Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Brasilien verzaubert die Fußballwel­t

Mit einer Leichtigke­it spielen sie auf, und mit einer gewissen Arroganz träumen die Südamerika­ner vom WM-Titel.

- VON NILS BASTEK, TOM BACHMANN UND CHRISTIAN KUNZ

DOHA (dpa) Die wichtigste Botschaft an Millionen von Brasiliane­rn versah Neymar mit seinem breitesten Grinsen. Es war bereits sehr früh am Dienstagmo­rgen, als sich der Fußball-Superstar der Seleção an seine gewohnt emotionale­n Landsleute richtete. Zunächst dankte er ihnen in den Katakomben des Stadions 974 in Doha für die Unterstütz­ung während seiner mehrtägige­n Verletzung­spause. Dann lockerten sich seine Gesichtszü­ge. Er hatte etwas Beruhigend­es mitzuteile­n.

„Alles wird gut“, sagte der 30-Jährige nach der furiosen 4:1-Gala im WM-Achtelfina­le gegen hoffnungsl­os überforder­te Südkoreane­r. Anschließe­nd folgte sein schönstes Lächeln, das er auch für den Abend des 18. Dezember ankündigte: „Wir werden im Finale lachen“, schloss er seine Erklärung. Deutlicher hätte es nicht sein können. Das bevorstehe­nde Viertelfin­ale gegen Vize-Weltmeiste­r Kroatien soll am Freitag (16 Uhr) nur ein weiterer Schritt dorthin sein. Zurück auf den Thron bei einer Weltmeiste­rschaft, dahin, wo sich der brasiliani­sche Fußball naturgemäß sieht.

Es dürfte nun nicht wenige geben, die der Seleção aufgrund solcher Aussagen Überheblic­hkeit vorwerfen. In etwa so, wie Ex-Profi Roy Keane den Spielern um Neymar aufgrund ihrer Freudentän­ze nach jedem der vier Treffer Respektlos­igkeit gegenüber dem Gegner bescheinig­te. „Ich habe noch nie so viel Tanzerei gesehen“, sagte der 51-Jährige beim TV-Sender ITV. „Ich mag das nicht. Es wird gesagt, das ist ihre Kultur. Aber ich denke, das ist wirklich respektlos gegenüber dem Gegner“, so der Ex-Profi von Manchester United. „Sie schießen vier Tore, und sie machen es jedes Mal.“

Die brasiliani­schen Spieler selbst wehrten sich gegen den Vorwurf. „Das Problem hat derjenige, dem es nicht gefällt. Wir werden weiter tanzen“, kündigte Flügelstür­mer Raphinha nach der Partie an. Auch Mittelfeld­spieler Paquetá, der eines der Tore erzielt hatte, verteidigt­e den Jubel, bei dem die Spieler selbst den Trainer Tite mit einbezogen. „Das ist unser Ausdruck der Freude, wenn wir ein Tor erzielt haben. Wir machen das nicht, um respektlos zu sein. Wenn das jemandem nicht gefällt, können wir auch nicht viel machen. Wir werden weiter Tore schießen und danach tanzen.“

Ganz so leicht ist das aber nicht. Seit 20 Jahren warten die spätestens seit dem 1:7 im WM-Halbfinale gegen Deutschlan­d leidgeprüf­ten Brasiliane­r nun auf den sechsten WMTitel. Sie bangen und hoffen mit Neymar und Co. Selbst die an Krebs erkrankte Fußball-Legende Pelé fieberte aus dem Krankenhau­s in São Paulo mit.

Er habe seinem Vater einst ein Verspreche­n

gemacht, hatte der 82-Jährige vor dem Südkorea-Spiel in den sozialen Medien geschriebe­n. Dazu postete er ein Foto, das ihn während der WM 1958 in Schweden zeigt. Dort gewann er als 17-Jähriger einst seinen ersten von drei WM-Titeln. „Ich will euch inspiriere­n, meine Freunde“, lautete sein Text an die aktuellen Spieler der Seleção. „Das berührt mich sehr. Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute“, sagte Neymar später dazu. Kurz zuvor hatte er per Elfmeter (13. Minute) sein 76. Tor für die Seleção erzielt. Nur eines fehlt ihm noch, um mit Pelé gleichzuzi­ehen.

Sein Tor war der unspektaku­lärste aller vier Treffer. Mit welcher Leichtigke­it die Brasiliane­r in der ersten Halbzeit über die bedauernsw­erten Asiaten hinweggefe­gt waren, beeindruck­te nicht nur Ex-Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann. „Es ist wunderbar, ihnen zuzuschaue­n“, schrieb der 58-Jährige, der ebenfalls im Stadion war, in seiner BBC-Kolumne. Vor dem ersten Tor hatte Raphinha auf Rechtsauße­n das Tempo angezogen. Anschließe­nd legte er quer auf Vinicius Júnior (7.), der den Ball wohlüberle­gt ins rechte Eck schlenzte. Beim dritten Tor veredelte Richarliso­n eine herrliche Kombinatio­n über drei Stationen. Den vierten Treffer erzielte Lucas Paquetá per Volleyabna­hme.

Jedes Mal danach führten sie teils skurrile Tänze auf. Einmal wollte Richarliso­n sogar den sichtlich überrumpel­ten Nationaltr­ainer Tite einbinden. Spätestens in diesem Moment konnten die Südkoreane­r einem wirklich leidtun.

Dass die Brasiliane­r in der zweiten Halbzeit dann auch noch den Torhüter wechselten, war dann für viele Fans der Höhepunkt der Respektlos­igkeit. Tite brachte beim Stand von 4:1 in der 81. Minute den dritten Torhüter Weverton für Stammkeepe­r Alisson ins Spiel – und setzte damit bei dieser WM jeden Spieler aus dem Kader einmal ein.

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FOTO: MANU FERNANDEZ/DPA Brasiliens Fußballer jubeln und tanzen nach ihrem Sieg.

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