Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Am Rande der Mönchengladbacher Innenstadt hat ein Ehepaar eine Bank vor sein Haus gestellt. Hinsetzen darf sich jeder. Das verändert das Viertel. Und das Leben von denen, die an der Bank Halt machen.
Erich Heckmann nimmt als erster Platz auf der lackierten Holzbank. Es ist Dienstag, kurz nach drei. Heckmann trägt Hemd und Pulli an diesem milden Herbsttag und schaut erwartungsvoll den Bürgersteig hinauf und hinunter. Er hat ein Gesicht, das sofort diese Floskel wachruft: Dem sitzt der Schalk im Nacken. Gleich wird er ihn loslassen, diesen Schalk, wird Witze erzählen, deren Pointe sich aus längeren Geschichten entwickelt. Wie den von der Familie, in der jedes Mitglied für eine Position im Staat steht und am Ende der Bürger der Gelackmeierte ist. Komplizierte Witze. Heckmann hat sie parat. Glaubt ihm keiner, dass er im Januar 100 wird. Aber noch muss Heckmann warten. Auf die anderen von der Bank.
Maria Ladendorf tritt vor das Haus mit der Bank, in der Hand eine Etagere mit Blätterteigküchlein. Ihr Mann Till hat schon Stühle aus dem Haus geschleppt, denn die Bank allein reicht schon länger nicht mehr. Für die Ladendorfs war es ein Experiment, das braune Möbel vor ihr Haus zu stellen. Bei ihnen gibt es keinen Vorgarten, keinen Abstand zum Bürgersteig. Der öffentliche Raum beginnt gleich an ihrer Haustür. Doch gerade das finden sie gut. Es soll keine Hürden geben, keine Hemmschwellen. Sie soll für alle sein, ihre Bank.
Wenn die Ladendorfs früher nach dem Einkauf in der Mönchengladbacher Innenstadt durch den kleinen Park auf dem Adenauerplatz nach Hause liefen, sprachen sie öfter darüber, warum auf den Parkbänken kaum Menschen sitzen. Vielleicht wegen der Mülleimer genau daneben. Vielleicht aber auch, weil es Überwindung kostet, sich in der Öffentlichkeit allein auf eine Bank zu setzen – gerade wenn man sich alleine fühlt. Und die Ladendorfs sahen ja jeden Tag die älteren Menschen aus ihrer Nachbarschaft – Frauen meist, die allein zum Einkaufen gingen und bald wieder zurück. Weil man ja nicht viel braucht im vorgerückten Alter, aber auf ein Gespräch hofft. Beim Bäcker oder Metzger. 100 Gramm, halb und halb, ganz schön warm für November, schönen Tag noch.
„Wir haben gedacht, dass es toll wäre, Leuten aus der Nachbarschaft einen Treffpunkt anzubieten“, sagt Maria Ladendorf. Eine Begegnungsmöglichkeit ohne Vorbedingung, ohne Mitgliedschaft, ohne Aufgaben, ohne Zwang. Keiner sollte immer dabei sein müssen. Aber jeder sich willkommen fühlen. Maria Ladendorf trägt das blonde Haar zurückgesteckt, wie Frauen in den großbürgerlichen Zeiten, aus denen die Häuser in ihrem Viertel stammen. Ihr Lächeln ist zurückhaltend, aber warm, gewinnend. Keine, die es laut mag, aber eine, die spürt, wenn es bei anderen zu still ist. Im Erzgebirge, wo sie aufgewachsen ist, hat sie das Klöppeln gelernt, sie klöppelt noch immer in jeder freien Minute. Im Fenster ihres Wohnzimmers gleich über der Bank drehen sich hinter getönten Scheiben lauter Anhänger, die sie gefertigt hat. Zarte Rähmchen mit feinster Spitze. Handarbeiten wie aus einer anderen Zeit.
Wenn die Ladendorfs ihre Bank auf die Straße stellen, hängt Maria auch Blumentöpfe nach draußen und Klöppelanhänger in Herzform. „Damit es ein bisschen einladend aussieht“, sagt sie. Ihr Mann ist pensionierter Chirurg und im Viertel um den Adenauerplatz aufgewachsen. Warum die beiden etwas gegen Einsamkeit unternehmen wollten, obwohl sie selbst nicht einsam sind? Till Ladendorf lächelt. „Ich hatte auch einsame Phasen in meinem Leben, ich weiß schon, wie das ist.“
Bella kommt. Sie trägt ein blaues Band um den Hals. Yves-Klein-Blau, sagt Christiane Bürkel. Darauf legt sie wert. Diese Farbe, dieses blaue, blaue Blau habe ihr die Luft genommen, als sie es zum ersten Mal gesehen habe. In einer Ausstellung war das. Weiße Museumswände, darauf die blauen Bilder von Yves Klein. Das sei doch einfach unglaublich! Bürkel ist erst zum vierten Mal an der Bank, aber alle freuen sich schon auf sie und Bella,
ihren Hund, einen Corgi-DackelMischling aus Albanien. Ruhiges Gemüt. Bellt nicht, lässt sich von allen streicheln, scheint sich wohlzufühlen auf dem Asphalt vor der Bank.
Neulich hat Christiane Bürkel den anderen vorgelesen. Aus besonderem Anlass: Sie haben Oktoberfest gefeiert auf dem Bürgersteig. Hinter der Bank war blau-weiß geschmückt, es gab Weißwurst, Brezen und ein Fässchen. Bürkel brachte ein Buch mit. Mit Literatur kennt sie sich aus als ehemalige Bibliothekarin. Sie las eine Geschichte über die Kühlerfigur auf dem RollsRoyce. Toll fanden das die anderen. Christine Büchler hat sich das Buch danach ausgeliehen. „Da stand viel drin, das ich nicht wusste“, sagt sie. Und dass sich an der Bank wunderbare Menschen träfen, dass einige von ihnen Freunde geworden seien und es ihr leichter machten, sich einzufinden in das Leben nach dem Tod ihres Mannes. Sie ist nicht die Einzige, die das lernen muss: weiterleben – allein. Falls das überhaupt geht, eine Lektion lernen, die nie endet. Manchen hilft das Plaudern an der Bank, in einen Zustand zu finden, in dem Zurückschauen nicht mehr so wehtut.
Die Idee zum Oktoberfest hatte Rosemarie Schank. Sie hat auch Fotos gemacht, die sie in ein kleines Album gepackt hat und nun herumzeigt. Und sie hat schon wieder eine Idee: Die Bank soll einen Namen bekommen. „Plauderbank“schlägt sie vor und zeigt einen Zettel, auf dem sie den Namen schon mal aufgeschrieben hat, jeden Buchstaben in einer anderen Farbe des Regenbogens. So ist sie. Redet nicht lange, macht. Und plant schon fürs nächste Jahr. Wenn es wieder wärmer wird, soll es das nächste Fest geben. Und Christiane Bürkel weiß schon, was sie dann vorlesen will: Roald Dahl. Etwas leicht Erotisches vielleicht.
Maria Ladendorf holt einen Brief aus dem Haus. Ihre Bank steht nicht einfach so auf einem öffentlichen Bürgersteig, sondern ist offiziell genehmigt durch das Ordnungsamt. Unter Auflagen: So musste die Bank etwa aus Holz sein. Die Ladendorfs erzählen das, weil sie hoffen, dass ihr Beispiel Schule macht und auch andere eine Bank rausstellen für jeden, der vorbeikommt. Es gibt solche Bänke auch schon andernorts: „Schwätzbänkle“in Stuttgart, „Klönbänke“in Hamburg, „Babbelbänke“in Frankfurt, aber meist organisiert von Institutionen wie dem Gesundheitsamt.
Die Bank am Adenauerplatz ist rein privat. Kein Flyer-Angebot. Es geht um Begegnung, nicht Bedürftigkeit. „Neulich saßen ein paar Jugendliche auf der Bank. Die sind gleich aufgesprungen, als ich rauskam, und haben sich entschuldigt“, erzählt Maria Ladendorf. Als sie ihnen erklärte, die Bank sei für alle da, setzten sie sich wieder. Erstaunt seien sie gewesen. Maria Ladendorf lacht. Das ist ein Geheimnis der Bank, dass sie einlädt, wo man es nicht erwartet. Und dem Mein-Dein-Denken ein Schnippchen schlägt. Einfach da. Für alle.
Dass die Bank an der Kaiserstraße so gut angenommen wird, hat auch mit Rosemarie Schank zu tun. Die saß früher gern auf ihrem Balkon mit Blick auf die Mönchengladbacher Stadtbücherei. Doch die wird nun schon seit vielen Monaten umgebaut. Großbaustelle. Lärm. Staub. Schank trieb das hinunter auf die Straße. An einer Ecke des Adenauerplatzes gibt es das Café Kontor mit einer kleinen Außengastronomie. Da setzte sich Schank nachmittags an einen Tisch, trank etwas, und wenn sie Menschen aus der Nachbarschaft sah, lud sie die an ihren Tisch. „Ist doch verrückt, wenn alle einzeln sitzen, statt sich miteinander zu unterhalten“, sagt Schank. Dann beobachtete sie, wie die Ladendorfs ihre Bank rausstellten – und das Gleiche taten wie sie selbst: Leute zueinander bringen. „Da bin ich rübergegangen“, sagt Schank. „Das hat sich perfekt ergänzt.“
In Ländern wie Deutschland lebten Menschen sehr partnerschaftszentriert, sagt der Soziologe Janosch Schobin von der Uni Kassel. Darum seien „familiäre Ereignisse“wie der Tod eines Partners ein zentraler Faktor für Einsamkeit im Alter. Es gibt andere: Krankheit, Einschränkungen wie Schwerhörigkeit oder lange
Phasen, in denen Menschen andere pflegen. Nicht das Alter selbst mache also einsam, auch Junge erlebten etwa in der Pubertät oft einsame Phasen, doch die Begleiterscheinungen des Älterwerdens erhöhten das Einsamkeitsrisiko. Und Vorbeugung ist schwierig. Auf Freunde zu setzen, wie es etwa die Generation der Babyboomer tut, die einen individuellen Lebensstil pflegt, weniger oft verheiratet ist, hat seine eigenen Schwierigkeiten. „Weil Freundeskreise eigene Dynamiken haben und zerfallen können“, sagt Schobin. Vor allem aber, weil Freunde meist gleich alt sind – und damit zur selben Zeit weniger mobil oder gar pflegebedürftig werden. Bänke für Begegnungen zu schaffen, sei ein gutes Mittel, um Isolation zu durchbrechen, doch müsse es dafür Menschen geben, die diese Orte begleiten, etwa zu bestimmten Terminen einlüden. Erst das mache aus einer Bank dann kein Ding mehr, sondern einen sozialen Ort.
Vielleicht werden sie demnächst nach drinnen umziehen, die Leute von der Bank in Mönchengladbach. Erich Heckmann hat sein Wohnzimmer schon angeboten. Die Ladendorfs fänden es schön, mal zusammen einen Film zu schauen, vielleicht ein Musical. Ohne Voranmeldung. Ohne Zwang. Mit dem gleichen Konzept, das sie hier haben – an der Bank des Lebens.
Manchen hilft das Plaudern an der Bank, in einen Zustand zu finden, in dem Zurückschauen nicht mehr so wehtut.
Es ist eine Möglichkeit zur Begegnung ohne Vorbedingung, ohne Mitgliedschaft, ohne Zwang.