Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Mehr Frauen sollen zur Mammografie
Prävention hilft, Brustkrebs einzudämmen. Ein Expertengremium empfiehlt nun, auch jüngere und ältere Frauen einzuladen. Doch Methode und Strategie sind umstritten.
DÜSSELDORF Je früher Brustkrebs erkannt wird, umso besser stehen die Erfolgschancen für eine Therapie. Seit 2005 werden daher in Deutschland Frauen zwischen 50 und 69 Jahre alle zwei Jahre zur Mammografie eingeladen. Bei diesem bildgebenden Verfahren werden von jeder Brust – in unterschiedlichen Positionen – zwei Röntgenaufnahmen gemacht. Das geschieht hierzulande rund drei Millionen Mal pro Jahr, die Mammografie hat also eine breite Resonanz.
Nach Wunsch der EUKommission soll diese Zahl noch einmal deutlich größer werden. Im März 2021 aktualisierte man dort die Brustkrebsleitlinien, wonach künftig auch Frauen zwischen 45 und 49 sowie zwischen 70 und 74 in das Mammografie-Screening einbezogen werden sollen. In Deutschland beauftragte daraufhin das höchste Gremium im Gesundheitswesen, der G-BA (Gemeinsame Bundesausschuss), das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig) mit einer Überprüfung des EU-Vorschlags – das Ergebnis liegt jetzt vor.
Das Fazit der Experten: Auch die jüngeren und älteren Frauen würden von dem MammografieScreening profitieren. Bei den 45bis 49-Jährigen gründet diese Einschätzung auf der Analyse von acht Studien mit mehr als 600.000 Patientinnen, wonach die regelmäßige Mammografie – über einen Zeitraum von zehn Jahren – fünf von 10.000 Frauen davor bewahrt, an Brustkrebs zu sterben. Bei den älteren Jahrgängen ist die Datenlage weniger ergiebig, aber Iqwig-Leiter Jürgen Windeler sieht trotzdem keinen Grund zur Annahme, „dass sich die Effekte eines Brustkrebs-Screenings in der mittleren und älteren Altersgruppe gravierend unterscheiden“.
Allerdings sind fünf von 10.000 gerade einmal 0,05 Prozent. Weswegen Windeler eingesteht, dass der „Vorteil für die einzelne Frau nur sehr klein“sei. Er rät daher zu einer „individuellen Bewertung und Abwägung“, ob das Mammografie-Screening für die Patientin sinnvoll ist. Insgesamt würde es aber auch den jüngeren und älteren Frauen mehr Vor- als Nachteile bieten.
Jetzt müssen sich noch das B-GA und das Bundesamt für Strahlenschutz
den Empfehlungen des Iqwig anschließen. Dies dürfte in den nächsten Monaten geschehen. Dann wäre der Weg frei, das Screening auf die jüngeren und älteren Patientinnen auszuweiten. In der Ärzteschaft dürfte die Ausweitung der Screenings jedoch nicht nur auf Zustimmung stoßen.
Denn aus deren Reihen hört man schon länger Kritik, was die Fehleranfälligkeit der Mammografie angeht: „Sie hat Grenzen bei Frauen mit dichtem Brustgewebe“, sagt etwa Susanne Wienbeck, die programmverantwortliche Ärztin im Mammografie-Screening in Hannover und Schaumburg. „Hier zeigen Studien, dass der Mammografie von 100 bösartigen Tumoren etwa 40 entgehen“.
Problematisch sind aber auch die falsch positiven Befunde, wenn also der Frau ein letztendlich unbegründeter Krebsverdacht mitgeteilt wird, der nicht nur beunruhigen und verängstigen kann, sondern auch weitere Diagnosemaßnahmen nach sich zieht, wie etwa – wo allein der Name schon besorgniserregend klingt – die Stanzbiopsie, bei der eine Gewebeprobe aus der Brust entnommen wird.
Laut einer aktuellen US-Studie ist das Risiko für solche Fehlalarme und deren Folgen gar nicht so klein. Ein Forscherteam um den Radiologen Thao-Quyen Ho von der University of California hat rund drei Millionen Screening-Daten von Frauen zwischen 40 und 79 Jahren ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass bei rund neun Prozent der Mammografien ein falscher Positiv-Befund attestiert wurde. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurde jede zweite, jährlich gescreente Patientin wegen eines letztendlich unbegründeten Brustkrebsverdachts zur Nachuntersuchung einbestellt.
Diese Zahlen sprechen nicht gerade für die Präzision des Verfahrens. Sie bedeuten aber auch, wie ThaoQuyen Ho betont, dass Patientinnen im Falle eines positiven Befunds nicht beunruhigt sein müssten, wenn sie zur weiteren Bildgebung oder Biopsie zurückgerufen werden. „Denn dabei erweist sich die überwiegende Anzahl der Befunde als gutartig“, so der Radiologe. Sein Tipp: Man sollte die Mammografie nicht als präzises Diagnose-, sondern vielmehr als Hinweis-Instrument
sehen, ob man detaillierte Diagnoseverfahren einleitet oder nicht.
Zudem lassen sich Ergebnisse der US-Studie nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen. „Im qualitätsgesicherten deutschen Screening-Programm gelingt die Minimierung falschpositiver Befunde weitaus besser“, sagt Sylvia Heywang-Köbrunner, Leiterin des Referenzzentrums Mammografie in München. Die Falschpositiv-Rate liege hier bei unter drei Prozent, also bei etwa einem Drittel der Werte aus der US-Studie.
Nichtsdestotrotz sollte man nicht den Blick auf erfolgversprechende Alternativen zur Mammografie verlieren. Wie etwa Ultraschall und MRT (Magnetresonanztomografie), die – in Kombination mit der klassischen Mammografie – gerade bei dichtem Brustgewebe die Krebsentdeckungsrate deutlich verbessern können. Allerdings ist MRT relativ teuer, und die Qualität der Ultraschallmethode steht und fällt besonders stark mit der Erfahrung des Untersuchers. Liebling der meisten Radiologen scheint ohnehin die sogenannte Tomosynthese zu sein. Sie durchleuchtet – im Unterschied zur Mammografie, die gewöhnlich nur zwei Ebenen zeigt – mittels einer sich drehenden Röntgenquelle die Brust aus verschiedenen Winkeln, sodass man Schichtaufnahmen erhält, die ein Computer in ein 3-DBild umwandeln kann. „Die Tomosynthese ist die physikalisch bessere Methode als die Mammografie“, sagt Heywang-Köbrunner. „Man bekommt deutlich mehr Informationen.“Sie wird daher auch schon von einigen Kliniken und Brustzentren zum Abklären auffälliger Befunde genutzt. Für die Früherkennung ist sie noch nicht zugelassen.
Und wie ist es mit dem guten alten, von der Patientin selbst durchgeführten Abtasten der Brust? Dafür spricht, dass es monatlich durchführbar ist, kein Geld und nur wenig Aufwand kostet und die Frauen für Veränderungen in ihrer Brust sensibilisiert. Andererseits spricht die wissenschaftliche Studienlage nicht dafür, dass die Sterblichkeitsrate gesenkt wird. Was auch daran liegt, dass tastbare Tumoren nicht mehr wirklich klein sind. Und dann ist es für eine erfolgversprechende Therapie oft schon zu spät.