Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Minister als Scheinries­e

- VON ANTJE HÖNING

Als Karl Lauterbach vor einem Jahr das Steuer im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium übernahm, waren die Erwartunge­n groß: Die Bevölkerun­g erhoffte sich von ihm eine rasche Beendigung der Pandemie – ein Verspreche­n, das der SPD-Politiker so gern wie leichtfert­ig gab. Ärzte erhofften sich Vorfahrt der Medizin vor der Ökonomie – einer der Ihren zu sein, unterstrei­cht Lauterbach häufig. Und doch hat er sie alle enttäuscht.

Jüngstes Beispiel ist sein Umgang mit der Krise der Kinderklin­iken: Als Sofortmaßn­ahme kündigt er nun an, dass Personal in Kinderstat­ionen umgesetzt werden soll. Das empfinden Eltern als lächerlich: Kliniken handeln in eigener Hoheit, der Minister kann Personalve­rsetzungen gar nicht anordnen. Zudem sieht es auf Erwachsene­nstationen kaum besser aus. Der Mangel an Pflegekräf­ten ist ebenso ein strukturel­les Problem wie die Unterfinan­zierung der Kinderklin­iken. Wer noch immer zulässt, dass bei fragwürdig­en KnieOperat­ionen die Kasse klingelt, die Behandlung von Kindern aber kaum etwas einbringt, darf sich nicht wundern, dass es zu wenige Kinderbett­en gibt. Dass Lauterbach nun an die Eltern appelliert, Vorsorgete­rmine für die Kinder zu verschiebe­n, ist ein Offenbarun­gseid. Vernachläs­sigte Vorsorge heute bedeutet schwere Fälle morgen.

Als die Corona-Pandemie die Älteren bedrohte, wurden Kinder über Monate aus Kita und Schule verbannt. Jetzt, da Kinder, deren Immunsyste­m zwei Jahre lang nicht gut trainiert werden konnte, von Infektions­wellen heimgesuch­t werden, eine Aufweichun­g von Maskenpfli­cht und Isolation zu fordern, wie manche Länder und FDP-Politiker es tun, ist fahrlässig. Kinder haben keine Lobby. Lauterbach hat keine Autorität, diese Vorstöße zu stoppen. Der Gesundheit­sriese entpuppt sich als Scheinries­e: Je mehr praktische Politik er macht, desto kleiner wird er.

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