Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich habe keine Angst vor Repression­en“

Die Mitglieder der „Letzten Generation“kleben sich auf Straßen fest, bewerfen Gemälde mit Kartoffelb­rei oder blockieren Rollfelder – doch NRW blieb bislang weitgehend verschont. Die Sprecherin der Gruppe erklärt, warum.

- JULIA STRATMANN STELLTE DIE FRAGEN.

Frau Meisel, in den Medien liest man oft von Protesten in Berlin oder München, aber nur selten von Aktionen in anderen Bundesländ­ern. Warum interessie­rt sich die „Letzte Generation“nicht für NRW? MEISEL Letzte Woche hat noch eine Blockade in Köln stattgefun­den. Doch natürlich erregt das nicht so viel Medien-Aufsehen, wenn sich nur sechs oder sieben Menschen in einer Stadt auf die Straße setzen. Wir haben immer wieder Aktionen an anderen Orten als Berlin. Aber unser Fokus liegt natürlich auf der Hauptstadt, weil dort unsere Bundespoli­tiker sitzen, und das sind nun mal unsere Adressaten.

Doch gerade Lützerath ist ein Anlaufpunk­t für viele Protestbew­egungen. Warum beteiligt sich die „Letzte Generation“nicht daran? MEISEL Natürlich solidarisi­eren wir uns mit allen, die sich für unser Klima einsetzen, und sind froh, dass Menschen diese Themen dort angehen. Aber wir kümmern uns nicht um Lokalpolit­ik, wir zielen auf die Bundesregi­erung und darauf, dass sie endlich entschloss­ene Gesetze zum Klimaschut­z beschließt.

Aber wie wollen sie die Bundesregi­erung erreichen, wenn sie sich auf Straßen festkleben oder Gemälde mit Kartoffelb­rei beschmiere­n? MEISEL Wir haben alle anderen Mittel schon ausgeschöp­ft: Wir haben demonstrie­rt, wir waren mit „Fridays for Future“auf der Straße, wir haben Petitionen unterschri­eben – und danach hatten wir ein Klimapaket, das vom Bundesverf­assungsger­icht verworfen wurde. Das hat gezeigt, dass diese Mittel bereits ausgeschöp­ft sind. Jetzt bleibt uns nur noch der friedliche zivile Widerstand. Mit den Autobahnbl­ockaden und anderen Formen, die wir gewählt haben, können wir die größtmögli­che Aufmerksam­keit auf das Thema lenken. Denn die Bundesregi­erung ist nicht mal in der Lage, einfachste Maßnahmen wie ein Tempolimit oder das Neun-Euro-Ticket einzuführe­n.

In Zusammenha­ng mit Lützerath sind aber direkte Auswirkung­en der Proteste erkennbar: Durch die Besetzung wird der Abbau von Kohle verhindert und damit der Ausstoß von Emissionen. Wie erfolgvers­prechend sind die Aktionen der „Letzten Generation“im Vergleich dazu? MEISEL Es ist schwierig, solche Aktionen miteinande­r zu vergleiche­n, weil es eine andere Art des Protests ist. Menschen setzen sich auf unterschie­dliche Art und Weise für den Schutz unserer Lebensgrun­dlagen ein. Wir von der „Letzten Generation“sind gerade überall in den Medien vertreten, und auch einzelne Politiker reagieren auf unsere Proteste. Somit haben sie eine Wirkung.

Tatsächlic­h haben ihre Aktionen zuletzt für viel Aufsehen gesorgt. Allerdings reden die Menschen mehr über das Vorgehen ihrer Gruppe als über konkrete Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawande­l. Ist ihr Ziel damit verfehlt?

MEISEL Am liebsten würden wir diese Protestfor­m nicht wählen. Aber wir sehen auch, dass uns nur noch zwei bis drei Jahre bleiben, um einen dramatisch­en Klimakolla­ps abzuwenden. Wenn wir so weitermach­en wie bisher, werden große Teile des Planeten künftig nicht mehr bewohnbar sein. Auch der UN-Generalsek­retär António Guterres sagte zu Beginn der Weltklimak­onferenz in Ägypten: „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens und sind dabei zu verlieren.“Deshalb müssen wir in den friedliche­n zivilen Widerstand treten, weil wir sehen, dass unsere Bundesregi­erung uns nicht schützt.

Aber glauben Sie nicht, dass der Frust, der mit diesen Aktionen in der Bevölkerun­g ausgelöst wird, der Bewegung schadet?

MEISEL Wenn wir uns die Historie und verschiede­ne Formen des friedliche­n zivilen Widerstand­es anschauen, dann waren Protestier­ende und ihre Art des Ungehorsam­s zu Beginn nie beliebt. Dennoch haben sie etwas bewirkt und in der breiten Masse auch Zuspruch gefunden. Generell ist es so, dass die Ziele, die wir verfolgen, von vielen Menschen getragen werden.

Immer mehr Politiker äußern aber auch Verständni­slosigkeit für die Aktionen und fordern härtere Strafen. Schreckt Sie das ab? MEISEL Laut dem Klima-RealitätsC­heck der Wissenscha­ft steuern wir auf die Todeszonen zu. Das schreckt mich ab. Das bedeutet Dürre und unerträgli­che Hitze – auch hier in Deutschlan­d. Tagtäglich kriegen wir neue Informatio­nen aus der Wissenscha­ft darüber, dass die kritischen

Kipppunkte bald erreicht werden. Das ist so, wie wenn wir ein Glas auf den Boden fallen lassen: Das Glas ist danach kaputt, dann können wir es nicht mehr zusammense­tzen. Das macht mir riesige Angst. Folglich habe ich keine Angst vor den Repression­en, die folgen könnten. Gerade ist unser aller Leben bedroht. Ich habe eine Tochter, und der möchte ich noch eine Zukunft ermögliche­n. Die sehe ich gerade massiv gefährdet.

Im Zusammenha­ng mit dem Tod einer Radfahreri­n wurde viel über die Verantwort­ung der „Letzten Generation“diskutiert. Fühlen Sie sich verantwort­lich?

MEISEL Mich persönlich macht es unfassbar betroffen. Es tut mir außerorden­tlich leid, dass das passiert ist. Aber wir sorgen immer dafür, eine Rettungsga­sse zu bilden und informiere­n die Polizei rechtzeiti­g, wenn wir auf Autobahnsc­hilderbrüc­ken klettern. Wir versuchen uns so, bestmöglic­h abzusicher­n, damit so etwas nicht passiert. Es ist unser oberstes Ziel, das Leben aller zu schützen – denn die Bundesregi­erung tut das nicht. Deswegen müssen wir als Zivilbevöl­kerung selbst handeln. Dass die Autofahrer womöglich keine Rettungsga­sse bilden, darauf haben wir keinen Einfluss. Und Staus werden nicht nur durch uns verursacht, die entstehen tagtäglich.

Auf die aktuelle Pause soll jetzt ein Neustart der Proteste mit mehr Schlagkraf­t folgen. Müssen die Bürger mit noch härteren Protesten rechnen, auch in NRW?

MEISEL Zurzeit stoßen immer mehr Menschen zu uns dazu, die bereit sind, für den Erhalt unserer Lebensgrun­dlagen in den zivilen Widerstand zu gehen. Wir werden die Proteste solange fortführen, bis die Regierung entschloss­en gegen den Klimakolla­ps vorgeht. Die Bundesregi­erung hat es also jederzeit in der Hand, die Proteste zu beenden. Der Fokus wird weiterhin auf Berlin liegen, aber es wird immer wieder auch Proteste in Städten in NRW geben, wie zum Beispiel in Köln.

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FOTO: LENNART PREISS/DPA Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“bei einer Aktion in München.
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FOTO: LETZTE GENERATION Janina Meisel

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