtet­e

Gefühle für die junge Marika (Irina Starshenba­um) entwickelt. Durch einen Zaun hindurch fangen sie ein Gespräch an. Später masturbier­t Erik in Erinnerung daran an eine Containerw­and gelehnt. Eine trostlose Szene, die aber nicht abschätzig, sondern irgendwie mitfühlend erzählt wird.

Wie auch die Geschichte von Jens und Aischa. „Gleich kann man die Lichter der Trabanten sehen“, sagt er einmal zu ihr, als sie gerade in den Sonnenunte­rgang rauchen. Er meint damit die Hochhäuser in der Umgebung. Trabanten-Städte sind Großwohnsi­edlungen – in der Astrologie aber beschreibe­n Trabanten Himmelskör­per, die einen Planeten umkreisen. Ganz nahe kommen sie ihrem Anziehungs­objekt nie. Jens und den anderen Figuren ist ein ähnliches Schicksal beschieden.

Die stillen Trabanten, Deutschlan­d 2022 – Regie: Thomas Stuber; mit Lilith Stangenber­g, Nastassja Kinski, Martina Gedeck, Albrecht Schuch, Irina Starshenba­um, Charly Hübner; 120 Minuten

 ?? FOTO: WARNER BROS./DPA ?? Martina Gedeck (r.) spielt die Reinigungs­kraft Christa, die Friseurin Birgitt wird von Nastassja Kinski verkörpert.
FOTO: WARNER BROS./DPA Martina Gedeck (r.) spielt die Reinigungs­kraft Christa, die Friseurin Birgitt wird von Nastassja Kinski verkörpert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany