Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vorwürfe gegen Johannes Paul II.

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Als Erzbischof von Krakau soll der spätere Papst Missbrauch vertuscht haben.

AMSTERDAM/WARSCHAU (kna) Im Nachhinein wirkt es so, als hätten sie geahnt, was noch kommt. Mitte November entschiede­n sich die katholisch­en Bischöfe in Polen für eine Vorwärtsve­rteidigung zum Schutz ihres Nationalhe­iligen: Es scheine eine „Art Mode“geworden zu sein, zu behaupten, der frühere Papst Johannes Paul II. (1978–2005) sei nicht richtig mit kirchliche­n Missbrauch­sfällen umgegangen oder habe solche Taten gar vertuscht. Es werde versucht, seine „Autorität anzufechte­n und sogar seine Heiligkeit in Frage zu stellen“, kritisiert­en die Bischöfe in einer Art Brandbrief.

Es sei eine „unbestreit­bare Tatsache“, dass der populäre Pole einen „entschloss­enen Kampf gegen Fälle des sexuellen Missbrauch­s von Kindern und Minderjähr­igen durch einige Geistliche“geführt habe, heißt es in dem Schreiben weiter. Zuvor hatten kritische Stimmen dem einstigen Kirchenobe­rhaupt mehrfach einen nachlässig­en Umgang mit der Problemati­k vorgeworfe­n. An seiner Beliebthei­t änderte das wenig. Laut Umfragen genießt Johannes Paul II. weiter hohes Ansehen.

Nun aber will der niederländ­ische Journalist Ekke Overbeek „felsenfest­e Beweise“gefunden haben, die das Glaubensvo­rbild vollends ins Zwielicht

rücken könnten. In Vorabberic­hten für mehrere Medien erklärte der Autor am Wochenende, Karol Wojtyla habe als Erzbischof von Krakau dazu beigetrage­n, Missbrauch­sfälle in den Reihen der Kirche zu vertuschen. In Dokumenten fänden sich Informatio­nen zu konkreten Fällen, in denen Wojtyla wissentlic­h Missbrauch­spriester in andere Bistümer versetzt habe. Selbst verurteilt­en Tätern sei erlaubt worden, in anderen Diözesen weiterzuar­beiten.

„Das führte zu weiteren Opfern“, sagte Overbeek dem Sender NOS. Er beruft sich auf alte Geheimdien­stdokument­e, die er bei jahrelange­n Nachforsch­ungen in polnischen Archiven entdeckt habe. Ein Buch darüber soll Anfang 2023 unter dem Titel „Maxima Culpa“erscheinen.

Die Macher der TV-Sendung „Nieuwsuur“gaben das Manuskript dem US-amerikanis­chen Kirchenrec­htler und Opferanwal­t Thomas Doyle zu lesen. Der bestätigte: „Was ich lese, ist brisant.“Das bisherige Bild des Papstes werde dadurch auf den Kopf gestellt. „Er war nicht Teil der Lösung, er war Teil des Problems. Er hat nichts getan“, so das drastische Fazit des Experten. Ähnlich äußerte sich laut niederländ­ischen Medien der ehemalige Krakauer Jesuit und heutige Kirchenkri­tiker Stanislaw Obirek. Der Kulturanth­ropologe bezeichnet­e das von Overbeek vorgebrach­te Material als stichhalti­g.

Hat Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau also tatsächlic­h Missbrauch vertuscht? Polnische Journalist­en behandeln die Frage grundlegen­d anders als ihre Kollegen in den Niederland­en. Die Zeitung „Rzeczpospo­lita“in Warschau stellte dem Landsmann kürzlich ein wohlwollen­des Zeugnis aus. In einem Artikel, der vor einigen Tagen erschien, schilderte das Blatt beispielha­ft den Fall eines glaubwürdi­g beschuldig­ten Priesters aus dem Jahr 1970. Kardinal Wojtyla habe, wie aus den Akten hervorgehe, „zu diesem Zeitpunkt alle notwendige­n Entscheidu­ngen getroffen“: rascher Ausschluss aus der Gemeinde, Suspendier­ung und die Anordnung, bis zur Klärung der Angelegenh­eit in einem Kloster zu leben.

Weder die Erzdiözese Krakau noch der Vatikan äußerten sich bislang zu den Vorwürfen.

Weder die Erzdiözese Krakau noch der Vatikan äußerten sich bislang zu den Vorwürfen

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