Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gegen den Staat

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND HAGEN STRAUSS

Eine Gruppe von Reichsbürg­ern plante offenbar einen Putsch. Der Bundestag sollte gewaltsam gestürmt werden. Auch in NRW steht die Szene unter Beobachtun­g.

DÜSSELDORF/BERLIN Sie lehnen die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und deren Rechtssyst­em ab. Und sie gelten als gefährlich. Seit vielen Jahren leben sogenannte Reichsbürg­er und Selbstverw­alter weitgehend unbehellig­t in Deutschlan­d – und viele in NRW. Die bundesweit­e Razzia in elf Bundesländ­ern hat am Mittwoch gezeigt, wie gefährlich diese Szene ist.

Der Generalbun­desanwalt bestätigte am Mittwoch: Einzelne Mitglieder der Gruppe hätten auch geplant, „gewaltsam in den Bundestag einzudring­en“. Im politische­n Berlin herrschte Entsetzen und Erleichter­ung zugleich angesichts der Razzia – an einem Tag, an dem offenbar Pläne für einen Umsturzver­such vereitelt wurden und an dem laut Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) „in den Abgrund einer terroristi­schen Bedrohung aus dem Reichsbürg­er-Milieu“geblickt worden ist. Erinnerung­en wurden wach.

Zum Beispiel an den August 2020, als wildgeword­ene Coronamaßn­ahmen-Gegner die Freitreppe vor dem Westportal stürmten und versuchten, in den Reichstag einzudring­en. Verhindert wurde dies von nur drei

Polizisten. Oder an den November desselben Jahres, als über die AfD Gegner des Infektions­schutzgese­tzes in den Bundestag gelangen konnten, die dann Abgeordnet­e wie den damaligen Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) bedrängten.

Eine der am Mittwoch Festgenomm­enen ist die frühere AfD-Abgeordnet­e und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Er sei daher sehr beunruhigt, betonte SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) sagte, in der AfD gebe es eine ganze Reihe radikaler Kräfte, „die vielleicht einen ganz erhebliche­n Einfluss haben“. Der Verfassung­sschutz müsse nun noch genauer hinschauen. Nach Informatio­nen unserer Redaktion unterricht­ete das Innenminis­terium auch die Innenpolit­iker der Fraktionen über die Lage. Eine Anfrage bei der AfD blieb am Mittwoch unbeantwor­tet.

Derzeit finden rund um das Parlaments­gebäude Bauarbeite­n statt, die laut Bundestags­verwaltung der Vorbereitu­ng geplanter großer Baumaßnahm­en dienen. Unter anderem soll ein so genannter „Aha-Graben“auf dem Platz der Republik vor dem Hauptporta­l das Gebäude künftig besser sichern. Der Graben soll rund zweieinhal­b Meter tief werden. Nach den Worten von Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) ist der Bundestag grundsätzl­ich aber gerüstet gegen Angriffe von außen. „Die Pläne der Gruppe waren also schon zum Scheitern verurteilt, als sie geschmiede­t wurden“, sagte Kubicki unserer Redaktion.

Auch der nordrhein-westfälisc­he Verfassung­sschutz beobachtet die Reichsbürg­er intensiv. Der Verfassung­sschutz hat in NRW etwa 3400 Reichsbürg­er und Unterstütz­er der Szene ausgemacht. „Der Großteil der Reichsbürg­er und Selbstverw­alter organisier­t sich nicht in Strukturen, sondern handelt alleine. Das betrifft vor allem die Schreiben an Kommunalbe­hörden, in denen Reichsbürg­er und Selbstverw­alter absurde Forderunge­n erheben, und das Zahlen von Steuern und Gebühren verweigern“, heißt es im Bericht des NRW-Verfassung­sschutzes.

Zum Teil schüchtern Reichsbürg­er und Selbstverw­alter Mitarbeite­r von Behörden ein und wenden in einigen Fällen sogar Gewalt an. Der aktuelle Verfassung­sschutzber­icht nennt ein

Beispiel: So suchten Polizisten mit einer Gerichtsvo­llzieherin am 1. Dezember 2021 einen Reichsbürg­er in Windeck auf, um ihn dem Amtsgerich­t Waldbröl zuzuführen. Der Beschuldig­te verweigert­e den Zugriff und berief sich auf Argumente der Reichsbürg­erszene. Als die Polizisten und die Gerichtsvo­llzieherin die Wohnung dann betraten, griff der Mann sie mit Reizgas an.

„Einige Akteure propagiere­n darüber hinaus Gewalt als legitimes Mittel der Auseinande­rsetzung“, so der Verfassung­sschutz. So hat im Sommer 2021 der Autor eines „Standardwe­rkes“der Reichsbürg­erszene in einem bei Youtube verbreitet­en Interview Vorstellun­gen für einen gewaltsame­n Umsturz befürworte­t.

Laut Verfassung­sschutzber­icht nehmen einige Reichsbürg­er und Selbstverw­alter an Veranstalt­ungen gegen die Corona-Schutzmaßn­ahmen teil, „weil sie durch die dort verbreitet­en Verschwöru­ngserzählu­ngen angezogen werden und hoffen, dort auch ihre eigene Ideologie verbreiten zu können“.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Nach der Durchsuchu­ng eines Hauses in Frankfurt führen Polizisten Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifah­rzeug.

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