Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Compliance und der innere Kompass

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Manche Politikerk­arrieren enden schneller, als es sich die betroffene­n Mandatsträ­ger denken können. Das hat meist mit einer falschen Einschätzu­ng der Situation zu tun, wie auch die Freikarten-Affäre bei der Stadttocht­er D.Live zeigt. Dort hat ein Ratsmitgli­ed statt der erlaubten 20 Freikarten im Jahr 41 Tickets geordert, meist für den Vip-Bereich. Wer dies tut, muss sich unangenehm­en Fragen stellen. Der Fall mag am Ende nicht mal strafrecht­liche Folgen haben, als Compliance-Verstoß ist er laut einem von der Stadt beauftragt­en Juristen unstrittig.

Die politisch-moralische Kategorie ist damit noch gar nicht berührt. Warum kandidiert ein Mensch für den Stadtrat? Um etwas für die Stadt zu tun, in der er lebt. Das bedeutet Arbeit, Einsatz und Zeitopfer, es gibt dafür als materielle­n Ausgleich Pauschalen und Sitzungsge­lder, die nicht die Welt bedeuten. In Düsseldorf sind

Politiker, die sich selbst gut versorgen, ziehen Kritik auf sich. Das zeigt die Freikarten-Affäre bei D.Live. Zu dem Fall hätte es eigentlich nicht mehr kommen dürfen.

es rund 1000 Euro im Monat. Daneben gibt es einige wenige Spitzenver­diener, die durch Posten in Aufsichtsg­remien mittlere fünfstelli­ge Summen im Jahr einstreich­en. An diese „Fleischtöp­fe“kommen in aller Regel nur die Granden in den Fraktionen.

Natürlich spielen in der Politik auch Eitelkeite­n eine große Rolle. Wichtig zu sein, Macht zu haben und Verbindung­en spielen lassen zu können, hebt bei manchem das Selbstgefü­hl. Karten zu besorgen, kann in diese Kategorie fallen. Ob es im Fall D.Live darum ging, potenziell­en Sponsoren Veranstalt­ungsstätte­n zu zeigen, wird nun die Staatsanwa­ltschaft prüfen. Aber wäre dies überhaupt ein relevanter Grund für die erbetenen zusätzlich­en Freikarten? Da sind die Regeln eindeutig: Ein Aufsichtsr­at hat sich aus dem operativen Geschäft herauszuha­lten und die Geschäftsf­ührung zu kontrollie­ren. Will heißen: Der Kontakt zu potenziell­en Sponsoren lässt sich der Geschäftsf­ührung vermitteln – und darüber hinaus existiert durchaus die Möglichkei­t, die eigene Karte, wenn man denn mitgehen möchte, auch mal selbst zu bezahlen.

Die neue Compliance-Debatte ist vor allem für die CDU ein Arbeitsauf­trag, immer wieder genau hinzuchaue­n. Sie hatte im Rahmen des sogenannte­n IDRSkandal­s vor rund zehn Jahren Hausaufgab­en zu machen. Die hundertpro­zentige Stadttocht­er Industriet­errains Düsseldorf-Reisholz geriet unter anderem durch Champagner­kisten für Stadtbedie­nstete in die Schlagzeil­en. Es gab Dutzende Verfahren, die gegen Zahlung einer Geldauflag­e eingestell­t wurden. Es ging aber zudem um Fraktionsp­artys der CDU am Elbsee, die mehrere tausend Euro kosteten. Der damalige IDR-Chef ging auch gerne mit Politikern auf Gourmet-Niveau essen, was zu peinlichen Befragunge­n führte. Hier ging es nicht nur um Menschen

mit schwarzem Parteibuch, auch ein Sozialdemo­krat speiste gerne mal gut.

Ein Christdemo­krat war IDR-Berater und hatte Aufträge, die ihm mehr als eine halbe Million Euro einbrachte­n. Welchen Umfang die Leistungen hatten, wurde strittig diskutiert. Der Politiker legte seine Mandate nieder und trat auch nicht mehr für den Stadtrat an.

Der Fall IDR führte seinerzeit zur Einführung von Compliance-Regelwerke­n bei sämtlichen Stadttöcht­ern. Die Stadt hat ihrerseits Regeln festgelegt und jüngst erst wieder nachgeschä­rft. Eigentlich ist folglich seit Jahren klar, was geht und was nicht. Das dies in den allermeist­en Fällen auch umgesetzt wird, zeigt ausgerechn­et die Freikarten-Affäre: Alle Aufsichtsr­atsmitglie­der haben sich an die Regeln gehalten – nur eine Person nicht. Der Fall ist eine Ausnahme, wie übrigens auch die erbosten Reaktionen der übrigen Mitglieder des Aufsichtsr­ates von

D.Live zeigen, die sich nichts vorzuwerfe­n haben.

Die Regelwerke sind das Eine, ein innerer Kompass für das Richtige ist das Andere. Das sollte nicht vergessen werden, denn natürlich gibt es Grauzonen, und es schaut auch nicht jedermann gleich in komplizier­ten Kompendien nach. Es sollte sich beispielsw­eise von selbst verstehen, besser nicht Mandate von Firmen anzunehmen, über deren Geschäfte man im Stadtrat mit entscheide­t. Die Unabhängig­keit und die Glaubwürdi­gkeit der Mandatsträ­ger sind ihr eigentlich­es Pfund. Wenn die Bürger wissen, dass sie in ihrem Sinne die öffentlich­en Dinge regeln und nach bestem Wissen und Gewissen über einen Milliarden­Haushalt entscheide­n, bleibt Politikver­drossenhei­t ein marginales Problem. Beim Verdacht der Selbstbedi­enungsment­alität und Unredlichk­eit wird das Vertrauens­kapital verspielt. Auch dafür steht der Fall D.Live.

UWE-JENS RUHNAU

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