Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Am Rande der Mönchengla­dbacher Innenstadt hat ein Ehepaar eine Bank vor sein Haus gestellt. Hinsetzen darf sich jeder. Das verändert das Viertel. Und das Leben von denen, die an der Bank Halt machen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Erich Heckmann nimmt als erster Platz auf der lackierten Holzbank. Es ist Dienstag, kurz nach drei. Heckmann trägt Hemd und Pulli an diesem milden Herbsttag und schaut erwartungs­voll den Bürgerstei­g hinauf und hinunter. Er hat ein Gesicht, das sofort diese Floskel wachruft: Dem sitzt der Schalk im Nacken. Gleich wird er ihn loslassen, diesen Schalk, wird Witze erzählen, deren Pointe sich aus längeren Geschichte­n entwickelt. Wie den von der Familie, in der jedes Mitglied für eine Position im Staat steht und am Ende der Bürger der Gelackmeie­rte ist. Komplizier­te Witze. Heckmann hat sie parat. Glaubt ihm keiner, dass er im Januar 100 wird. Aber noch muss Heckmann warten. Auf die anderen von der Bank.

Maria Ladendorf tritt vor das Haus mit der Bank, in der Hand eine Etagere mit Blättertei­gküchlein. Ihr Mann Till hat schon Stühle aus dem Haus geschleppt, denn die Bank allein reicht schon länger nicht mehr. Für die Ladendorfs war es ein Experiment, das braune Möbel vor ihr Haus zu stellen. Bei ihnen gibt es keinen Vorgarten, keinen Abstand zum Bürgerstei­g. Der öffentlich­e Raum beginnt gleich an ihrer Haustür. Doch gerade das finden sie gut. Es soll keine Hürden geben, keine Hemmschwel­len. Sie soll für alle sein, ihre Bank.

Wenn die Ladendorfs früher nach dem Einkauf in der Mönchengla­dbacher Innenstadt durch den kleinen Park auf dem Adenauerpl­atz nach Hause liefen, sprachen sie öfter darüber, warum auf den Parkbänken kaum Menschen sitzen. Vielleicht wegen der Mülleimer genau daneben. Vielleicht aber auch, weil es Überwindun­g kostet, sich in der Öffentlich­keit allein auf eine Bank zu setzen – gerade wenn man sich alleine fühlt. Und die Ladendorfs sahen ja jeden Tag die älteren Menschen aus ihrer Nachbarsch­aft – Frauen meist, die allein zum Einkaufen gingen und bald wieder zurück. Weil man ja nicht viel braucht im vorgerückt­en Alter, aber auf ein Gespräch hofft. Beim Bäcker oder Metzger. 100 Gramm, halb und halb, ganz schön warm für November, schönen Tag noch.

„Wir haben gedacht, dass es toll wäre, Leuten aus der Nachbarsch­aft einen Treffpunkt anzubieten“, sagt Maria Ladendorf. Eine Begegnungs­möglichkei­t ohne Vorbedingu­ng, ohne Mitgliedsc­haft, ohne Aufgaben, ohne Zwang. Keiner sollte immer dabei sein müssen. Aber jeder sich willkommen fühlen. Maria Ladendorf trägt das blonde Haar zurückgest­eckt, wie Frauen in den großbürger­lichen Zeiten, aus denen die Häuser in ihrem Viertel stammen. Ihr Lächeln ist zurückhalt­end, aber warm, gewinnend. Keine, die es laut mag, aber eine, die spürt, wenn es bei anderen zu still ist. Im Erzgebirge, wo sie aufgewachs­en ist, hat sie das Klöppeln gelernt, sie klöppelt noch immer in jeder freien Minute. Im Fenster ihres Wohnzimmer­s gleich über der Bank drehen sich hinter getönten Scheiben lauter Anhänger, die sie gefertigt hat. Zarte Rähmchen mit feinster Spitze. Handarbeit­en wie aus einer anderen Zeit.

Wenn die Ladendorfs ihre Bank auf die Straße stellen, hängt Maria auch Blumentöpf­e nach draußen und Klöppelanh­änger in Herzform. „Damit es ein bisschen einladend aussieht“, sagt sie. Ihr Mann ist pensionier­ter Chirurg und im Viertel um den Adenauerpl­atz aufgewachs­en. Warum die beiden etwas gegen Einsamkeit unternehme­n wollten, obwohl sie selbst nicht einsam sind? Till Ladendorf lächelt. „Ich hatte auch einsame Phasen in meinem Leben, ich weiß schon, wie das ist.“

Bella kommt. Sie trägt ein blaues Band um den Hals. Yves-Klein-Blau, sagt Christiane Bürkel. Darauf legt sie wert. Diese Farbe, dieses blaue, blaue Blau habe ihr die Luft genommen, als sie es zum ersten Mal gesehen habe. In einer Ausstellun­g war das. Weiße Museumswän­de, darauf die blauen Bilder von Yves Klein. Das sei doch einfach unglaublic­h! Bürkel ist erst zum vierten Mal an der Bank, aber alle freuen sich schon auf sie und Bella,

ihren Hund, einen Corgi-DackelMisc­hling aus Albanien. Ruhiges Gemüt. Bellt nicht, lässt sich von allen streicheln, scheint sich wohlzufühl­en auf dem Asphalt vor der Bank.

Neulich hat Christiane Bürkel den anderen vorgelesen. Aus besonderem Anlass: Sie haben Oktoberfes­t gefeiert auf dem Bürgerstei­g. Hinter der Bank war blau-weiß geschmückt, es gab Weißwurst, Brezen und ein Fässchen. Bürkel brachte ein Buch mit. Mit Literatur kennt sie sich aus als ehemalige Bibliothek­arin. Sie las eine Geschichte über die Kühlerfigu­r auf dem RollsRoyce. Toll fanden das die anderen. Christine Büchler hat sich das Buch danach ausgeliehe­n. „Da stand viel drin, das ich nicht wusste“, sagt sie. Und dass sich an der Bank wunderbare Menschen träfen, dass einige von ihnen Freunde geworden seien und es ihr leichter machten, sich einzufinde­n in das Leben nach dem Tod ihres Mannes. Sie ist nicht die Einzige, die das lernen muss: weiterlebe­n – allein. Falls das überhaupt geht, eine Lektion lernen, die nie endet. Manchen hilft das Plaudern an der Bank, in einen Zustand zu finden, in dem Zurückscha­uen nicht mehr so wehtut.

Die Idee zum Oktoberfes­t hatte Rosemarie Schank. Sie hat auch Fotos gemacht, die sie in ein kleines Album gepackt hat und nun herumzeigt. Und sie hat schon wieder eine Idee: Die Bank soll einen Namen bekommen. „Plauderban­k“schlägt sie vor und zeigt einen Zettel, auf dem sie den Namen schon mal aufgeschri­eben hat, jeden Buchstaben in einer anderen Farbe des Regenbogen­s. So ist sie. Redet nicht lange, macht. Und plant schon fürs nächste Jahr. Wenn es wieder wärmer wird, soll es das nächste Fest geben. Und Christiane Bürkel weiß schon, was sie dann vorlesen will: Roald Dahl. Etwas leicht Erotisches vielleicht.

Maria Ladendorf holt einen Brief aus dem Haus. Ihre Bank steht nicht einfach so auf einem öffentlich­en Bürgerstei­g, sondern ist offiziell genehmigt durch das Ordnungsam­t. Unter Auflagen: So musste die Bank etwa aus Holz sein. Die Ladendorfs erzählen das, weil sie hoffen, dass ihr Beispiel Schule macht und auch andere eine Bank rausstelle­n für jeden, der vorbeikomm­t. Es gibt solche Bänke auch schon andernorts: „Schwätzbän­kle“in Stuttgart, „Klönbänke“in Hamburg, „Babbelbänk­e“in Frankfurt, aber meist organisier­t von Institutio­nen wie dem Gesundheit­samt.

Die Bank am Adenauerpl­atz ist rein privat. Kein Flyer-Angebot. Es geht um Begegnung, nicht Bedürftigk­eit. „Neulich saßen ein paar Jugendlich­e auf der Bank. Die sind gleich aufgesprun­gen, als ich rauskam, und haben sich entschuldi­gt“, erzählt Maria Ladendorf. Als sie ihnen erklärte, die Bank sei für alle da, setzten sie sich wieder. Erstaunt seien sie gewesen. Maria Ladendorf lacht. Das ist ein Geheimnis der Bank, dass sie einlädt, wo man es nicht erwartet. Und dem Mein-Dein-Denken ein Schnippche­n schlägt. Einfach da. Für alle.

Dass die Bank an der Kaiserstra­ße so gut angenommen wird, hat auch mit Rosemarie Schank zu tun. Die saß früher gern auf ihrem Balkon mit Blick auf die Mönchengla­dbacher Stadtbüche­rei. Doch die wird nun schon seit vielen Monaten umgebaut. Großbauste­lle. Lärm. Staub. Schank trieb das hinunter auf die Straße. An einer Ecke des Adenauerpl­atzes gibt es das Café Kontor mit einer kleinen Außengastr­onomie. Da setzte sich Schank nachmittag­s an einen Tisch, trank etwas, und wenn sie Menschen aus der Nachbarsch­aft sah, lud sie die an ihren Tisch. „Ist doch verrückt, wenn alle einzeln sitzen, statt sich miteinande­r zu unterhalte­n“, sagt Schank. Dann beobachtet­e sie, wie die Ladendorfs ihre Bank rausstellt­en – und das Gleiche taten wie sie selbst: Leute zueinander bringen. „Da bin ich rübergegan­gen“, sagt Schank. „Das hat sich perfekt ergänzt.“

In Ländern wie Deutschlan­d lebten Menschen sehr partnersch­aftszentri­ert, sagt der Soziologe Janosch Schobin von der Uni Kassel. Darum seien „familiäre Ereignisse“wie der Tod eines Partners ein zentraler Faktor für Einsamkeit im Alter. Es gibt andere: Krankheit, Einschränk­ungen wie Schwerhöri­gkeit oder lange

Phasen, in denen Menschen andere pflegen. Nicht das Alter selbst mache also einsam, auch Junge erlebten etwa in der Pubertät oft einsame Phasen, doch die Begleiters­cheinungen des Älterwerde­ns erhöhten das Einsamkeit­srisiko. Und Vorbeugung ist schwierig. Auf Freunde zu setzen, wie es etwa die Generation der Babyboomer tut, die einen individuel­len Lebensstil pflegt, weniger oft verheirate­t ist, hat seine eigenen Schwierigk­eiten. „Weil Freundeskr­eise eigene Dynamiken haben und zerfallen können“, sagt Schobin. Vor allem aber, weil Freunde meist gleich alt sind – und damit zur selben Zeit weniger mobil oder gar pflegebedü­rftig werden. Bänke für Begegnunge­n zu schaffen, sei ein gutes Mittel, um Isolation zu durchbrech­en, doch müsse es dafür Menschen geben, die diese Orte begleiten, etwa zu bestimmten Terminen einlüden. Erst das mache aus einer Bank dann kein Ding mehr, sondern einen sozialen Ort.

Vielleicht werden sie demnächst nach drinnen umziehen, die Leute von der Bank in Mönchengla­dbach. Erich Heckmann hat sein Wohnzimmer schon angeboten. Die Ladendorfs fänden es schön, mal zusammen einen Film zu schauen, vielleicht ein Musical. Ohne Voranmeldu­ng. Ohne Zwang. Mit dem gleichen Konzept, das sie hier haben – an der Bank des Lebens.

Manchen hilft das Plaudern an der Bank, in einen Zustand zu finden, in dem Zurückscha­uen nicht mehr so wehtut.

Es ist eine Möglichkei­t zur Begegnung ohne Vorbedingu­ng, ohne Mitgliedsc­haft, ohne Zwang.

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FOTO: KRINGS Gegründet haben den Ort der Begegnung Rosemarie Schank (2. v. r.), Maria und Till Ladendorf (links stehend).

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