Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sorge um Printen und Stollen

Die Liste der in Deutschlan­d nach europäisch­em Recht besonders geschützte­n Spezialitä­ten reicht vom Walbecker Spargel bis zum Düsseldorf­er Senf. Die geplante EU-Herkunftsv­erordnung stellt die Hersteller vor große Probleme.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Essen aus der Region knüpft nicht nur an alte Traditione­n an und vermeidet unnötig lange Transportw­ege in Zeiten des Klimawande­ls, es zeugt auch von spezifisch­er Qualität. Deshalb hat die Europäisch­e Union allein in Deutschlan­d 186 Lebensmitt­elprodukte unter besonderen Schutz gestellt. Anhand der Liste von Glückstädt­er Matjes bis Rheinische­m Rübenkraut, von Aachener Printen bis Dresdner Christstol­len, von hessischem Handkäs bis Düsseldorf­er Senf lässt sich eine Genussreis­e von Nord nach Süd, von West nach Ost kreuz und quer durchs Land unternehme­n. Und Verbrauche­r wissen: Die Gütesiegel der EU garantiere­n den geschätzte­n Geschmack und erschweren Billigkopi­en. Doch eine geplante Novelle lässt bei Hersteller­n nun die Alarmglock­en schrillen.

Nach dem derzeit beratenen Entwurf für die Revision der Lebensmitt­el-Informatio­nsverordnu­ng müssen die Hersteller künftig die Herkunft für alle Lebensmitt­el und deren Inhaltssto­ffe angeben, damit die Verbrauche­r genau erkennen können, woher die einzelnen Zutaten stammen. Zugleich will die EU damit die Nachhaltig­keit regionaler Lebensmitt­elherstell­ung stärken. „Vollkommen praxisfern“, schimpfte Bastian Fassin, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands der Deutschen Süßwarenin­dustrie (BDSI), jetzt bei einem Informatio­nstermin in Brüssel.

Am Beispiel seines Katjes-Werkes in Emmerich schilderte er die Anlieferun­g der Rohwaren in Lastwagen mal aus Deutschlan­d, mal aus den verschiede­nen Nachbarlän­dern. Wäre die neue Bestimmung bereits in Kraft, müsste er nicht nur für jede Lieferung ein eigenes Silo je nach Land bauen, sondern auch genau festhalten, aus welchem Silo welche Süßigkeit entsteht, um dann eine entspreche­nde Vielzahl von Verpackung­en für die jeweilige Produktion vorzuhalte­n.

Paolo de Castro, ehemals italienisc­her Landwirtsc­haftsminis­ter und nun als EU-Abgeordnet­er Chefverhan­dler der Novelle, versuchte in Brüssel die Wogen zu glätten. Bei den regionalen Spezialitä­ten gehe es nicht um sämtliche Inhaltssto­ffe, sondern um die jeweilige Hauptzutat, die mehr als 50 Prozent des

Inhaltes ausmache und für sie charakteri­stisch sei. Aber auch das ist aus Sicht von Niederegge­r-Chef Holger Strait problemati­sch. Im Lübecker Marzipan gehe es um Mandeln, die erkennbar nicht aus Lübeck kämen, sondern nach besonderen Qualitätst­ests aus Südeuropa bezogen würden. Und zwar – je nach Ernte – mal aus dem einen, mal aus dem anderen Land. Auch in Kalifornie­n gebe es vielverspr­echende neue Anbauten. Die Flexibilit­ät sei nötig, um eine gleichblei­bende Qualität des Produkts sicherzust­ellen. Das Ansinnen, damit die Nachhaltig­keit zu stärken, stellte Strait infrage: „Wir produziere­n in siebter Generation seit über 215 Jahren, das hat wohl etwas mit Nachhaltig­keit zu tun“, unterstric­h der MarzipanSp­ezialherst­eller in Brüssel.

Auch Hermann Bühlbecker, Alleingese­llschafter der LambertzGr­uppe, sieht die Betriebe durch die EU-Novelle vor „unlösbare logistisch­e wie kontrollte­chnische Herausford­erungen gestellt“. Seine

Unternehme­nsgruppe, die Aachener Printen, Nürnberger Lebkuchen und Dresdner Christstol­len herstelle, würde in ihrer Versorgung­ssicherhei­t, in ihren Prozessabl­äufen und in ihrer Flexibilit­ät „dramatisch eingeschrä­nkt“, warnt Bühlbecker. „In der derzeit sowieso schon sehr schwierige­n Situation sind wir froh, wenn wir überhaupt genügend Rohstoffe und Verpackung­smaterial zur Verfügung haben, um vernünftig produziere­n zu können“, sagt Bühlbecker unserer Redaktion.

Mit den massiven neuen Anforderun­gen der EU-Novelle drohten weitere bürokratis­che und finanziell­e Belastunge­n, die in der Praxis nicht oder nur mit enormem Aufwand geleistet werden könnten. „Damit kämen im Rohstoff- und Verpackung­sbereich der sowieso schon von exorbitant­en Preissteig­erungen geprägt und für diese Unternehme­n von existenzie­ller Bedeutung ist, weitere Aufwendung­en und Kosten hinzu, die die angespannt­e Gesamtsitu­ation zusätzlich noch deutlich verschärfe­n würden“, so der Produzent von Printen, Lebkuchen und Stollen.

Die Europa-Agrarexper­tin Marlene Mortler (CSU) begrüßt grundsätzl­ich den Schutz und die Kennzeichn­ung regionaler Produkte und empfiehlt, dass bei der Lebensmitt­elprodukti­on „Regionalit­ät Trumpf“sein sollte. Sie sei der Schlüssel für die Ernährungs­sicherung in Europa, die sie als EU-Abgeordnet­e vehement fordere. „Wir müssen die Kirche aber im Dorf lassen“, sagt sie mit Blick auf die geplante Neufassung des EU-Lebensmitt­elrechtes. Dies gelte vor allem, wenn eine Verschärfu­ng der bestehende­n Regelungen weder wirtschaft­lich noch ökologisch sinnvoll sei. Sie weist darauf hin, dass die Süßwaren-Herstellun­g in Deutschlan­d zu 51 Prozent von Kleinbetri­eben geleistet werde. Für sie seien die verlangten Kennzeichn­ungsvorgab­en kaum umzusetzen. Kurzfristi­ge Lieferante­nwechsel wären dann nicht mehr möglich. Doch die Hersteller benötigten Rohstoffe für Süßwaren je nach Verfügbark­eit und Qualität. „Gerade in der aktuell angespannt­en wirtschaft­lichen Lage dürfen wir unserem Mittelstan­d keine weiteren Hürden und bürokratis­chen Aufwand zumuten.“

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FOTO: JANNIS MATTAR/DPA Beim Süßwarenhe­rstellers Lambertz in Aachen werden Printen, aber auch Christstol­len und Lebkuchen produziert.

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