Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Spektakuläre Showcars im E-Zeitalter
Die Diskussion um E-Autos wird pragmatisch geführt. Mit extremen Einzelstücken wollen Hersteller Emotionen befeuern.
Im ersten Moment hielt er den Anruf für einen Scherz. Dass Ford ihn mit einem Lieferwagen zum legendären Hillclimb nach Goodwood schicken wollte, konnte sich der Rennfahrer Romain Dumas nicht vorstellen. „Was, bitte schön, soll ein Lieferwagen beim Festival of Speed?“, habe er sich gefragt. Doch dann verstand er. Denn der Autohersteller wollte dem Franzosen keinen gewöhnlichen Lieferwagen hinstellen, sondern einen mit vier Elektromotoren und 1470 kW/2000 PS. Nur wenige Tage nach dem Telefonat sitzt der Franzose am Steuer des „Supervan“genannten Geschosses und semmelt den Hügel zum Herrenhaus des Earl of March hinauf, ohne dass die vielen Sportwagen in seinem Windschatten auch nur den Hauch einer Chance hätten.
Und warum das Ganze? „Weil es Zeit wird, dass wir den Menschen zeigen, welches Potenzial im Elektroantrieb steckt“, sagt Dumas. Die Werbebotschaft ist klar. In diesem Jahr hat Ford den neuen E-Transit ins Programm genommen, auf den vom Supervan gern etwas abfärben darf. Außerdem würden „ein paar positive Emotionen bei der verbissenen Diskussion zum Mobilitätswandel nicht schaden“, schiebt er hinterher. Bei Entwicklern und Designern ist Methode erkennbar, sagt Arthur Kipferler vom Strategieberater Berylls in München: „Letztlich setzen die Hersteller mit den E-Extremen nur etwas fort, was sie seit Jahrzehnten tun.“Leistungsstarke oder anderweitig extreme Karren für die schnelle Show bauen und auf einen Werbeeffekt für die Serie hoffen.
Ford ist das beste Beispiel, auch in historischer Hinsicht. Der erste Supervan, noch ein Verbrenner, kam bereits 1971 mit Ford GT40-Technik. Auch
Fahrzeuge wie das Ein-Liter-Auto von VW oder der Mercedes A 38 AMG gehören zu den Fingerübungen der Ingenieure der jüngeren Vergangenheit. Der grundlegende
Unterschied zu den damaligen Showcars ist, dass die Extremfahrzeuge heute elektrisch angetrieben würden, sagt Kipferler. Um einen Vorgeschmack auf den elektrischen Kleinwagen
Urban Rebel zu geben, der 2025 auf den Markt kommen soll, präsentierte Seat-Ableger Cupra auf der letzten IAA ein gleichnamiges Showcar mit 320 kW/435 PS.
Auf der Suche nach dem besten Weg in die elektrische Zukunft experimentieren die Hersteller allerdings nicht nur mit besonders sportlichen Autos, sondern auch wieder mit extremer Sparsamkeit. So sei Mercedes beim EQXX mit dem Ziel angetreten, das effizienteste Elektroauto der Welt zu bauen, sagt Entwicklungsvorstand Markus Schäfer. Mit dem Auto trat der Hersteller auf zwei Roadtrips nach Frankreich und England den Beweis an: 1000 Kilometer ohne zwischenzeitliches Laden sind genauso möglich wie ein Verbrauch unter von zehn Kilowattstunden (kWh) je 100 Kilometer.
Da die extremen Sportwagen, hier der verbissene Sparer – und für die Mußestunden zwischendurch leisten sich die elektrisierten Entwickler immer öfter auch mal ein Cabriolet. Während offene Autos in der Serienproduktion gerade einen schweren Stand haben, zeigte VW schon Studien und Mini jüngst das Einzelstück eines offenen Mini Cooper SE als Vorbote einer Serienversion. Experte Arthur Kipferler sieht solche Fingerübungen allerdings mit Skepsis: „Abstrahleffekte auf die Serie muss man dabei fast immer mit einer Lupe suchen.“
Als Nutznießer sieht der Strategieberater unter anderem die Entwickler, die sich mit solchen Fahrzeugen auch einmal außerhalb ihrer üblichen Pfade bewegen können. Zu den ernsthaften Aufgaben der Studien könnte zählen, dass sie Stimmung für die Elektromobilität machen und den Wandel belegen, den die Unternehmen gerade durchmachen.
Doch teils sind die Ambitionen konkreter. Das zeigt nicht nur das Cupra-Beispiel Urban Rebel, sondern auch Mercedes mit dem Modell EQXX. Mit dem Spar-Stromer hat Mercedes mehr vor, als von einem Verbrauchsrekord zum nächsten zu fahren: Vom Motor bis zur Batterie und der Elektronik steckt in dem Auto bereits die Technik, die in ein paar Jahren den nächsten EQC antreiben wird.