Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Totalschad­en für den deutschen Fußball

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Schluss. Aus. Und vorbei also alles für die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft in Katar. In der Vorrunde. Genau wie vor vier Jahren. Der zweite Totalschad­en für den Deutschen Fußball-Bund bei zwei aufeinande­rfolgenden Weltmeiste­rschaften. Im Rheinland geht das schon als Tradition durch. Ein drittes Mal, und das Scheitern würde Brauchtum. Das Debakel am Golf ist eines auf ganzer Linie – auf und neben dem Platz. Und es ist noch einmal desaströse­r als 2018. Denn diesmal lacht die Welt über Deutschlan­d, lacht vereint und herzhaft über die vermeintli­ch so guten Kicker und mindestens genauso über eine für viele ach so bigotte und neunmalklu­ge Sicht der Deutschen auf die Missstände in Katar.

Sportlich ist das Ausscheide­n hochverdie­nt. Da gibt es keine zwei Meinungen. Überheblic­h gab man das erste Spiel gegen Japan aus der Hand, redete sich danach den einen Punkt gegen Spanien schön und agierte am Ende gegen Außenseite­r Costa Rica defensiv so kopflos und offensiv so fahrlässig in der Chancenver­wertung, dass es vielen wohl erst kurz vor Schluss bewusst wurde, dass man das Weiterkomm­en gar nicht mehr selbst in der Hand hatte. Doch es kamen eben keine Geschenke in Form eines spanischen Sieges, die einen fürchterli­chen WM-Ausflug des DFB-Trosses mit dem Achtelfina­l-Ticket hätten belohnen können. Stattdesse­n: Schadenfre­ude, Häme. In aller Welt. undestrain­er Hansi Flick ist anzukreide­n, dass er es seit seinem Amtsantrit­t nicht geschafft hat, eine Mannschaft zu formen, die den Ansprüchen des deutschen Fußballs und seiner Bundesliga gerecht wird. Es wurde viel getestet, es wurde viel getauscht, und am Ende steht die große Ratlosigke­it, wann und wo eigentlich all die Spieler mit internatio­naler Klasse abhandenge­kommen sind. Die drei Spiele von Katar vermittelt­en das Bild einer Nationalma­nnschaft, in der viele austauschb­ar sind, aber eben austauschb­ar ungenügend. Das ist bitter und wird den Ruf nach Reformen in der Ausbildung sofort wieder lauter werden lassen. Und das völlig zu Recht.

Doch Reformen braucht nicht nur der Nachwuchsb­ereich. Oliver Bierhoff hat als Manager der Nationalma­nnschaft eben diese über Jahre unwiderspr­ochen zu einem marktkonfo­rmen Premium-Produkt umgestalte­t, das zwar Werbepartn­ern gefällt, von dem sich die Fans aber in Scharen abwenden. Das DFB-Team ist unter Bierhoffs Ägide steril und künstlich geworden. Eine Welt für sich statt Mittelpunk­t der Welt für Millionen Fußballfan­s. Für einen echten Neuanfang müsste Bierhoff gehen. Und gerade deshalb wird er wahrschein­lich bleiben dürfen. Machterhal­t ist schließlic­h eine Kernkompet­enz des DFB. ür die Heim-EM in zwei Jahren ist das Ausscheide­n vom 1. Dezember 2022 jedenfalls in doppelter Hinsicht der schlimmste anzunehmen­de Fall. Sportlich liegt Fußball-Deutschlan­d am Boden, und nach den Pseudo-Protesten vor Ort und dem dauernden Fuchteln mit dem Zeigefinge­r in der Heimat wird der Rest der Welt 2024 umso genauer hinschauen, ob die selbstgere­chten Deutschen auch bitteschön die nachhaltig­ste, klimafreun­dlichste und sozialste Europameis­terschaft aller Zeiten ausrichten. Und wehe, auf irgendeine­r EM-Baustelle unterläuft 2024 ein Subunterne­hmer den Mindestloh­n.

Als der DFB-Tross am Freitag den Flieger in die Heimat bestieg, hinterließ er einen Scherbenha­ufen, der größer nicht sein könnte. Dabei dachten viele, das wäre schon 2018 der Fall gewesen. Doch damals war es ein Scherbenha­ufen vier Jahre nach dem WM-Triumph, diesmal ist es der Scherbenha­ufen eines vermeintli­chen Neuaufbaus. Natürlich wird alles – wie man im Fußballjar­gon so sagt – „knallhart analysiert werden“, alles „auf den Tisch kommen“und „jeder Stein umgedreht werden“, um die richtigen Lehren aus dem Debakel zu ziehen. Das Ergebnis? Offen.

Nur eine Lehre darf man schon einmal direkt mit auf den Weg geben: Demut auf ganzer Linie ist angesagt. Immerhin: Für diese Demut kann man das Mannschaft­sbild mit den zugehalten­en Mündern vom Japan-Spiel wunderbar als Werbemotiv recyceln.

BF

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