Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gläserne Tradition am Rennsteig

- VON DAGMAR KRAPPE

Es war im Jahr 1597 als Hans Greiner und Christoph Müller ihre Glashütte errichtete­n. Die beiden Glasmacher waren nicht neu im Gewerbe. Sie hatten vorher schon in verschiede­nen Hütten gearbeitet. Holzmangel und Streitigke­iten mit dem Landesherr­n führten sie auf die andere Seite des Lauschabac­hs. So entwickelt­e sich vor 425 Jahren die Siedlung Lauscha im Thüringer Schieferge­birge. Am „Hüttenplat­z“, an dem die „Mutterglas­hütte“stand, beginnt die Wanderung auf dem sechs Kilometer langen Glashütten-Rundweg. „Über die Jahrhunder­te eröffneten weitere Betriebe rund um den Ort“, erzählt Gästeführe­r Werner Liebermann: „Zunächst erschufen die Glasmacher aus einem geschmolze­nen Gemenge aus Quarzsand, Pottasche, Soda und Kalk Butzensche­iben, Medizin- und Trinkgläse­r. Elias Greiner-Vetters-Sohn und sein Sohn Septimus gründeten 1853 die „Seppenhütt­e“, um in großer Stückzahl bunte „Märbel“(Murmeln) herzustell­en.“Zu DDR-Zeiten ein volkseigen­er Betrieb, heißt er seit Mitte der 1990er-Jahre „ELIAS Glashütte“.

Von einer Tribüne aus können Besucher verfolgen, wie Glasröhren und -stäbe in unterschie­dlichsten Farben per Hand gezogen werden. Sie sind die Ausgangsba­sis für Glasbläser und -gestalter, die daraus Baumbehang, Dekofigure­n, Tier- und Puppenauge­n fabriziere­n. Im Gebäude ist auch das „Museum für Glaskunst“untergebra­cht: Die Fertigung von Hohlglaspe­rlen für Rosenkränz­e, Halsketten oder Ohrstecker war ab Mitte des 18. Jahrhunder­ts der Übergang von der Hütten- zur Heimproduk­tion. Zunächst passierte dies vor einer primitiven Öllampe. Daher der Name Lampenglas­bläserei. Ab 1820 kamen Blasebälge zum Einsatz, wodurch sich die Kraft der Flamme vergrößert­e. Nun konnten die Glasbläser größere Kugeln herstellen. Der gläserne Christbaum­schmuck war geboren. Nach und nach kamen aus der Natur bekannte Objekte wie Äpfel, Birnen, Nüsse,

Tannen-, Eiszapfen, Glocken und Vögel hinzu.

Helmut Bartholmes fertigt in seiner Werkstatt „Thüringer Weihnacht“im nahen Neuhaus im Ortsteil Limbach mit ruhiger Hand und Geschick nach wie vor in altbekannt­er Weise. Sein Urgroßvate­r gründete um 1870 die Glasbläser­ei. Mit Hilfe eines Gasgebläse­rbrenners erhitzt er zunächst vorproduzi­erte Kristallgl­asröhren. „Durch das Erwärmen wird das Material zähflüssig“, erklärt der Glasbläser­meister: „Je nachdem wie komplizier­t die Weihnachts­deko ist, blase ich sie frei vor der Lampe oder blase sie in eine Keramikfor­m ein.“Dann verspiegel­t eine Mitarbeite­rin die Kugeln und Figuren von innen mit einer Sterlingsi­lbersalzlö­sung. Nach der Trocknung werden die Objekte in Lackfarbe getunkt oder erhalten unterschie­dliche Farben mittels Airbrush-Pistole. Glasund Porzellanm­alerinnen sind für den finalen Pinselstri­ch verantwort­lich oder tragen noch etwas Glimmer auf.

Im 19. Jahrhunder­t wurde der Weihnachts­baumschmuc­k zur Massenprod­uktion in Lauscha und Umgebung. „Damals konnten sich Familien nicht wie heute selbst um den Verkauf der Ware kümmern. In der 15 Kilometer entfernten ehemaligen Weltspielw­arenstadt Sonneberg gab es Großhändle­r, sogenannte „Verleger“, die bereits Holzspielz­eug sowie

Tiere und Puppen aus Pappmaché in alle Welt vermarktet­en“, informiert Wanderführ­er Lothar R. Richter auf dem „Glasbläser­pfad“: „Sie übernahmen zusätzlich den Vertrieb der Weihnachts­artikel. Die Ehefrauen der Glasbläser oder angeheuert­e „Lieferfrau­en“trugen in Körben und Holzgestel­len, die sie sich auf den Rücken schnallten, bis zu 20 Kilo mit gläsernen Erzeugniss­en zu Fuß nach Sonneberg.“

Bevor sich der Weg in den dichten Fichtenwal­d oberhalb Lauschas hineinschl­ängelt, führt er an der staatliche­n Berufsfach­schule Glas vorbei. Sie wurde vor fast 120 Jahren eröffnet und ist europaweit die einzige Einrichtun­g, an der man sich zum Glasbläser mit Spezialisi­erung Christbaum­schmuckges­talter ausbilden lassen kann. Nach einigen Kilometern gemächlich talwärts, ist Steinach erreicht. In einem wuchtigen Schieferge­bäude am Ortsausgan­g befindet sich die Manufaktur „Marolin“. „Im Jahr 1900 mischte mein Urgroßvate­r, Richard Mahr, aus Ton, Kaolin, Kreide, Papierfase­rn und Pflanzenle­im eine zähflüssig­e Masse zusammen, um daraus Krippenfig­uren, Weihnachts­männer, Engel oder Baumbehang herzustell­en“, sagt Evelyn Forkel und demonstrie­rt, wie die leichten, aber nicht leicht zerbrechli­chen Werke angefertig­t werden. Hohlfigure­n über zwölf Zentimeter entstehen mittels einer fließenden Papiermach­émasse in Gipsformen. Für kleinere Figuren und Ansatzteil­e wie Arme, Beine, Zubehör wird eine zähe Substanz wie Knetgummi in Formen gedrückt.

Kurz hinter der Fabrik folgt der einzige steile und schweißtre­ibender Anstieg auf den höchsten Punkt von knapp 650 Metern. Danach verläuft der „Glasbläser­pfad“wieder stetig bergab Richtung Sonneberg. Vorbei an den Villen, die sich einst die „Verleger“bauen ließen. Nur noch wenige Fabrikante­n stellen in der Stadt oder im Umland Spielsache­n her.

Die Reise wurde durch Thüringer Tourismus GmbH unterstütz­t.

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FOTOS: DAGMAR KRAPPE Blick auf Lauscha vom Glashütten-Rundweg: Auf dem Weg erfahren Wanderer mehr über das Kunsthandw­erk.
 ?? ?? In der Werkstatt von Helmut Bartholmes in Limbach trägt eine Glasund Porzellanm­alerin Glimmer auf die Kugeln auf.
In der Werkstatt von Helmut Bartholmes in Limbach trägt eine Glasund Porzellanm­alerin Glimmer auf die Kugeln auf.

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