Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Finger weg von Reparation­szahlungen

- VON MARTIN KESSLER

Der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine kostete bislang nicht nur Tausende von Menschenle­ben. Er zerstört das Land und hat laut EU Schäden von rund 600 Milliarden Euro angerichte­t. Da scheint der Vorschlag von EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen nur fair zu sein, den Wiederaufb­au der Ukraine auch mit russischen Geldern zu bestreiten. Immerhin hat die EU-Zentralban­k Guthaben des Kremls in Höhe von 300 Milliarden Euro eingefrore­n.

Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Schon rechtlich ist ein solches Vorgehen problemati­sch. So sehr der Kreml das Völkerrech­t gebrochen hat: Die EU sollte sich daran kein Beispiel nehmen. Denn die Reserven sind Eigentum der Russischen Föderation, nicht von Wladimir Putin, auch wenn das manchmal identisch erscheint. Das Völkerrech­t erlaubt eine Sperrung der Vermögen, nicht deren Einzug.

Das entscheide­nde Argument gegen Reparation­en ist aber politisch. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich gezeigt, zu welchen fatalen Konsequenz­en die riesigen Strafzahlu­ngen geführt haben, die die Alliierten dem Deutschen Reich auferlegt hatten. Die Reparation­sfrage nach 1919 war eine der Gründe für verheerend­e wirtschaft­liche Verwerfung­en und den Erfolg der Hasspropag­anda der Nazis. Sollte das bei Russland wiederholt werden?

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Alliierten klug genug, das nicht zu tun. Sie ebneten den Weg für ein demokratis­ches Deutschlan­d zurück in den Kreis der zivilisier­ten Staaten. Diese Chance sollte auch Russland erhalten, wenn Putin wider Erwarten gestürzt werden sollte. Und selbst im Fall eines Waffenstil­lstands mit dem Kreml-Herrscher sollte man eine Übereinkun­ft nicht an Reparation­en scheitern lassen. Die EU und die Mitgliedst­aaten wären also gut beraten, die Finger von solchen Überlegung­en zu lassen.

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