Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Gegen den Staat
Eine Gruppe von Reichsbürgern plante offenbar einen Putsch. Der Bundestag sollte gewaltsam gestürmt werden. Auch in NRW steht die Szene unter Beobachtung.
DÜSSELDORF/BERLIN Sie lehnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab. Und sie gelten als gefährlich. Seit vielen Jahren leben sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter weitgehend unbehelligt in Deutschland – und viele in NRW. Die bundesweite Razzia in elf Bundesländern hat am Mittwoch gezeigt, wie gefährlich diese Szene ist.
Der Generalbundesanwalt bestätigte am Mittwoch: Einzelne Mitglieder der Gruppe hätten auch geplant, „gewaltsam in den Bundestag einzudringen“. Im politischen Berlin herrschte Entsetzen und Erleichterung zugleich angesichts der Razzia – an einem Tag, an dem offenbar Pläne für einen Umsturzversuch vereitelt wurden und an dem laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu“geblickt worden ist. Erinnerungen wurden wach.
Zum Beispiel an den August 2020, als wildgewordene Coronamaßnahmen-Gegner die Freitreppe vor dem Westportal stürmten und versuchten, in den Reichstag einzudringen. Verhindert wurde dies von nur drei
Polizisten. Oder an den November desselben Jahres, als über die AfD Gegner des Infektionsschutzgesetzes in den Bundestag gelangen konnten, die dann Abgeordnete wie den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bedrängten.
Eine der am Mittwoch Festgenommenen ist die frühere AfD-Abgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Er sei daher sehr beunruhigt, betonte SPDFraktionschef Rolf Mützenich. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, in der AfD gebe es eine ganze Reihe radikaler Kräfte, „die vielleicht einen ganz erheblichen Einfluss haben“. Der Verfassungsschutz müsse nun noch genauer hinschauen. Nach Informationen unserer Redaktion unterrichtete das Innenministerium auch die Innenpolitiker der Fraktionen über die Lage. Eine Anfrage bei der AfD blieb am Mittwoch unbeantwortet.
Derzeit finden rund um das Parlamentsgebäude Bauarbeiten statt, die laut Bundestagsverwaltung der Vorbereitung geplanter großer Baumaßnahmen dienen. Unter anderem soll ein so genannter „Aha-Graben“auf dem Platz der Republik vor dem Hauptportal das Gebäude künftig besser sichern. Der Graben soll rund zweieinhalb Meter tief werden. Nach den Worten von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) ist der Bundestag grundsätzlich aber gerüstet gegen Angriffe von außen. „Die Pläne der Gruppe waren also schon zum Scheitern verurteilt, als sie geschmiedet wurden“, sagte Kubicki unserer Redaktion.
Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger intensiv. Der Verfassungsschutz hat in NRW etwa 3400 Reichsbürger und Unterstützer der Szene ausgemacht. „Der Großteil der Reichsbürger und Selbstverwalter organisiert sich nicht in Strukturen, sondern handelt alleine. Das betrifft vor allem die Schreiben an Kommunalbehörden, in denen Reichsbürger und Selbstverwalter absurde Forderungen erheben, und das Zahlen von Steuern und Gebühren verweigern“, heißt es im Bericht des NRW-Verfassungsschutzes.
Zum Teil schüchtern Reichsbürger und Selbstverwalter Mitarbeiter von Behörden ein und wenden in einigen Fällen sogar Gewalt an. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht nennt ein
Beispiel: So suchten Polizisten mit einer Gerichtsvollzieherin am 1. Dezember 2021 einen Reichsbürger in Windeck auf, um ihn dem Amtsgericht Waldbröl zuzuführen. Der Beschuldigte verweigerte den Zugriff und berief sich auf Argumente der Reichsbürgerszene. Als die Polizisten und die Gerichtsvollzieherin die Wohnung dann betraten, griff der Mann sie mit Reizgas an.
„Einige Akteure propagieren darüber hinaus Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung“, so der Verfassungsschutz. So hat im Sommer 2021 der Autor eines „Standardwerkes“der Reichsbürgerszene in einem bei Youtube verbreiteten Interview Vorstellungen für einen gewaltsamen Umsturz befürwortet.
Laut Verfassungsschutzbericht nehmen einige Reichsbürger und Selbstverwalter an Veranstaltungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teil, „weil sie durch die dort verbreiteten Verschwörungserzählungen angezogen werden und hoffen, dort auch ihre eigene Ideologie verbreiten zu können“.