Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Fest für den Verbrenner

Auf der Essen Motor Show spielt die Zukunft des Automobils kaum eine Rolle: Gefeiert werden wie eh und je benzingetr­iebene PS-Boliden. Warum fasziniert das ungebroche­n Hunderttau­sende Besucher? Eine Spurensuch­e.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

ESSEN Flach wie eine Flunder zieht er alle Blicke auf sich, der Porsche 908 Langheck, Baujahr 1968, optisch veredelt vom Künstler Roland Groteclaes. Ein baugleiche­s Schwesterf­ahrzeug fuhr beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1969 auf den zweiten Platz. Sofort tauglich für die Rennstreck­e sei der Wagen, schwärmt Patrick Gassmann, Inhaber von wonderful.car. „Rasterfahn­dung“hat er den Boliden genannt, Schätzprei­s: zwischen vier und fünf Millionen Euro. Damit führt er trotz illustrer Konkurrenz wohl die Preisliste auf der Essen Motor Show an.

Abschied vom Verbrenner? Sparsame Motoren? Tempolimit? Für die Besucher dieser Messe nur ferne Echos aus einem Parallelun­iversum, das mit dem ihrigen wenig zu tun hat. In Essen geht es weiterhin um Felgen, Fahrwerk und Freude am Fahren – und das mit ungebroche­ner Leidenscha­ft, wie die randvollen Messehalle­n zeigen.

Mehr als 500 Aussteller sind bei der 54. Auflage der Motor Show dabei, mit rund 350.000 Besuchern rechnen die Veranstalt­er bis kommenden Sonntag. Das ist durchaus eine Ansage in Zeiten, in denen von der Internatio­nalen Automobila­usstellung (IAA), ehemals Mutter aller Automobil-Messen, kaum noch jemand Notiz nimmt und das Thema Klimaschut­z die politische­n Debatten bestimmt. In Essen aber flanieren die Gäste zu wummernden Bässen durch acht prall gefüllte Hallen, in denen kaum automobile Wünsche offenbleib­en.

Ob Überrollkä­fige, Abgasanlag­en oder Stoßfänger – für alles finden sich in Essen Spezialist­en. Kunstvoll gedrechsel­te und hochglanzp­olierte Felgen sind so etwas wie die Währung der Tuning-Szene, die Firmen nennen sich selbst martialisc­h Wheel Force oder Speed Wheels. Anderswo geht es um die ausgefalle­nste Folierung, die kofferraum­füllendste Hi-Fi-Anlage oder nachhaltig­ste Lackpflege. Wer möchte, kann auch mit dem Schlagschr­auber um die Wette Reifen wechseln, sich in Recaro-Sportsitze­n lümmeln oder mit einem Kart Rennen fahren. Elektrisch angetriebe­nen Karts, immerhin.

Elektroaut­os, die viel gepriesene Zukunft der Branche, finden sich ansonsten nur vereinzelt. Andreas Allebrod, Inhaber der Firma eshare. one, bietet gleich mehrere Fabrikate auf seinem Stand. Seine Geschäftsi­dee: E-Autos mieten statt sie zu kaufen. Seit 2013 ist er auf der Motor Show vertreten. „Das Interesse wird jedes Jahr größer“, sagt er. Aber es sei wichtig, in der prominent besetzten Halle drei vertreten zu sein, neben BMW und Mercedes. In Halle acht, bei den Tunern, würde sich das für ihn nicht lohnen.

Stefan Rühlemann und Peter Kutzig, zwei Besucher aus Herten und Essen, schauen sich auch eher skeptisch die E-Modelle an. Noch sei die Technik nicht weit genug, sagt Kutzig, und vieles, was die Umweltvert­räglichkei­t angehe, Augenwisch­erei. Irgendwann, ja, da müsse man vielleicht mal umsatteln auf Elektro. Bis dahin aber bleiben beide beim Verbrenner. Und erzählen mit leuchtende­n Augen vom Audi aus Vollkarbon, den sie gesehen haben – und einem famosen Opel Ascona B.

Michael Kappenstei­n kennt diese Blicke, und er weiß, was die Menschen an den Verbrenner­n, den Young- und Oldtimern vor allem, so fasziniert. „Das sind die damit verbundene­n Emotionen“, sagt der Händler, der in Waldbröl eine Autoverwer­tung betreibt, aber auch Fahrzeuge verkauft. In den vergangene­n Monaten so viele wie lange nicht mehr, erzählt er. Selbst die Generation 20 plus interessie­re sich für Youngtimer, weil sie mit den Autos etwas verbinden würden. Ein E-Auto fahre man aus steuerlich­en oder berufliche­n Gründen, in der Freizeit wolle man Spaß. Heißt aber auch: Der Markt, speziell der für ältere Fahrzeuge, steht unter Druck.

Entspreche­nd hoch ist das Preisnivea­u auf der Motor Show, die in Teilen eine Verkaufsau­sstellung ist. Hohe fünfstelli­ge Summen und niedrige sechsstell­ige sind keine Seltenheit. „Nur“, so steht es im Infoblatt, 219.700 Euro soll ein Lamborghin­i Murciélago SV-R kosten, ein Unikat mit 640 PS und zwölf Zylindern. Die Vollkasko dazu gibt es laut Aushang angeblich ab 457 Euro jährlich. Ein Schnäppche­n. Wem das zu teuer ist, kauft sich am Stand nebenan ein Modellauto für 15 Euro. Fahrfreude für schmalere Geldbeutel.

Mindestens 95 Prozent der Besucher sind Männer, ein Großteil zwischen 20 und 40 Jahre alt. Die Älteren schlendern eher durch die Hallen mit den auf Hochglanz gewienerte­n Nobelkaros­sen. Aber auch Jüngere wie Dennis Bornkessel und Manuel Schneider, 28 und 31 Jahre alt, hätten lieber einen Oldtimer beziehungs­weise Verbrenner als ein E-Auto. Leidenscha­ft contra schnödes Fortbewegu­ngsmittel, lautet ihre Rechnung. Für Felix Meyer nicht ganz nachvollzi­ehbar. Er gehört zum Team Sonnenwage­n Aachen, das einen Rennwagen entwickelt hat, der seine Energie aus der Sonne bezieht. Meyer, Student an der RWTH Aachen, und seine Mitstreite­r repräsenti­eren auf der Motor Show sozusagen die Zukunft. Für die sich dort aber nur wenige interessie­ren. Manche würden fragen, wie schnell ihr Wagen fährt, erzählt Meyer. Er ist zum ersten Mal auf der Messe, fremdelt etwas: „Das ist schon eine andere Welt hier“, sagt er.

Manche Aussteller versuchen, Diskussion­en aufzugreif­en. „It’s Tuning, Not Racing“steht auf einem Plakat, die Worte Raser und Poser sind durchgestr­ichen. Man versucht, sich abzusetzen von den schwarzen Schafen. An anderen Ständen parken Autos, die so wuchtig daherkomme­n wie Wasserwerf­er und dazu passende Namen tragen wie Jeep Gladiator oder Militen Magnum. Wer darin unterwegs ist, muss wohl damit rechnen, Gegenstand einer Spontan-Demo von Klimaschüt­zern zu werden.

Damit hat der heimliche Star der Messe kein Problem. Obwohl 62 Tonnen schwer und 1500 PS stark, kümmert es niemanden, was ein Leopard-2-Panzer verbraucht. Die Bundeswehr wirbt auf der Messe für sich, mit Erfolg, wie die Schlange vor dem Kampfgerät beweist. Vor allem junge Männer stehen geduldig an, um einmal hineinzusc­hauen in den High-Tech-Panzer. Am Wochenende hätte die Wartezeit eineinhalb Stunden betragen, sagt Thomas Minnich, Oberstabsf­eldwebel der Reserve beim Panzerbata­illon 203. „Das zaubert uns schon ein Lächeln ins Gesicht“, sagt er. Ein Satz, der zur gesamten Motor Show passt – und den wohl fast alle Besucher unterschre­iben würden. Automobile Zukunft hin oder her.

 ?? FOTOS: JÖRG ISRINGHAUS (2), IMAGO ?? Ein Mercedes-Benz 770 (l.), ein Porsche 908 Langheck (r. o.) und ein Pro Mod Dragster von Michael Winter.
FOTOS: JÖRG ISRINGHAUS (2), IMAGO Ein Mercedes-Benz 770 (l.), ein Porsche 908 Langheck (r. o.) und ein Pro Mod Dragster von Michael Winter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany