Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Brasilien verzaubert die Fußballwelt
Mit einer Leichtigkeit spielen sie auf, und mit einer gewissen Arroganz träumen die Südamerikaner vom WM-Titel.
DOHA (dpa) Die wichtigste Botschaft an Millionen von Brasilianern versah Neymar mit seinem breitesten Grinsen. Es war bereits sehr früh am Dienstagmorgen, als sich der Fußball-Superstar der Seleção an seine gewohnt emotionalen Landsleute richtete. Zunächst dankte er ihnen in den Katakomben des Stadions 974 in Doha für die Unterstützung während seiner mehrtägigen Verletzungspause. Dann lockerten sich seine Gesichtszüge. Er hatte etwas Beruhigendes mitzuteilen.
„Alles wird gut“, sagte der 30-Jährige nach der furiosen 4:1-Gala im WM-Achtelfinale gegen hoffnungslos überforderte Südkoreaner. Anschließend folgte sein schönstes Lächeln, das er auch für den Abend des 18. Dezember ankündigte: „Wir werden im Finale lachen“, schloss er seine Erklärung. Deutlicher hätte es nicht sein können. Das bevorstehende Viertelfinale gegen Vize-Weltmeister Kroatien soll am Freitag (16 Uhr) nur ein weiterer Schritt dorthin sein. Zurück auf den Thron bei einer Weltmeisterschaft, dahin, wo sich der brasilianische Fußball naturgemäß sieht.
Es dürfte nun nicht wenige geben, die der Seleção aufgrund solcher Aussagen Überheblichkeit vorwerfen. In etwa so, wie Ex-Profi Roy Keane den Spielern um Neymar aufgrund ihrer Freudentänze nach jedem der vier Treffer Respektlosigkeit gegenüber dem Gegner bescheinigte. „Ich habe noch nie so viel Tanzerei gesehen“, sagte der 51-Jährige beim TV-Sender ITV. „Ich mag das nicht. Es wird gesagt, das ist ihre Kultur. Aber ich denke, das ist wirklich respektlos gegenüber dem Gegner“, so der Ex-Profi von Manchester United. „Sie schießen vier Tore, und sie machen es jedes Mal.“
Die brasilianischen Spieler selbst wehrten sich gegen den Vorwurf. „Das Problem hat derjenige, dem es nicht gefällt. Wir werden weiter tanzen“, kündigte Flügelstürmer Raphinha nach der Partie an. Auch Mittelfeldspieler Paquetá, der eines der Tore erzielt hatte, verteidigte den Jubel, bei dem die Spieler selbst den Trainer Tite mit einbezogen. „Das ist unser Ausdruck der Freude, wenn wir ein Tor erzielt haben. Wir machen das nicht, um respektlos zu sein. Wenn das jemandem nicht gefällt, können wir auch nicht viel machen. Wir werden weiter Tore schießen und danach tanzen.“
Ganz so leicht ist das aber nicht. Seit 20 Jahren warten die spätestens seit dem 1:7 im WM-Halbfinale gegen Deutschland leidgeprüften Brasilianer nun auf den sechsten WMTitel. Sie bangen und hoffen mit Neymar und Co. Selbst die an Krebs erkrankte Fußball-Legende Pelé fieberte aus dem Krankenhaus in São Paulo mit.
Er habe seinem Vater einst ein Versprechen
gemacht, hatte der 82-Jährige vor dem Südkorea-Spiel in den sozialen Medien geschrieben. Dazu postete er ein Foto, das ihn während der WM 1958 in Schweden zeigt. Dort gewann er als 17-Jähriger einst seinen ersten von drei WM-Titeln. „Ich will euch inspirieren, meine Freunde“, lautete sein Text an die aktuellen Spieler der Seleção. „Das berührt mich sehr. Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute“, sagte Neymar später dazu. Kurz zuvor hatte er per Elfmeter (13. Minute) sein 76. Tor für die Seleção erzielt. Nur eines fehlt ihm noch, um mit Pelé gleichzuziehen.
Sein Tor war der unspektakulärste aller vier Treffer. Mit welcher Leichtigkeit die Brasilianer in der ersten Halbzeit über die bedauernswerten Asiaten hinweggefegt waren, beeindruckte nicht nur Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann. „Es ist wunderbar, ihnen zuzuschauen“, schrieb der 58-Jährige, der ebenfalls im Stadion war, in seiner BBC-Kolumne. Vor dem ersten Tor hatte Raphinha auf Rechtsaußen das Tempo angezogen. Anschließend legte er quer auf Vinicius Júnior (7.), der den Ball wohlüberlegt ins rechte Eck schlenzte. Beim dritten Tor veredelte Richarlison eine herrliche Kombination über drei Stationen. Den vierten Treffer erzielte Lucas Paquetá per Volleyabnahme.
Jedes Mal danach führten sie teils skurrile Tänze auf. Einmal wollte Richarlison sogar den sichtlich überrumpelten Nationaltrainer Tite einbinden. Spätestens in diesem Moment konnten die Südkoreaner einem wirklich leidtun.
Dass die Brasilianer in der zweiten Halbzeit dann auch noch den Torhüter wechselten, war dann für viele Fans der Höhepunkt der Respektlosigkeit. Tite brachte beim Stand von 4:1 in der 81. Minute den dritten Torhüter Weverton für Stammkeeper Alisson ins Spiel – und setzte damit bei dieser WM jeden Spieler aus dem Kader einmal ein.