Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der freundliche Protektionismus
ANALYSE Joe Biden ist anders als Donald Trump. Doch sein „Inflation Reduction Act“droht Europas Firmen massiv zu benachteiligen. Die Antwort der EU – durch gemeinsame Schulden finanzierte Subventionen – macht alles schlimmer.
Als Joe Biden im November 2020 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, war die Erleichterung groß. „Mit Ihrer Präsidentschaft verbinden sich die Hoffnungen unzähliger Menschen, weit über die Grenzen Ihres Landes hinaus, auch in Deutschland. Es ist die Hoffnung auf eine neue Gemeinsamkeit“, hieß es im Gratulationsschreiben von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Wir haben viel zu tun, lasst uns zusammenarbeiten“, schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Mit dem Abtritt von Donald Trump, so hofften die Europäer, würde auch der plumpe Nationalismus des „Make
America Great Again“verschwinden und Rationalität in die Politik zurückkehren.
Biden enttäuschte die Europäer nicht – im Umgang mit dem Kriegsherren Putin und beim Klimaschutz setzte er auf Gemeinsamkeit. Doch jetzt, wo es um harte wirtschaftliche Interessen geht, zeigt sich Biden ähnlich protektionistisch wie Trump. Der Demokrat ist zwar freundlich im Umgang mit Kritik und offen für Nachbesserungen. Doch im Kern ist sein „Inflation Reduction Act“(IRA) knallharter Protektionismus. Und die Europäer drohen mit hektischen Reaktionen alles noch schlimmer zu machen.
Worum geht es? Offiziell dient der IRA der Bekämpfung der Inflation und des Klimawandels. Ziele, die die Europäische Union nur unterschreiben kann. Nach Trump ist der Nachholbedarf beim Klimaschutz besonders groß. Doch das Gesetz ist so konzipiert, dass es als riesiges Subventionsprogramm für die US-Industrie und Verdrängungsprogramm für die Europäer wirkt.
Um im Land der Spritfresser den Verkauf von Elektroautos anzukurbeln, will die US-Regierung zum Beispiel den Kunden Kaufprämien bis zu 7500 Dollar anbieten. Die Bedingung: Das Elektroauto muss in den USA montiert und die Batterie zu einem bestimmten Teil dort hergestellt sein. Industriepräsident Siegfried Russwurm warnt vor einer „massiven Benachteiligung“der europäischen Unternehmen. „Angesichts globaler Herausforderungen im Klimaschutz und mit erstarkenden autokratischen Systemen braucht es mehr transatlantische Kooperation, nicht weniger.“Mittelständler warnen, dass die USA Investitionen aus Europa absaugen.
Auch andere Regelungen sind umstritten: Lieferungen von „verdächtigen ausländischen Einheiten“sind generell untersagt. „Das zielt auf China, ist aber genügend vage, um auch Unternehmen aus anderen Ländern auszuschließen“, fürchtet der Bundesverband deutscher Banken. Das US-Blatt „Wall Street Journal“warnt: „Der neue Klimaprotektionismus wird nicht gut ausgehen.“
Biden nimmt, anders als Trump, die Kritik der Europäer ernst. Doch da das Gesetz bereits durch den Kongress ist, geht es nur noch darum, mit Durchführungsverordnungen das Schlimmste zu verhindern. Am Montag trafen sich Vertreter der EU und der US-Regierung im Handels- und Technologierat – ohne einen Durchbruch zu erzielen.
Ökonomen fürchten nun, dass die Europäische Union in ihrem Furor gegen die amerikanische Zumutung alles schlimmer macht. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat bereits gedroht, vor die Welthandelsorganisation (WTO) zu ziehen. SolcheVerfahren können dazu führen, dass die EU ihrerseits die Mauern im Handel hochzieht und Strafzölle auf US-Produkte verhängt.
Etwas diplomatischer, aber nicht weniger riskant sind die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie fordert, dass Europa nun seinerseits die Subventionen ausbauen soll, um die heimische Industrie
Holger Görg Präsident des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft zu unterstützen. „Selbst Subventionen massiv auszubauen, wie nun von der Kommissionspräsidentin vorgeschlagen, ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll. Dies würde einen Subventionswettbewerb starten, aus dem fast alle Beteiligten als Verlierer hervorgehen würden“, warnt Holger Görg, Präsident des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft. „Eigene Subventionen würden eine massive Geldverschwendung bedeuten und könnten am Ende auf einen Handelskrieg hinauslaufen.“
Mehr noch: Von der Leyen fordert auch, Gemeinschaftsanleihen aufzulegen, um diese Subventionen zu finanzieren. Eine gemeinsame europäische Industriepolitik erfordere gemeinsame Ausgaben, sagte sie – und hat dabei im Kopf, dass stark verschuldete Länder wie Italien sich neue Subventionsprogramme für die heimische Industrie nicht leisten können. Gemeinsame Anleihen der EU bedeuten gemeinsame Schulden: Das lehnt Deutschland seit Jahren strikt ab. Nicht einmal in der Euro-Schuldenkrise wurde dieses Instrument aktiviert.
Der Kieler Ökonom Görg rät zu Gelassenheit: „Die Europäer sollten jetzt einen kühlen Kopf bewahren.“Die Dimension des IRA sei „weit weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick scheint“. Die USRegierung habe ein Paket beschlossen, das in zehn Jahren 369 Milliarden Dollar für Investitionen in grüne Technologien bereitstelle. Allein das auf sieben Jahre angelegte Programm „Next Generation EU“sei bezogen auf die jährliche Wirtschaftsleistung deutlich größer. Die Furcht, dass Unternehmen wegen des IRA reihenweise aus Europa in die USA abwandern, sei übertrieben.
Anders sieht es beim Thema Energie aus: Weil diese in den USA so viel günstiger ist als in Deutschland, ist der Standort USA gerade für die energieintensive Industrie so attraktiv. Aber das haben die Europäer selbst in der Hand. Jetzt einen Handelskrieg mit den USA auszulösen, ist das Letzte, was sich der Westen angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine leisten sollte.
„Eigene Subventionen könnten auf einen Handelskrieg hinauslaufen“