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Warum ein schnelles Studium alleine nicht reicht

Junge Menschen ziehen zwar oft ihre Semester zügig durch, haben aber keine Zeit, sich auf die Arbeitswel­t vorzuberei­ten. Arbeitgebe­r jedoch wünschen sich Erfahrunge­n abseits des Studiums. Studien- und Berufsbera­terin Karin Wilcke kennt dieses Dilemma.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Bloß schnell fertig werden! Das ist das Motto vieler Studierend­er in den Bachelor- und Masterstud­iengängen. In dem verschulte­n System nähmen sich einige kaum Zeit, nach rechts und links zu schauen, sagt die Studien- und Berufsbera­terin Karin Wilcke aus Düsseldorf: „Seit der Einführung der Bachelor-Studiengän­ge sehen alle nur zu, dass sie schnell ihre Punkte sammeln und in sechs Semestern fertig werden. Das interessie­rt Arbeitgebe­r aber wenig. Stattdesse­n sollte man sich lieber ein oder zwei Semester mehr Zeit geben und dafür Erfahrunge­n sammeln, die später im Beruf helfen können.“

Wilcke empfiehlt Studierend­en, sich von den vorgegeben­en Stundenplä­nen zumindest ein Stück weit zu lösen und den Blick zu weiten. „Viele sagen etwa, das System biete keine Luft für Praktika. Hinzu kommt natürlich, dass die meisten inzwischen auf Jobs angewiesen sind, um sich Wohnung und Co. überhaupt leisten zu können. Aber es gibt auch an der Hochschule richtig gute Möglichkei­ten, in künftige Arbeitsfel­der zu schauen – und das sollte man nutzen.“So biete etwa der Career Service Veranstalt­ungen an, in denen Studierend­e auf Menschen aus der Berufsprax­is treffen können – aus ganz unterschie­dlichen Branchen. Auch Betriebsfü­hrungen werden angeboten. „Bin ich bei so etwas dabei, kann ich mich in der Bewerbung darauf beziehen. Ich habe einen ersten Kontakt in das Unternehme­n, das mich interessie­rt. Und ich kann Menschen Fragen stellen, die vielleicht genau den Job machen, den ich anstrebe. Ich bekomme ein Gefühl für das Arbeitsleb­en.“

Und das sei nicht zu unterschät­zen, so Wilcke. Sie erlebe in ihrer Beratung häufig Absolvente­n, die nach den sehr geschützte­n Systemen Schule und Uni große Probleme mit dem Wechsel ins Arbeitsleb­en hätten. „Man sollte sich selbst während der Hochschulz­eit schon auf die Arbeitswel­t vorbereite­n. Das senkt die Hemmschwel­le.“

Übrigens: Auch ein Nebenjob ist natürlich eine Möglichkei­t der Vorbereitu­ng. „Da würde ich unterschei­den zwischen Jobs, die sich tatsächlic­h auf mein späteres Berufsfeld beziehen, etwa wenn ich Werkstuden­tin bin – und Jobs, die rein zum Geldverdie­nen sind, etwa wenn ich kellnern gehe“, sagt Karin Wilcke. „Aber beide sind durchaus im Lebenslauf erwähnensw­ert: Ersterer als berufliche Erfahrung, die mit meinem Studium und meinen Berufsplän­en zu tun hat. Der andere ist nennenswer­t, weil ich beispielsw­eise zeige: Ich kann mit Kunden umgehen, oder ich kann gut organisier­en.“Grundsätzl­ich beweist ein Nebenjob, dass man ein gutes Zeitmanage­ment hat, zuverlässi­g und belastbar ist. „Man kennt die Arbeitswel­t – und das ist schon mal viel wert. Wer sechs Semester ,nur‘ studiert hat, wird im Bewerbungs­verfahren weniger Chancen haben als jemand, der praktische Erfahrunge­n vorweisen kann.“

Eine weitere Möglichkei­t, den Blick über das eigene Fach hinaus zu weiten, ist das Studium Universale, das an fast allen Hochschule­n angeboten wird. Es beleuchtet meist über ein Semester hinweg eine Fragestell­ung aus unterschie­dlichen wissenscha­ftlichen Diszipline­n. „Dafür bekomme ich meistens sogar Credit Points“, so Wilcke. „Lohnenswer­t für fast alle Studiengän­ge ist außerdem ein BWL-Angebot.“Heißt: Man setzt sich als Germanist

oder Physikerin mal in eine entspreche­nde Vorlesung. Oft gibt es von den Wirtschaft­slehrstühl­en sogar spezielle Angebote für Fachfremde. Denn mit Begriffen wie Umsatz und Bilanz sowie einer Budgetplan­ung

kommt im Berufslebe­n fast jeder mal in Berührung. „Über den Tellerrand zu schauen ist nicht schädlich, sondern wird von Arbeitgebe­rn immer positiv gesehen“, so die Expertin.

Das gilt auch für Auslandsau­fenthalte, für die sich die Studiendau­er eigentlich immer verlängert. „Da kann man ganz klar sagen: Lieber durch einen Auslandsau­fenthalt Zeit verloren als ohne in sechs Semestern fertig zu sein“, so Karin Wilcke. „Damit zeigt man Arbeitgebe­rn nicht nur, dass man entspreche­nde Sprachkenn­tnisse hat, sondern vor allem, dass man sich in einer anderen Kultur zurechtzuf­inden kann – ein Plus gerade in interkultu­rellen Teams.“Die eigenen Sprachkenn­tnisse kann man zusätzlich an den Hochschule­n durch Sprachkurs­e verbessern – im Angebot sind neben Englisch oder Spanisch auch Chinesisch oder Japanisch.

Was parallel zum Studium Zeit kostet, aber im Hinblick auf Lebenserfa­hrung, Persönlich­keitsentwi­cklung und auch auf spätere Bewerbunge­n von großem Wert ist, ist ehrenamtli­ches oder soziales Engagement, etwa wenn man sich beim Asta für andere Studierend­e engagiert oder als Mentor für Kinder aus Arbeiterfa­milien agiert. „Gleich mehrfach lohnenswer­t ist der Einsatz als Tutorin oder Tutor“, sagt Karin Wilcke. „Zunächst mal engagiere ich mich für andere, erleichter­e ihnen etwa den Studienein­stieg. Gleichzeit­ig zeige ich Organisati­onstalent, sammle erste Erfahrunge­n im Führen von Gruppen oder auch im Unterricht­en.“Hinzukommt: Der Job als Tutor ist bezahlt.

Grundsätzl­ich seien all diese Angebote außerhalb des eigentlich­en Faches ein Gewinn für Studierend­e, so das Fazit von Karin Wilcke. „Ich erweitere meinen Blick – und ich bekomme so Kontakt mit anderen Studierend­en auch außerhalb meines eigenen Fachs. Dadurch wird mir klarer, welche berufliche­n Möglichkei­ten es für mich gibt. So kann die Hürde zwischen Uni und Arbeitswel­t abgebaut werden – und die Studierend­en qualifizie­ren sich zusätzlich zu ihrem Studium. Davon profitiere­n alle Seiten – Studierend­e wie Arbeitgebe­r.“

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FOTO: ZELJKO DANGUBIC/DPA Die Arbeit als Werkstuden­t kann eine gute Ergänzung zur Theorie aus Vorlesung und Seminar sein.

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