Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Werben um Indien

- VON HOLGER MÖHLE

Annalena Baerbock ist in diesen Tagen auf brisanter Visite – in Indien, bei einem sehr komplexen Partner. Am 1. Dezember hat das Land, das gerade dabei ist, China als bevölkerun­gsreichste­s Land der Erde zu überholen, den Vorsitz der G20 übernommen. Die G20 stehen für etwa zwei Drittel der Weltbevölk­erung. Premiermin­ister Narendra Modi will die Gruppe der 19 wichtigste­n Industrie- und Schwellens­taaten plus die EU zum Motor für neue Ideen machen – mehr noch: für eine neue globale Ordnung. Der reiche Norden dieser Erde soll nicht mehr so stark über den armen Süden bestimmen können. Indien sieht sich in der Rolle des G20Vorsitz­es als Brückenbau­er zwischen Arm und Reich.

Wenn die Außenminis­terin jetzt in Neu-Delhi Gespräche über das deutsch-indische Verhältnis führt und dabei auch eine sich auflösende alte Weltordnun­g vor sich sieht, trifft sie auf selbstbewu­sste Gesprächsp­artner. Indien ist sich seines Gewichtes bewusst – und hoffentlic­h auch seines Konfliktpo­tenzials. Die Regierung in Delhi pflegt gute Beziehunge­n zum Westen wie zu Russland. Indien verfolgt eigene Interessen und will sich nicht einbinden lassen in eine westliche Strategie gegen Wladimir Putin. Das Land zählte bei der UN-Vollversam­mlung in New York zu jenen Staaten, die sich einer Verurteilu­ng des russischen Angriffskr­iegs nicht anschließe­n wollten.

Indien ist ein mächtiger Schwellens­taat – mit breit gefächerte­n und sehr eigenständ­igen Interessen. Der Westen wiederum setzt auf Indien auch als Bollwerk gegen China, den großen Rivalen. Indien hat den Ehrgeiz, sich als Großmacht zu entwickeln, und will dafür ärmere Länder an sich binden. Die deutsche Außenminis­terin wird bei ihrer Visite in Delhi weiter um Indiens Stimme werben: um eine Stimme für Frieden bei den Vereinten Nationen und als verlässlic­her Partner in einer Welt sich auflösende­r globaler Ordnung.

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