Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Totalschaden für den deutschen Fußball
Schluss. Aus. Und vorbei also alles für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar. In der Vorrunde. Genau wie vor vier Jahren. Der zweite Totalschaden für den Deutschen Fußball-Bund bei zwei aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften. Im Rheinland geht das schon als Tradition durch. Ein drittes Mal, und das Scheitern würde Brauchtum. Das Debakel am Golf ist eines auf ganzer Linie – auf und neben dem Platz. Und es ist noch einmal desaströser als 2018. Denn diesmal lacht die Welt über Deutschland, lacht vereint und herzhaft über die vermeintlich so guten Kicker und mindestens genauso über eine für viele ach so bigotte und neunmalkluge Sicht der Deutschen auf die Missstände in Katar.
Sportlich ist das Ausscheiden hochverdient. Da gibt es keine zwei Meinungen. Überheblich gab man das erste Spiel gegen Japan aus der Hand, redete sich danach den einen Punkt gegen Spanien schön und agierte am Ende gegen Außenseiter Costa Rica defensiv so kopflos und offensiv so fahrlässig in der Chancenverwertung, dass es vielen wohl erst kurz vor Schluss bewusst wurde, dass man das Weiterkommen gar nicht mehr selbst in der Hand hatte. Doch es kamen eben keine Geschenke in Form eines spanischen Sieges, die einen fürchterlichen WM-Ausflug des DFB-Trosses mit dem Achtelfinal-Ticket hätten belohnen können. Stattdessen: Schadenfreude, Häme. In aller Welt. undestrainer Hansi Flick ist anzukreiden, dass er es seit seinem Amtsantritt nicht geschafft hat, eine Mannschaft zu formen, die den Ansprüchen des deutschen Fußballs und seiner Bundesliga gerecht wird. Es wurde viel getestet, es wurde viel getauscht, und am Ende steht die große Ratlosigkeit, wann und wo eigentlich all die Spieler mit internationaler Klasse abhandengekommen sind. Die drei Spiele von Katar vermittelten das Bild einer Nationalmannschaft, in der viele austauschbar sind, aber eben austauschbar ungenügend. Das ist bitter und wird den Ruf nach Reformen in der Ausbildung sofort wieder lauter werden lassen. Und das völlig zu Recht.
Doch Reformen braucht nicht nur der Nachwuchsbereich. Oliver Bierhoff hat als Manager der Nationalmannschaft eben diese über Jahre unwidersprochen zu einem marktkonformen Premium-Produkt umgestaltet, das zwar Werbepartnern gefällt, von dem sich die Fans aber in Scharen abwenden. Das DFB-Team ist unter Bierhoffs Ägide steril und künstlich geworden. Eine Welt für sich statt Mittelpunkt der Welt für Millionen Fußballfans. Für einen echten Neuanfang müsste Bierhoff gehen. Und gerade deshalb wird er wahrscheinlich bleiben dürfen. Machterhalt ist schließlich eine Kernkompetenz des DFB. ür die Heim-EM in zwei Jahren ist das Ausscheiden vom 1. Dezember 2022 jedenfalls in doppelter Hinsicht der schlimmste anzunehmende Fall. Sportlich liegt Fußball-Deutschland am Boden, und nach den Pseudo-Protesten vor Ort und dem dauernden Fuchteln mit dem Zeigefinger in der Heimat wird der Rest der Welt 2024 umso genauer hinschauen, ob die selbstgerechten Deutschen auch bitteschön die nachhaltigste, klimafreundlichste und sozialste Europameisterschaft aller Zeiten ausrichten. Und wehe, auf irgendeiner EM-Baustelle unterläuft 2024 ein Subunternehmer den Mindestlohn.
Als der DFB-Tross am Freitag den Flieger in die Heimat bestieg, hinterließ er einen Scherbenhaufen, der größer nicht sein könnte. Dabei dachten viele, das wäre schon 2018 der Fall gewesen. Doch damals war es ein Scherbenhaufen vier Jahre nach dem WM-Triumph, diesmal ist es der Scherbenhaufen eines vermeintlichen Neuaufbaus. Natürlich wird alles – wie man im Fußballjargon so sagt – „knallhart analysiert werden“, alles „auf den Tisch kommen“und „jeder Stein umgedreht werden“, um die richtigen Lehren aus dem Debakel zu ziehen. Das Ergebnis? Offen.
Nur eine Lehre darf man schon einmal direkt mit auf den Weg geben: Demut auf ganzer Linie ist angesagt. Immerhin: Für diese Demut kann man das Mannschaftsbild mit den zugehaltenen Mündern vom Japan-Spiel wunderbar als Werbemotiv recyceln.
BF