Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Überlebt auf dem Tanker-Ruder
Elf Tage lang harrten drei Männer aus Nigeria aus, bis der Frachter in Spanien anlegte.
MADRID Es grenze an ein Wunder, dass die drei afrikanischen Flüchtlinge diese unglaubliche Odyssee auf dem Atlantik überlebt hätten, sagt José Antonio Rodríguez, Sprecher des Roten Kreuzes auf Gran Canaria. Elf Tage harrten die jungen Nigerianer auf dem Ruderblatt eines Tankers aus – bis sie nach dem Einlaufen des Schiffes im Hafen von Las Palmas de Gran Canaria gerettet wurden. Das Foto der zwischen 23 und 27 Jahre alten Migranten, die erschöpft, durchnässt und zitternd unter dem massigen Rumpf des Tankschiffes kauern, ging in den vergangenen Tagen um die Welt: Nur einen guten Meter über dem Wasserspiegel teilten sie sich eine winzige Fläche auf der Ruderanlage. Ein lebensgefährlicher Zufluchtsort, an dem jede falsche Bewegung oder eine größere Welle den Tod bedeutet hätte.
„Als sie gerettet wurden, konnten sie kaum sprechen“, berichtet Rodríguez. „Sie litten an erheblicher Unterkühlung“, sagte er dem Fernsehsender Antena 3. Die Afrikaner hätten sich beim Schlafen abgewechselt. Dabei habe immer einer aufgepasst, dass die anderen nicht ins Wasser fielen. Der 183 Meter lange Tanker „Alithini II“, der unter maltesischer Flagge fährt, hatte am 17. November in Nigerias Hauptstadt Lagos abgelegt. Im dortigen Hafen war es den drei Männern nachts gelungen, sich auf der Ruderanlage zu verstecken. Sie hatten aber nur Proviant für fünf Tage dabei. Entsprechend entkräftet waren sie, als sie nach elf Tagen, am 28. November, in Gran Canaria gerettet wurden. Kurz nach ihrer
Ankunft auf der Insel haben die drei Nigerianer Asylanträge gestellt. Spaniens Regierung versprach, dass sie bis zur Entscheidung über ihren Schutzstatus bleiben dürfen.
Nachdem ihr Schiff nach 4500 Kilometer langer Fahrt Gran Canaria erreichte, mussten die Flüchtlinge zunächst noch stundenlang in ihrem engen Versteck aushalten. Die „Alithini II“war im Morgengrauen in Hafennähe vor Anker gegangen. Doch erst am Nachmittag wurden die drei auf dem Ruder hockenden Migranten von der Besatzung eines Lotsenschiffs entdeckt, das den Tanker zum Anlegeplatz begleiten sollte. Als das von den Lotsen alarmierte Rettungsschiff „Nunki“eintraf, zückte dessen Kapitän Orlando Ramos routinemäßig sein Handy und schoss nebenbei jenes Foto, das die Welt bewegte. Es sei normal, dass die Rettungseinsätze mit Bildern dokumentiert werden, berichtet er. Die wirklich wichtige Arbeit sei eine andere gewesen: „Diese drei Menschen zu retten, die äußerst geschwächt angekommen sind.“
Kapitän Ramos ist seit 20 Jahren für Spaniens Seenotrettungsdienst im Einsatz. Fast täglich muss der 46Jährige mit seinem orangefarbenen, 21 Meter langen Rettungsschiff ausrücken, um Migranten zu retten. Allerdings versuchen die afrikanischen Flüchtlinge normalerweise, in Holz oder Schlauchbooten von der 250 Kilometer entfernten westafrikanischen Küste nach Gran Canaria überzusetzen. Rund 15.000 afrikanische Schutzsuchende kamen seit Januar auf den Kanarischen Inseln an. Die meisten stachen mit ihren Booten von Marokko oder von der von Marokko kontrollierten Westsahara aus in See. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum ging die Zahl der auf den Kanaren registrierten Boatpeople um 20 Prozent zurück. Vermutlich, weil sich die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Marokko beim Grenzschutz verbessert hat.
Nicht alle Migrantenboote kommen an ihrem Ziel an. Die Route über den Atlantik gilt als eine der gefährlichsten der Welt. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen im Vorjahr zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln mindestens 1532 Menschen um. Die UNMigrationsorganisation IOM geht von einer hohen Dunkelziffer aus.