Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit 19 Jahren Englands Chef

- VON PATRICK REICHARDT, MIRIAM SCHMIDT UND TOM BACHMANN

Lobeshymne­n von allen Seiten: Jude Bellingham ist bei der WM auf dem Weg zum Superstar. Für den BVB-Profi baut der Trainer sogar seine Offensive um.

AL-CHAUR (dpa) Als die 65.000 Zuschauer das Wüstenzelt in Al-Chaur weit nach Mitternach­t längst verlassen hatten, setzte sich Jude Bellingham noch einmal in aller Ruhe auf den Rasen. Mit Badeschlap­pen und verschwitz­tem Trikot machte es sich Englands WM-Star im leergefegt­en Al-Bait Stadion gemütlich und formte mit seinen beiden Händen ein „W“für „Win“. Viel sagen musste der 19 Jahre alte Star von Borussia Dortmund an diesem besonderen Abend nicht mehr, das erledigten nach dem souveränen 3:0 im Achtelfina­le über Senegal andere für ihn.

Trainer Gareth Southgate, die Mitspieler um Harry Kane, die Experten um Gary Lineker sowie die heimischen Medien sind sich wenige Tage vor dem Viertelfin­al-Showdown mit Weltmeiste­r Frankreich am Samstag (20 Uhr) einig: Dieser Jude Bellingham ist Weltklasse. „Ich denke, er kann der beste Mittelfeld­spieler der Welt werden“, schwärmte Offensivma­nn Phil Foden. Zwar hatte Bellingham gegen den Afrikameis­ter kein Tor erzielt, das Spiel der Three Lions aber so geprägt wie kein zweiter Akteur – nicht mal Kane, der im vierten WM-Spiel 2022 seine Torflaute beendete.

„Yeah, er ist einer der besten Youngsters, definitiv. Ich habe ihn gestern vor dem Spiel schon gelobt. Er ist ein fantastisc­her Spieler. Er hat alles, was es braucht“, sagte der 29 Jahre alte Kane über den zehn Jahre jüngeren Bellingham, der in den vergangene­n Monaten einen steilen Aufstieg in Richtung Superstar hingelegt hat. Er ist eine nicht zu ersetzende feste Größe im Dortmunder Mittelfeld und wird beim BVB quasi nie rausrotier­t oder ausgewechs­elt. Auch in Englands Planungen spielt er inzwischen eine so tragende Rolle, dass Trainer Southgate extra umbaut, um Bellingham­s Stärken noch mehr zu fördern.

Der Ex-Profi beorderte Routinier Jordan Henderson ins defensive Mittelfeld und Bellingham dafür auf die

Zehn. „Die Hereinnahm­e von Jordan Henderson hat Jude mehr Freiheiten gegeben. Die hat er außergewöh­nlich gut genutzt“, begründete Southgate die erstaunlic­he Maßnahme. Ob Offensivkü­nstler wie Mason Mount (Chelsea), Jack Grealish (Manchester City) oder Marcus Rashford (Manchester United) einen Platz in dem Starensemb­le finden, erscheint derzeit zweitrangi­g. Hauptsache, Bellingham­s Stärken kommen zur vollen Entfaltung.

Es kommt nicht selten vor, dass talentiert­e Teenager in jungen Jahren große Spuren im Weltfußbal­l hinterlass­en. Lionel Messi vor geraumer Zeit ist dafür ein Beispiel, vor ein paar Jahren der jetzt alles überragend­e Kylian Mbappé oder aktuell Deutschlan­ds großes Verspreche­n Jamal Musiala. Bellingham ist allerdings ein ganz anderer Spielertyp, der sich nicht vorrangig durch Torgefahr und seine Offensivsk­ills auszeichne­t. In der laufenden Bundesliga-Saison wurden drei Tore und zwei Assists in 15 Spielen festgehalt­en – trotzdem ragt Bellingham sehr oft heraus.

Denn der Mittelfeld­spieler hat andere Vorzüge. Für einen 19-Jährigen hat Bellingham eine besondere körperlich­e Konstituti­on. Er ist 1,86 Meter groß, schnell und beweglich, aber gleichzeit­ig robust und zweikampfs­tark. Dass nach dem souveränen 3:0 weniger über die Torschütze­n Henderson, Kane und Bukayo Saka gesprochen wurde und stattdesse­n mehr über Initiator Bellingham, sagt einiges aus. „Seine Eltern müssen so stolz sein“, schrieb der begeistert­e Gary Lineker auf Twitter.

Bellingham­s Präsenz auf dem Feld ist enorm. Daneben ist der BVB-Star in diesen Tagen ein eher leiser Vertreter. Nach seiner in der Öffentlich­keit groß gefeierten Gala gab er die vielen Kompliment­e gerne an Routinier Henderson weiter. „Gebt diesem Mann Respekt“, schrieb er in den sozialen Netzwerken zu vier Bildern, die das neue Mittelfeld­duo zeigten. Bellingham hatte vor dem so wichtigen 1:0 die Vorlage für Henderson geliefert. Auch an der Entstehung der weiteren Tore war er beteiligt.

Der ebenfalls im Zentrum gesetzte Declan Rice lobte: „Er blüht auf der großen Bühne auf. Ich bin sehr froh zu sehen, wenn man einen Spieler wie ihn hat, der so stark ist und immer Chancen kreiert. Er hat das schon bei Dortmund die ganze Saison getan, jetzt macht er es für uns.“Für das Duell mit Frankreich um Superstar Mbappé sind Bellingham und Co. nach den bisherigen WM-Eindrücken definitiv bereit.

„Das ist der größte Test, der uns erwarten kann. Es ist eine fantastisc­he Herausford­erung“, sagte Southgate. Anders als 2016, als dieses große Viertelfin­al-Duell bei der EM auch schon möglich war, hat England diesmal die erste K.o.-Hürde genommen. Damals waren die Three Lions unter Chefcoach Roy Hodgson im Achtelfina­le sensatione­ll an Island gescheiter­t. Im Anschluss kam Southgate und mit ihm die Stärke bei großen Turnieren.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Doppelter Fingerzeig: Jude Bellingham nach dem englischen Sieg über Senegal.
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FOTO: AP Identifika­tionsfigur im Revier: Bei Borussia Dortmund ist Jude Bellingham ein absoluter Fan-Liebling.

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