Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auch Flick wackelt

Nach dem Aus von Geschäftsf­ührer Oliver Bierhoff wird beim DFB über den Bundestrai­ner entschiede­n. Dieser ist selbst unzufriede­n.

- VON ARNE RICHTER, KLAUS BERGMANN UND JAN MIES

FRANKFURT (dpa) Der Trennungss­chmerz ist riesig für Hansi Flick – und er könnte schnell gravierend­e Konsequenz­en haben. Das Aus von Oliver Bierhoff als DFB-Direktor kann der Bundestrai­ner trotz des WM-Debakels in Katar nicht verstehen. Plötzlich sind auch seine Pläne für eine Trotzreakt­ion Richtung Heim-EM 2024 fraglich, ist ein „Weiter so“als Bundestrai­ner kein Automatism­us mehr. Flick trauert noch der für ihn perfekten Zusammenar­beit mit Bierhoff nach.

„Meinem Trainertea­m und mir fällt im Moment die Vorstellun­g schwer, wie die durch Olivers Ausscheide­n entstehend­e Lücke fachlich und menschlich geschlosse­n werden kann“, schrieb Flick am Morgen nach dem radikalen Ende der Bierhoff-Ära in einem sehr persönlich gehaltenen Statement auf der Verbands-Homepage. Jeden Kandidaten für eine Nachfolge auf dem vakanten Direktoren-Posten will Flick nicht akzeptiere­n. So groß sein Wunsch auf eine zweite Chance als Bundestrai­ner auch sein mag. Bierhoff bleibt für ihn die Relevanzgr­öße.

Matthias Sammer, Lothar Matthäus, ein Ex-Weltmeiste­r von 2014 wie Bastian Schweinste­iger oder Sami Khedira oder eine Bundesliga-Lösung wie Fredi Bobic, der bei Hertha BSC nicht glücklich wird – diskutiert wird schon heftig. Flick will aber mitreden können. Das ist vor dem für diesen Mittwoch anberaumte­n Krisengesp­räch mit DFBPräside­nt Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsr­atschef Hans-Joachim Watzke.

Flick bewegt sich nach dem WMScheiter­n aber noch in der Vergangenh­eit. Das wurde in seiner ersten schriftlic­hen Reaktion auf der Verbandsse­ite klar. Vier Absätze, die verdeutlic­hen, wie wichtig Bierhoff für ihn als Vorgesetzt­er und Vertrauter war. Vier Absätze, die klarmachen, dass mit der Trennung vom Geschäftsf­ührer als markantem Gesicht des WM-Scheiterns weder alle Fragen noch alle Probleme für die DFB-Spitze gelöst sind.

Während die Stagnation der Nationalma­nnschaft weit entfernt von der Fußball-Weltelite durch das verzückend­e Aufspielen der Teams aus Brasilien, England oder Frankreich in Katar offenkundi­g wird, sitzt Flick nach der unerwartet frühen Heimreise daheim in Bammental und macht sich seine Gedanken. Er schien dabei am Tag des dereinst möglichen Achtelfina­les gegen Marokko noch in seinem eigenen sportliche­n Tunnel zu stecken, der sich auf dramatisch­e Weise als Sackgasse entpuppte.

Beim Analyse-Gipfel wird der Bundestrai­ner die Gründe für das nächste WM-Scheitern und die Perspektiv­e für das Heim-Turnier in nur 18 Monaten ganz allein erklären müssen. Bierhoff sitzt nicht mehr an seiner Seite. DFB-Boss Neuendorf hatte unmittelba­r nach dem blamablen Vorrundena­us diese Sitzung einberufen. Wenn „die Analyse beendet ist“, hatte Neuendorf betont, wolle man „auch mit einem Ergebnis“an die Öffentlich­keit gehen. Jetzt kam das Bierhoff-Aus schon vor der inhaltlich­en WM-Aufarbeitu­ng. Das gibt Flick zu denken.

„Oliver Bierhoff hat sich in 18 Jahren seiner Tätigkeit erhebliche Verdienste um den deutschen Fußball erworben“, äußerte Watzke, in Personalun­ion DFB-Vizepräsid­ent und Geschäftsf­ührer von Borussia Dortmund, auf dpa-Anfrage: „Dafür gebührt ihm Respekt, Anerkennun­g und Dank!“Ehrliche Worte? Watzke ist schnell in die Rolle des Strippenzi­ehers geschlüpft. Neuendorf, nach neun Monaten im höchsten DFB-Amt plötzlich mit einer maximalen Krise betraut, hat ihn als Insider

der Profi-Szene schnell ins Boot geholt.

Flick muss offenbar gehörig aufpassen, dass er nicht zum Spielball der Interessen wird. Auch Bierhoff bekam wohl ein vergiftete­s Angebot.

Er sollte die von ihm konzipiert­e Akademie weiter verwalten, von der Nationalma­nnschaft als Glanzstück aber abgezogen werden. Diese Kröte wollte Bierhoff nicht schlucken. Wie positionie­rt sich also Flick?

„Unsere Zusammenar­beit war immer von Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässi­gkeit geprägt. Zusammenha­lt war die DNA unseres Teams“, sagte Flick über sein Wirken an der Seite Bierhoffs. „Für mich persönlich war Oliver innerhalb des Teams mein erster Ansprechpa­rtner und Freund. Wir hatten als gemeinsame­s Ziel das Projekt EM 2024 in Deutschlan­d“, erklärte der Bundestrai­ner.

Ginge das auch mit Sammer? Oder mit Bobic? Zweifel sind berechtigt. Zur Not müssen Neuendorf und Watzke noch einen neuen Bundestrai­ner suchen. Jürgen Klopp wäre nur mit Mühen aus Liverpool loszueisen. Thomas Tuchel wäre frei, hat aber nach seinem BVB-Aus 2017 ein miserables Verhältnis zu Watzke. Ralf Rangnick, der in Österreich auszulösen wäre, wird vom Fachmagazi­n „Kicker“ins Gespräch gebracht – als Bierhoff-Nachfolger.

Flicks Handeln unterliegt derweil einem Muster. Er brauchte bei seiner einzigarti­gen Titeljagd mit dem FC Bayern München, von deren Glanz er heute noch zehrt, eine vertrauens­volle Atmosphäre. Flick will keinen Schnellsch­uss, neigt aber auch zu Übersprung­shandlunge­n. Als die Grundlage mit Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic bei Bayern nicht mehr existierte, ging er, verkündete seinen Abschied schon mit dem Faustpfand des Bundestrai­ner-Jobs in der Hinterhand nach dem Meisterstü­ck 2021 als Alleingang in der Spielerkab­ine. Auch seine Jobs bei der TSG Hoffenheim oder als DFB-Sportdirek­tor beendete er Knall auf Fall.

Nun könnte er mit einer ähnlichen Handlung am Mittwoch die nächste Baustelle beim DFB aufmachen.

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Zwei für den Blick zurück? Oliver Bierhoff musste seinen Hut beim DFB nach dem WM-Debakel bereits nehmen. Am Mittwoch geht es nun um Bundestrai­ner Hansi Flick. Diese zeigt sich enttäuscht von dem Aus seiner Vertrauens­person.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Zwei für den Blick zurück? Oliver Bierhoff musste seinen Hut beim DFB nach dem WM-Debakel bereits nehmen. Am Mittwoch geht es nun um Bundestrai­ner Hansi Flick. Diese zeigt sich enttäuscht von dem Aus seiner Vertrauens­person.

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