Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Merz gefällt sich in der Rolle des Dauernörglers zu sehr“
SPD-Co-Chef Lars Klingbeil kritisiert die Opposition als ideenlos – und zieht eine ordentliche Zwischenbilanz nach einem Jahr Ampel-Regierung.
DÜSSELDORF Ein Jahr Ampelkoalition – und gleich musste sich das erste Drei-Parteien-Bündnis in der Geschichte der Bundesrepublik einem Krieg in Europa stellen. SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil zieht ein positives Fazit: „Die Ampelkoalition stand vor riesengroßen Herausforderungen, wie sie selten eine Regierung bei ihrem Start hat“, resümierte er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das hat unsere Koalition ordentlich bestanden, das Krisenmanagement funktioniert gut. Gleichzeitig sind wir die Modernisierung des Landes angegangen. Da liegt aber noch einiges vor uns“, so Klingbeil. „Deshalb habe ich die Note Drei plus vergeben. Als Schüler habe ich mich über eine solche Note oft gefreut.“
Positiv aus SPD-Sicht sei die Verabschiedung des Mindestlohns und des Bürgergelds. „Das sind zwei zentrale Wahlversprechen“, so der einstige Chefstratege des SPD-Bundestagswahlkampfes. Nicht überraschend dagegen sein hartes Urteil über die Opposition, in der sich die Union nach 16 Jahren Regierung erst einmal neu orientieren musste. „Da sind keine Konzepte, keine Ideen, da wird nur gemeckert, und das reicht nicht“, kritisierte der Sozialdemokrat. „Ich wünsche mir einen konstruktiven Weg, und dass die Union mithilft, das Land durch die Krise zu führen.“Auch der Oppositionsführer und CDU-Chef bekommt sein Fett weg. „Friedrich Merz gefällt sich in der Rolle des Dauernörglers zu sehr“, so Klingbeil. Für den 44-jährigen SPD-Politiker sind Debatten in der gegenwärtigen Krise aber nichts Ehrenrühriges im Gegenteil. „Um die Populisten rechts und links platt zu machen, brauchen wir mehr Streit und Diskussionen in der Mitte.“
Sorgen bereitet dem Vertrauten von Kanzler Olaf Scholz dagegen die
Haltung der amerikanischen Wirtschaftspolitik. „Die USA starten ein Anti-Inflationsprogramm, das Jobs aus China und Europa wieder nach Amerika holen soll“, sagt Klingbeil. „Das geschieht eindeutig auch zu unseren Lasten. So sollte man unter Freunden nicht miteinander umgehen.“
Zugleich mahnte er deutsche Unternehmen an, zeitnah ihre Handelspolitik in China zu überdenken. „Die deutsche Wirtschaft muss jetzt ganz konkret schauen, wie sie ihre Abhängigkeit von China reduzieren kann. Es geht um Diversifizierung“, forderte der SPD-Vorsitzende.