Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
NRW schnürt Fünf-Milliarden-Paket
Die Tilgung der neuen Kredite soll 25 Jahre dauern. Grundlage ist nun doch die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse, was die Landesregierung erst hatte vermeiden wollen. Die Opposition spricht von Haushaltstricks.
DÜSSELDORF Fünf Milliarden Euro will die schwarz-grüne Landesregierung aufnehmen, um die Folgen von Rezession und Inflation abzumildern. Das geht aus einem Antrag hervor, der unserer Redaktion vorab vorliegt und an diesem Mittwoch ins Plenum eingebracht werden soll. Demnach soll das Sondervermögen mithilfe eines Nachtragshaushalts auf den Weg gebracht werden. Für die Tilgung wollen sich CDU und Grüne 25 Jahre Zeit lassen.
In dem Antrag zur Ausrufung der finanziellen Notlage heißt es unter anderem, die Einstellung der russischen Gaslieferungen habe durch die massiven Preissteigerungen bei Gas und Strom eine „erhebliche, teilweise existenzbedrohende Belastung für Bevölkerung, öffentliche Stellen und Institutionen der Daseinsvorsorge und Unternehmen in Deutschland“verursacht. NRW sei aufgrund seiner Wirtschaftsstruktur mit vielen Grundstoffindustrien härter getroffen als andere Länder. Die Firmen würden Verluste einfahren oder hätten gar ihre Produktion ganz oder teilweise einstellen müssen.
Dann verweisen die Koalitionäre auf die Wirtschaftsprognosen verschiedener Institute. Der Stimmungsrückgang ziehe sich durch sämtliche Branchen. Das Bruttoinlandsprodukt werde in NRW 2022 und 2023 deutlich stärker sinken als in anderen Ländern. Zugleich weist Schwarz-Grün darauf hin, dass die Folgen der Corona-Pandemie weiterhin zu spüren seien und die Klimakrise weitere Verwerfungen berge.
Die Erklärung der finanziellen Notlage ist Voraussetzung, um von der Schuldenbremse abweichen zu dürfen. Wofür die Kredite ausgegeben werden sollen, skizzieren die Koalitionäre ebenfalls: Demnach sollen mit Hilfsprogrammen Lücken bei der Strom- und Gaspreisbremse sowie beim Härtefallfonds geschlossen werden. Daneben soll es Unternehmenshilfen geben, um drohende Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Energiekosten
zu verhindern. Geld ist zudem für öffentliche Stellen und Institutionen vorgesehen, um die Daseinsvorsorge abzufedern und sie gegen noch zu erwartende Auswirkungen dieser Krisensituation zu wappnen. Hilfen sind zudem insbesondere für einkommensschwache Haushalte geplant. Zudem verweisen die Koalitionäre darauf, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel für die Flüchtlinge bei Weitem nicht ausreichten, um den Bedarf zu decken.
Schwarz-Grün hatte zuvor versucht, Mittel aus dem Corona-Rettungsschirm umzuwidmen, und hatte sich dafür einen Rüffel des Landesrechnungshofs eingefangen, der diesen Schritt als verfassungswidrig gegeißelt hatte. Dessen Stellungnahme sei „überraschend“gewesen, räumte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) am Montagabend vor Journalisten ein. Wäre eine Klage gegen die Haushaltspläne eingereicht worden, dann hätte gegebenenfalls ein „einstweiliger Rechtsschutz“eingesetzt. Das hätte bedeutet: Man hätte das vorgesehene Geld nicht verwenden dürfen.
FDP-Fraktionschef Henning Höne sagte unserer Redaktion: „Die Landesregierung ist in der Situation nicht, weil sie unvermeidbar war oder weil es böse externe Effekte gab. Sie hat sich selbst durch aktive Fehler und Untätigkeit hineinmanövriert.“Die wirtschaftliche Lage sei seit Monaten kein Geheimnis. Er warf Schwarz-Grün vor, einen Blankoscheck über fünf Milliarden Euro zur Finanzierung des eigenen Koalitionsvertrags anzustreben. „Dass die Landesregierung eigentlich einen Rekordhaushalt mit 100 Milliarden Euro auflegt und erklärt, es gebe dort überhaupt keine Einsparpotenziale, nehme ich ihr nicht ab.“
SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty knüpfte die Zustimmung an mehrere Bedingungen. So verlangte er, dass künftig das gesamte Parlament die Ausgaben aus dem Schirm absegnen müsse. Zudem müsse Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) bescheinigen, dass der Haushalt verfassungsmäßig sei. Einen Rücktritt von Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) wegen der chaotischen Vorgänge rund um den Haushalt lehnte er ab: „Ich habe eher den Eindruck, da gibt es andere Kräfte in dieser Landesregierung, die Herrn Optendrenk genötigt haben, einen solchen Haushalt vorzulegen, solche Haushaltstricks zu machen. Deswegen sehe ich die Verantwortlichkeit sogar eine Stufe höher.“