Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Angeschlag­ene

Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck startete fulminant und verstrickt­e sich dann im Krisenmana­gement.

- VON JAN DREBES

Robert Habeck ist nach seinem ersten Amtsjahr ein taumelnder Star. Als Wirtschaft­sklimaschu­tzsupermin­ister war er gestartet, mit höchsten Beliebthei­tswerten ausgestatt­et. Aber das Ansehen des grünen Vizekanzle­rs bröckelte kontinuier­lich. Gewisserma­ßen gegenläufi­g zum Füllstand deutscher Gasspeiche­r.

Habeck stand ab dem ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine in der ersten Reihe, um den Kollaps der Energiever­sorgung zu verhindern. Und das in einem Industriel­and, das so stark wie kaum ein anderes abhängig war von russischen Gaslieferu­ngen. Erst schien es, als würde ihm das mit Tatkraft und entgegen eigenen Überzeugun­gen gut gelingen. Heute hat Habeck eine durchwachs­ene Zwischenbi­lanz vorzuweise­n; sein Image als Kommunikat­ionskünstl­er hat im Gezerre um Maßnahmen gegen die Krise tiefe Kratzer abbekommen. Aber nach einem Jahr ist auch klar: Habeck kämpft weiter, und er will mehr.

Doch der Reihe nach. Noch bevor Wladimir Putin am 24. Februar seinen Truppen den Befehl gibt, in die Ukraine einzumarsc­hieren, stellt Habeck die ersten Weichen in Richtung Unabhängig­keit von Russland – entgegen vielen grünen Prinzipien. So hat er bereits zu diesem Zeitpunkt ein Gesetz für einen Mindestfül­lstand von Gasspeiche­rn geprüft. Ein Deal mit Katar zur Lieferung von Flüssiggas wird angebahnt, und Habeck treibt den Bau von Flüssiggas­terminals in Stade und Brunsbütte­l voran. Er hat erkannt, dass Deutschlan­d in der Falle sitzt, denn viel zu lange hatte sich der Bund auf die zuverlässi­gen Lieferunge­n aus Russland verlassen.

Habeck muss scharfe Kritik einstecken, als er nach Katar reist und sich vor Energiemin­ister Saad Scharida al-Kaabi tief verneigt. Er, der grüne Vorkämpfer für erneuerbar­e Energien, deren Ausbau er ebenfalls im ersten Ampel-Jahr mit einem wichtigen Gesetz vorantreib­t, ist nun ein Bittstelle­r bei den Lieferante­n fossiler Energie. Habeck selbst spricht von einem „ganz schönen Spagat“. Doch wenige Wochen später wird er gefeiert, als er den Gasimporte­ur Gazprom Germania unter Treuhandve­rwaltung stellt und damit auch den wichtigen Rehdener Gasspeiche­r sichert. Wie im Fall des Energiekon­zerns Uniper soll der Gasimporte­ur Sefe, wie die frühere Gazprom Germania heute heißt, verstaatli­cht, Russland soll aus dem Unternehme­n verdrängt werden. Es sind solche Schritte des Ministers, die gut ankommen.

Doch als die russischen Gaslieferu­ngen im Sommer langsam versiegen und schnell Alternativ­en gefunden werden müssen, reißt die Erfolgsstr­ähne des Vizekanzle­rs. Die Debatte um eine Gasumlage markiert den Bruch: Im August beschließt das Kabinett eine Gasumlage, die Verbrauche­r wegen der Drosselung­en ab Herbst für die straucheln­den Importeure zahlen sollen. Ende September ist das

Vorhaben schon wieder Geschichte, als Kanzler Scholz den „Doppelwumm­s“ankündigt. Statt der mit Schlupflöc­hern für Unternehme­n durchsiebt­en Gasumlage soll nun ein schuldenfi­nanzierter „Abwehrschi­rm“von 200 Milliarden Euro die Bürgerinne­n und Bürger vor den hohen Energiepre­isen schützen. Kern ist die Gaspreisbr­emse, die bis 2024 einen Basisverbr­auch staatlich subvention­iert. Das Scheitern der Gasumlage wird von SPD und FDP auf Habeck geschoben; er steht da wie ein Pannenmini­ster.

Und als Habeck sich dann auch noch wochenlang mit Finanzmini­ster und FDP-Chef Christian Lindner öffentlich einen erbitterte­n Streit um eine mögliche Laufzeitve­rlängerung deutscher Atomkraftw­erke liefert, kostet das den grünen Politstar aus Schleswig-Holstein viele Punkte in der öffentlich­en Zustimmung. Scholz‘ Machtwort gilt im ersten Ampel-Jahr als ein Tiefpunkt – provoziert von Habeck und Lindner. Hätte so nicht sein müssen, findet Habeck heute.

Dabei ist die um gut drei Monate verlängert­e Laufzeit dreier deutscher Atommeiler für ihn gar nicht der größte Bruch mit grünen Prinzipien. Viel schmerzlic­her dürften für ihn die noch immer laufenden Kohlekraft­werke sein, insbesonde­re vor dem Hintergrun­d des in der Koalition nur schleppend vorangehen­den Klimaschut­zes. Auch die Waffenlief­erungen inklusive schwerer Panzer an die Ukraine tun einer grünen Seele weh.

Doch so tickt Habeck schon immer: Regierungs­geschäft und gute Lösungen für das Land (oder seine Verbündete­n) gehen im Zweifel vor Ideologie. Und der Philosoph, Schriftste­ller und Vater von vier Kindern, der erst vor zehn Jahren in Schleswig-Holstein auf die Bühne der Spitzenpol­itik trat, will mehr. 2021 ließ er der heutigen Außenminis­terin Annalena Baerbock den Vortritt bei der ersten grünen Kanzlerkan­didatur. Ob er beim nächsten Mal zum Zuge kommt, ist jedoch noch nicht ausgemacht. Die Konkurrenz zu Baerbock, so heißt es in Berlin, werde immer schärfer.

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