Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
90 Jahre Heinemann: „Süßes tut der Seele gut“
1932 begannen Hermann und Hanni Heinemann in Mönchengladbach eine Erfolgsgeschichte. Kuchen und Pralinen der Konditorei Heinemann, die längst auch in Neuss eine Institution ist, sind berühmte Spezialitäten. Ein Besuch in der Produktion.
MÖNCHENGLADBACH/NEUSS Zu Beginn dürfen gleich zwei Geheimnisse verraten werden: Die legendäre grüne Tragetasche hätte eigentlich rosafarben werden sollen. Und spricht man von Champagner-Trüffeln, dann ist da ein „r“zu viel im Namen. Schon an dieser Stelle ist klar: Es geht um die Konditorei Heinemann. Der Traditionsbetrieb besteht jetzt stolze 90 Jahre, was den Chef Heinz-Richard Heinemann selbstbewusst feststellen lässt: „Nein, wir gehen nicht mit dem Zeitgeist. Qualität passt in jede Zeit.“
So bleibt auch im Jubiläumsjahr grundsätzlich alles beim Alten, was die verstorbenen Gründer Hermann und Johanna Heinemann, genannt Hanni, und den 1990 bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommenen Sohn Bernd sicherlich sehr gefreut hätte. Stolz ist man nicht nur auf die Produkte von der halbgefrorenen Grillage-Torte bis hin zum Klassiker Butter-Spekulatius, sondern auch darauf, dass Heinemann trotz seiner inzwischen bis zu 400 Mitarbeiter ein familiäres und soziales Unternehmen geblieben ist. „Betriebszugehörigkeiten von 30 oder 40 Jahren sind nichts Besonderes bei uns“, sagt der Mitinhaber.
Mitten im Interview klopft Hans Aretz an die Bürotür – als ob es noch eines Beweises für diese Aussage bedurft hätte. Der 88-Jährige, lange Zeit als Backstubenleiter tätig, holt sich gerade Zutaten für seinen Christstollen ab, den er jetzt nur noch für den Eigenbedarf herstellt, und will dem Chef mal kurz „hallo“sagen. Die Heinemanns seien schon immer Qualitätsfanatiker gewesen, bestätigt Aretz. „Mit dem Vater von Richard habe ich morgens ab vier Uhr in der Backstube neue Tortenrezepte entwickelt und notwendige Änderungen diskutiert, wenn zum Beispiel ein Kuchen im Verkauf unter 150 Stück täglich absackte oder die Äpfel qualitativ nicht passten.“Ja, Heinemann, das sei Teil seines Lebens und auch irgendwie sein Betrieb gewesen.
Was Konditor Michael Sliwinski, der gerade an der Baumkuchenmaschine arbeitet, ähnlich sieht: Schon sein Vater war hier beschäftigt. Jetzt muss Sliwinski gerade an einem Spezialofen mit rotierender Stange die Teigschichten so vorsichtig auftragen, dass sie nicht wieder abfallen, aber auch nicht zu trocken werden.
Auch hier gelte: „Die Kleinigkeiten machen den großen Unterschied. Das kann fast niemand mehr.“
Angefangen hatte alles 1932, als das Ehepaar Hermann und Hanni Heinemann aus dem westfälischen
Bad Driburg eine Konditorei in Mönchengladbach übernahm, deren fünf Vorbesitzer allesamt in Konkurs gegangen waren. Als Erstes verbannte Hermann Heinemann alle künstlichen Zutaten aus der Backstube. Sein
Credo: „Bloß keine Konservierungsstoffe, sonst gibt’s Ärger.“Die Herrentorte mit dem verschnörkelten Schokoladen-H darauf wurde eine seiner ersten eigenen Kreationen. Nach Kriegsende 1945 war Schlagsahne wie viele andere Lebensmittel ein rares Produkt. Da habe sein Vater die Schlagcreme erfunden, die mit Eiweiß, Fett und Zucker hergestellt wurde, erinnert sich Heinz-Richard Heinemann, der das süße Imperium seit fast drei Jahrzehnten leitet: „Dafür standen sonntags die Kunden in einer langen Schlange bis auf die Straße an.“Aus der kleinen Konditorei mit nur zwei Angestellten wuchs ein überregional bekanntes und vielfach ausgezeichnetes Unternehmen heran – heute ist Heinemann an 13 Standorten in sechs Städten zu finden, darunter in Neuss.
Die gegenwärtige Krise durch Corona und den Ukraine-Krieg bereitet dem Firmenchef keine Sorgen: „Süßes tröstet, das ist begehrt, es tut der Seele gut.“Außerdem habe das Unternehmen bereits viele schwere Zeiten überstanden, „denken Sie nur an die Kuba-Krise oder die Ölkrise“. Eine Kunst bestehe allerdings darin, trotz steigender Kosten so preiswert zu bleiben, dass die Kunden nicht abgeschreckt würden.
Der zeitlose Erfolgsfaktor seien die frischen Zutaten. Das Obst stamme aus der Region, die Nusspaste werde beispielsweise selbst hergestellt, und sogar die Äpfel würden durch Mitarbeiter gewaschen, geschält und gebacken. „Wir sind nicht abhängig von industrieller Vorproduktion. Schon mein Vater war unnachgiebig, wenn es um die Qualität ging. Das hat mich und meinen Bruder Bernd geprägt.“Es gehe bei den Kunden um die Geschmacksprägung, meint Heinz-Richard Heinemann.
Die grüne Tragetasche, in die bis heute Kuchen, Torten, Pralinen und Brote verpackt werden, ist ein besonderes Kapitel: Sie war und ist an den entlegensten Orten der Welt zu finden, irgendwo in Afrika oder in Amerika und sogar auf den 12.500 Kilometer entfernten Falkland-Inseln. Am Niederrhein stationierte britische Soldaten hatten sie nach dem Krieg gegen Argentinien an den Südpol importiert – neben all dem tarngrünen Gepäck fiel diese vertraute Tasche dem deutschen Reporter sofort ins Auge. „Sie sollte ursprünglich rosafarben werden, weil Grün für Konditoreien untypisch ist. Ich hatte den Entwurf inklusive der Schriftzüge für meinen Vater aufgemalt, der sofort begeistert war und nichts mehr ändern wollte“, erinnert sich Heinz-Richard Heinemann und gibt zu: „Für Designer ist das natürlich ein Horror-Objekt.“Aber vielleicht gerade deswegen ist die Tragetasche ein derartiges Markenzeichen geworden.
Ältere erinnern sich noch an Mutter Hanni Heinemann, die im Verkaufsraum wachsam über ihre Mitarbeiter schaute. Etliche Gymnasiastinnen verdienten sich dort ihr erstes Taschengeld, wenn sie bei viel Andrang an Wochenenden in weißer Bluse und schwarzem Rock hinter der Theke als Verkäuferinnen aushalfen – ein charmantes Lächeln war stets Pflicht.
1967, als die zentrale Backstube an der Krefelder Straße in Mönchengladbach eröffnet wurde, schickte Hermann Heinemann seine beiden Söhne Heinz-Richard und Bernd zur Ausbildung in die Schweiz. Sie sollten bei den besten Chocolatiers der Welt lernen. Das zahlte sich rasch aus. Denn Heinz-Richard Heinemann brachte als ‚‚Eidgenössisch diplomierter Konditor- und Confiseur-Meister“die Idee für die Champagne-Trüffel mit, bis heute wohl das bekannteste Heinemann-Produkt.
„Handarbeit“ist ein weiteres Stichwort, das Heinz-Richard Heinemann im Gespräch mehrfach erwähnt. „Keine Maschine hat zehn Finger, und keine Maschine hat das Gefühl. Wir sind eine Manufaktur, in der Unikate produziert werden.“In der sogenannten Backstube, ein sehr bescheidener Begriff für die weitläufige Anlage, fällt das immer wieder ins Auge: Mitarbeiter belegen per Hand Tortenböden, platzieren behutsam kleine bunte Zuckerherzen auf Marzipan-Scheiben oder verzieren Pralinenpackungen liebevoll mit goldenen Schleifen. Auf einem Tisch an der Wand stehen Weihnachtsmänner, Engel und Tannenbäumchen auf roten und goldenen Schachteln als Muster für die Angestellten bereit – die Weihnachtsproduktion läuft bald an.
„Reine Handarbeit im Schlaraffenland“hatte die Rheinische Post als Überschrift zum 75-jährigen Bestehen 2007 gewählt. „Auch wenn inzwischen ein Online-Shop hinzugekommen ist: Im Prinzip arbeiten wir noch heute so, wie mein Vater es vor 90 Jahren gemacht hat“, sagt Heinz-Richard Heinemann. Nachahmer im großen Stil befürchte er nicht. Die Produkte seien wie die Champagne-Trüffel aufgrund ihrer Zutaten nur begrenzt haltbar und müssten deshalb schnell verkauft werden, das sei für große Konzerne nicht interessant.
„Im Prinzip arbeiten wir noch heute so, wie mein Vater es vor 90 Jahren gemacht hat“Heinz-Richard Heinemann Konditorei Heinemann