Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich habe sie danach getröstet“

Im Prozess um den Missbrauch­sfall Wermelskir­chen hat der Angeklagte alle Taten gestanden.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Der Babysitter kam mit dem Tesla, einem 80.000-Euro-Wagen, und niemand fragte sich, warum dieser gut verdienend­e Mann eigentlich am Feierabend oder am Wochenende für acht bis 15 Euro Stundenloh­n auf kleine Kinder aufpasst? „Nein“, sagt Marcus R. auf Nachfrage des Vorsitzend­en Richters Christoph Kaufmann. „Ich wurde danach nie gefragt.“Rückblicke­nd könne er sagen, dass er offenbar den Eltern gegenüber derart überzeugen­d aufgetrete­n sei, dass niemand Verdacht geschöpft habe. „Ich hatte schnell einen guten Draht zu den Kindern“, sagt er.

Es ist der zweite Tag im Prozess um den Missbrauch­skomplex Wermelskir­chen, und der Angeklagte Marcus R., 45 Jahre alt, verheirate­t und kinderlos, gesteht, für alle Taten in der Anklage verantwort­lich zu sein. Es geht vor dem Kölner Landgerich­t um mehr als 120 Fälle teils schweren sexuellen Missbrauch­s von Kindern. R. hat seine Taten umfassend dokumentie­rt, früher per Videokamer­a, später mit dem Mobiltelef­on. Alle Videos hat er mit Nummern und Namen versehen und archiviert. „Die Taten sind abscheulic­h, und ich bereue sie wirklich zutiefst“, sagt er. „Ich habe in einer Parallelwe­lt gelebt.“In dieser Welt habe es immer nur Bestätigun­g für die Taten gegeben. Er brauche nun profession­elle Unterstütz­ung: „Ich bitte um eine Therapiemö­glichkeit.“In Richtung der Nebenklage­Anwälte, die die Familien der Opfer vertreten, entschuldi­gt er sich. „Ich habe mir ihr Vertrauen erschliche­n und es missbrauch­t“, sagt er. „Ich werde mit dieser Schande ein Leben lang leben müssen.“

In Chats mit anderen Pädophilen sei die Möglichkei­t diskutiert worden, sich als Babysitter Zugang zu Kindern zu verschaffe­n. Auch wegen seiner Vorliebe für Windeln bot R. sich auf Betreuungs­portalen als Babysitter für kleine Kinder, aber auch behinderte Kinder an. Er erzählt das im Plauderton, beflissen beantworte­t er Nachfragen. Bevorzugt habe er Jungs bis vier Jahre. „Aber ich war da flexibel – man kann ja nicht immer eine Auswahl treffen.“Der ITExperte hatte ein Jahresgeha­lt von rund 180.000 Euro brutto. „Aber bei den Babysitter-Jobs ging es Ihnen ja nicht ums Geld“, sagt Richter Kaufmann. R. schaut ihn an und nickt wieder mehrfach: „Korrekt.“

In seiner Tasche, die er fürs Babysitten packte, hatte er nicht nur Sexspielze­ug, Stativ und Schlaftabl­etten,

sondern auch einen Türkeil. Damit habe er Zeit gewinnen wollen, wenn die Eltern mal zu früh zurückgeko­mmen wären, sagt er. „Ich habe ihn dann aber nie benutzt.“Er habe aber nicht nur „sexuelle Dinge“mit den Kindern getan, sondern auch alles, was ein Babysitter eben so mache. „Gespielt, vorgelesen, rausgegang­en“, sagt er. „Mir war wichtig, dass sie nicht nur vor dem Fernseher sitzen.“Kaufmann sagt: „Hätten sie es mal lieber gemacht, die Kinder vor den Fernseher gesetzt.“

Der Angeklagte führt aus, er habe schon ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ein Kind während des Missbrauch­s geweint habe. „Ich habe sie danach getröstet“, sagt er. Insgesamt würde er sich als hilfsberei­ten, offenen Menschen beschreibe­n, sagt er. „Abgesehen von dieser dunklen Seite.“

Ein Urteil wird Ende Februar erwartet.

„Hätten sie es mal lieber gemacht, die Kinder vor den Fernseher gesetzt“Christoph Kaufmann Richter

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