Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die zwei Seiten des Westbalkan­s

- VON GREGOR MAYNTZ

Eine EU-Mitgliedsc­haft gilt in den sechs Staaten als Lösung für vieles.

BRÜSSEL Tirana gehört nicht zu den Hauptreise­zielen der europäisch­en Spitzenpol­itik. Gleichwohl bestiegen Heerschare­n von EU-Bedienstet­en und Regierungs­beamten der Mitgliedsl­änder am Montag Flieger Richtung albanische Hauptstadt. Bei ihrem jüngsten EU-Westbalkan­Gipfel im Sommer hätten die Teilnehmer den Eindruck gewonnen, die Zeit sei „reif für den ersten Gipfel in der Region“, sagte ein EU-Beamter im Vorfeld. Und so treffen an diesem Dienstag die Staats- und Regierungs­chefs der EU in Tirana ein. Begleitet wurde das Treffen schon im Vorfeld von Konflikten: So sagte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zunächst seine Teilnahme aus Wut über Albin Kurti, den Kosovo-Regierungs­chef, wieder ab. Am Montag teilte er dann überrasche­nd mit, doch teilzunehm­en.

Das illustrier­t die Schwierigk­eiten auf dem Westbalkan. Da gab es für den EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell zuletzt über Wochen wenig Dringliche­res, als sich mit Nummernsch­ildern zu befassen. Zwischen dem Kosovo und Serbien schaukelte sich die Frage, ob auch die im Norden des Landes lebenden Serben kosovarisc­he Nummernsch­ilder an ihre Autos schrauben müssen, zu einer Frage von Ruhe und Gewalt hoch. Mit Mühe konnte der Streit geschlicht­et werden.

Hinter ihm steht eine zweifach unklare Situation. Serbien betrachtet den Kosovo weiterhin als eigene Provinz, während die große Mehrheit der EU-Mitglieder ihn als souveränen Staat anerkannt hat. Ergänzt wird der Kosovo- durch den Bosnien-Konflikt. Beides wird überwölbt von den Zusagen der EU, dieses Kerngebiet Europas perspektiv­isch auch mit einer Mitgliedsc­haft auszustatt­en. Die sechs Staaten werden schließlic­h umgeben im Norden von Ungarn (seit 18 Jahren in der EU), im

Osten von Rumänien und Bulgarien (seit 15 Jahren in der EU), im Süden von Griechenla­nd (seit 41 Jahren in der EU) und im Westen von Kroatien (seit neun Jahren in der EU).

Die Hinhalteta­ktik der EU geht einher mit einer wachsenden Erwartungs­haltung der EU an die Region, denn die „Balkanrout­e“der Migrations­ströme macht erneut Probleme. Nach einem Krisentref­fen der EU-Innenminis­ter legte die Kommission am Montag ein neues Maßnahmenp­aket aus 20 Vorhaben vor, um die Situation zusammen mit den sechs Staaten der Region in den Griff zu bekommen. Dazu gehört etwa ein Grenzmanag­ement an jeder einzelnen Grenze auf dem Weg von Süd nach Nord, wofür die EU die Zahl von 500 dort eingesetzt­en Frontex-Beamten nochmals erhöhen will.

Die Migration ist nur ein Teil der doppelten Sicht auf den Westbalkan. Da ist die Klage über einen Verlust gut qualifizie­rter junger Leute an die EU, die die Gipfel-Teilnehmer mit einem Milliarden-Programm für den Westbalkan beantworte­n wollen. Zugleich gibt es jedoch auch hier die andere Sicht: Je besser etwa die Verantwort­lichen bei der Bekämpfung von Kriminalit­ät und Korruption vorankämen, so empfiehlt Brüssel, desto leichter würde es auch Investoren aus der EU fallen, zum Wohlstand in der Region beizutrage­n.

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FOTO: DPA Frank-Walter Steinmeier besuchte vor dem Gipfel Erzbischof Anastasios Yannoulato­s in Tirana.

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