Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das waren die Fehler von Hansi Flick
ANALYSE Keine defensive Stabilität, Nibelungentreue zu verdienten Spielern, Fehler in der Aufstellung: Der Bundestrainer muss sich nach dem peinlichen Aus in der Vorrunde berechtigte Kritik gefallen lassen. Wir zeigen auf, was dem Übungsleiter in diesem Jahr misslang.
Nein, die deutsche FußballNationalmannschaft spielte bei dieser Weltmeisterschaft keinen unterirdischen Fußball. Daran lag es zweifelsohne nicht, dass die DFB-Auswahl am Freitag bereits nach der Vorrunde aus Doha abreisen musste. Die Gründe dafür sind aber nicht nur im Pech zu suchen, sondern auch bei Bundestrainer Hansi Flick.
Das Grundproblem dieser Mannschaft, das Flick bis jetzt nicht in den Griff bekommen hat: die defensive Stabilität. In nahezu allen Partien, die er verantwortete, schickte er eine veränderte Defensivreihe auf das Feld. So auch bei dieser Weltmeisterschaft. Allein die Rechtsverteidigerposition wurde in jedem Spiel anders besetzt. Gegen Japan verteidigte Niklas Süle dort,
Thilo Kehrer durfte sich gegen Spanien versuchen und am Donnerstag gegen Costa Rica stellte Flick plötzlich Joshua Kimmich auf, obwohl er stets selbst betonte, den BayernSpieler im defensiven Mittelfeld am stärksten zu sehen. Ach ja, auch Lukas Klostermann durfte mal ran.
Es ist allgemein bekannt, dass das Verteidigen nicht erst in der letzten Reihe beginnt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine Viererkette auf höchstem Niveau eingespielt sein muss, damit sie richtig funktioniert. Defensive Stabilität ist aber, wenn man so will, das größte Problem einer jeden Flick-Mannschaft. Das war auch beim FC Bayern der Fall, mit dem er immerhin sechs Titel gewann.
„Wir haben zu oft den Gegenspieler freigelassen und nicht zugestellt, vor allem die Verteidiger. Da habe ich mir viel mehr erwartet“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger. Das ist durchaus Flick anzukreiden, der für eine offensive Spielweise steht und lieber ein Tor mehr erzielt als der Gegner. Das mag mit Vereinsmannschaften gutgehen, wenn man insgesamt 34 Spiele (wie in der Bundesliga) Zeit hat, mögliche Pleiten auszubügeln. Bei einem Turnier mit drei Spielen in der Gruppenphase, bei dem jede Niederlage das Aus bedeuten kann (wie nun geschehen), sollte der Fokus aber auf defensiver Stabilität liegen.
So war es fast erschreckend, dass die deutsche Mannschaft keine Antwort im ersten Gruppenspiel gegen Japan fand, als der Gegner das System änderte. Ein Impuls von Flick? Fehlanzeige.
Freilich lässt sich Stabilität nicht innerhalb einer Woche Vorbereitung auf die WM erlernen. Aber Flick hatte im gesamten Spieljahr über immer wieder experimentiert, sogar im letzten Testspiel gegen den Oman nicht die erste Elf aufgeboten. Ein Fehler, wie sich nun herausstellt.
„Wir haben Spieler mit Topqualität“, sagte Flick trotzig nach dem Aus über seine Mannschaft. Das mag sein, gehören Akteure wie Antonio
Rüdiger, Leroy Sané oder Ilkay Gündogan zu den Besten der Welt. Doch Flicks personelle Entscheidungen lassen durchaus Raum für Kritik, das Festhalten an verdienten Spielern war bei diesem Turnier nicht zielführend. Statt nach Form aufzustellen, versuchte er es rein mit Routine. So gut der DFB-Kader besetzt ist, so sehr fällt die Abschlussschwäche auf.
Gegen Costa Rica traf Deutschland immerhin vier Mal. Doch bereits zur Pause hätten deutlich mehr Tore als das eine von Serge Gnabry fallen müssen. Die deutsche Mannschaft schaffte es zwar, die eigenen Spieler in Abschlusssituationen zu bringen, es waren aber die falschen. Und auch hier muss sich Flick hinterfragen lassen. In einem Spiel, in dem merklich direkt von Beginn an auf möglichst viele Treffer gespielt werden sollte, hätte ein echter Mittelstürmer
wie Niclas Füllkrug deutlich effektiver sein können als Thomas Müller, der bei diesem Turnier eher wie ein Fremdkörper wirkte.
Das vielleicht größte Problem Flicks ist aber, dass auch er die Überheblichkeit aus dieser Mannschaft nicht herausbekommen hat – und sie selbst sogar forcierte. Statt einer ehrlichen Einordnung der Leistungsstärke seiner Mannschaft beschwor er stets das Ziel, Weltmeister werden zu wollen. So trat sein Team mitunter hochnäsig auf und fiel damit auf die Nase – wie übrigens schon in der Nations League gegen vermeintlich kleine Gegner.
Als Flick am Ende des Abends die Ausbildung in Deutschland kritisierte, kritisierte er sich selbst. Dass in Deutschland gute Außenverteidiger und herausragende Mittelstürmer rar gesät sind, liegt zumindest auch ein bisschen an ihm.