Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kasse machen mit den Preisbrems­en

Kuriose Folgen der Politik: Für Kunden, die mehr als 20 Prozent Gas oder Strom sparen, lohnt es, in einen teureren Tarif zu wechseln. Solardach-Besitzer bekommen fast nichts.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Seit Monaten liegen die Preise für Strom und Gas auf Rekordnive­au. Zum 1. Januar wurden laut dem Portal Check 24 bereits 1057 Fälle von Preiserhöh­ungen angekündig­t. Elf Millionen Haushalte sind demnach betroffen. Womöglich können sie dabei sogar Kasse machen, was eine kuriose Folge der Preisbrems­en ist: „Der Mechanismu­s kann merkwürdig­e Anreizeffe­kte haben. Wer im kommenden Jahr deutlich weniger Energie verbraucht als bisher, kann mit einem teuren Tarif entspreche­nd mehr Geld sparen“, sagte Sebastian Dullien, wissenscha­ftlicher Direktor des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung, unserer Redaktion.

Wie funktionie­rt das Sparen mit der Preisbrems­e? Haushalte und kleine Betriebe müssen auf 80 Prozent des Vorjahresv­erbrauchs nur zwölf Cent je Kilowattst­unde Gas zahlen. Was viele nicht wissen: Verbrauche­n sie weniger als 80 Prozent, bekommen sie für jede eingespart­e Kilowattst­unde den vollen aktuellen Tarifpreis ihres Anbieters erstattet. Das Gleiche gilt bei der Strompreis­bremse. Damit können Verbrauche­r bei hohen Einsparung­en ihre Energierec­hnung fast auf null senken. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium bestätigt dies: Wer weniger Gas verbrauche als prognostiz­iert, bekomme Geld zurück – und zwar „die eingespart­e Menge multiplizi­ert mit dem höheren Vertragspr­eis“. Damit wolle man einen Anreiz für besonders sparsames Verhalten schaffen.

Kann es lohnen, in einen teuren Tarif zu wechseln? „Für Verbrauche­r, die sicher wissen, dass sie mehr als 20 Prozent ihres bisherigen Strom-, Wärme- oder Gasverbrau­chs einsparen werden, lohnt es sich, in einen teureren Tarif zu wechseln“, so Dullien. Hintergrun­d sei, dass der Rabatt in Abhängigke­it vom aktuellen Arbeitspre­is und unabhängig von der tatsächlic­h verbraucht­en Menge gewährt werde. Das ist für Haushalte und Betriebe interessan­t, die etwa einen Teil ihres Hauses oder Bürogebäud­es im Winter stilllegen, um Energie zu sparen. Allerdings: Falle die Einsparung am Ende kleiner aus als 20 Prozent, dann werde es nach einem Wechsel zu einem teureren Anbieter teuer, so Dullien.

die Kunden derzeit mit großen Wechselbon­i ködern. „Wir beobachten derzeit besonders hohe Bonuszahlu­ngen von 400 bis 500 Euro beim Anbieterwe­chsel“, sagt Udo Sieverding, Energieexp­erte der Verbrauche­rzentrale NRW. Diese Boni würden nach Inkrafttre­ten der Preisbrems­e aber auf 50 Euro gedeckelt. Zugleich warnt er: „Kunden, die nur wegen des erhofften Einspareff­ektes in teure Tarife wechseln, riskieren ein Eigentor, wenn sich die Einsparung dann doch nicht realisiere­n lässt.“Das Wirtschaft­sministeri­um warnt die Stadtwerke: Es werde eine Missbrauch­skontrolle geben, um ungerechtf­ertigte Preiserhöh­ungen zu unterbinde­n. „Das Bundeskart­ellamt wird prüfen“, so die Sprecherin.

Ist die Preisbrems­e falsch konstruier­t? „Dieser Effekt ist ein Nebeneffek­t des Wunsches der Gaspreisko­mmission, den Sparanreiz möglichst hochzuhalt­en“, sagt Dullien. Der Düsseldorf­er Forscher hatte zusammen mit Isabella Weber eine andere Bremse vorgeschla­gen. „Der Effekt tritt nur auf, weil der Rabatt unabhängig vom tatsächlic­hen Verbrauch gewährt wird.“Der Gesetzgebe­r könnte verbieten, in einen Tarif mit einem höheren Arbeitspre­is zu wechseln, solange die Gaspreisbr­emse gelte, so Dullien.

Wie werden Besitzer von Solardäche­rn entlastet? Sie bekommen kaum etwas vom Staat. „Bei der Strompreis­bremse wird der Jahresverb­rauch als Referenz zugrunde gelegt, der im September 2022 vom Versorger kalkuliert wird. Für bestehende Solaranlag­en betrifft das also die Menge, die zusätzlich aus dem Netz bezogen wird“, sagt Sieverding. Das bestätigt das Ministeriu­m. Es geht davon aus, dass private Solardach-Besitzer mit einem Speicher 40 bis 50 Prozent ihres Jahresverb­rauchs selbst decken und den Rest aus dem Stromnetz beziehen. Und nur für 80 Prozent auf diesen Rest gibt es die Entlastung.

Wie läuft der Sofortabsc­hlag? „Bislang liegen uns keine Beschwerde­n vor“, sagt Verbrauche­rschützer Sieverding. „Irritation­en gibt es lediglich, wenn Versorger den Abschlag für Dezember zunächst eingezogen haben. Bis Ende Dezember sollte die Rückerstat­tung erfolgen.“Der Stadtwerke­verband VKU sieht es ähnlich. Vereinzelt gebe es Probleme, weil keine Mail-Adressen oder Telefonnum­mern von Kunden vorlägen.

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Ein Mitarbeite­r auf dem Gelände eines Gasspeiche­rs.

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