Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Theaterrei­fer Wirecard-Prozess

- VON PATRICK GUYTON

An diesem Donnerstag beginnt das Verfahren gegen die mutmaßlich­en Drahtziehe­r.

MÜNCHEN Die Liste ist lang: Über den Niedergang dieses Unternehme­ns tagte bereits ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags, es gibt Bücher, Filme und sogar zwei Theaterstü­cke: „Kick & Kollaps“heißt eines davon, unlängst wurde es in Bamberg uraufgefüh­rt. Gezeigt werden darin laut dem ETA-Hoffmann-Theater „klassische imperialis­tische Träume“und „wie Männer in der Wirtschaft Unternehme­n gegen die Wand fahren“.

Die Geschichte hat das Leben geschriebe­n: Das Stück handelt von Wirecard, der einstigen Aufsteiger­Firma Nummer eins, ein in den Himmel gelobtes Tech-Unternehme­n, das als Vorbild und Aushängesc­hild für eine wirtschaft­lich gelungene Transforma­tion Deutschlan­ds ins digitale Zeitalter galt. Von diesem Donnerstag an geht es nun vor Gericht um Wirecard. Und damit um den mutmaßlich größten Kriminalfa­ll der bundesrepu­blikanisch­en Wirtschaft. Drei Ex-Bosse des einstigen Entwickler­s von digitalen Zahlungssy­stemen müssen sich nach der Megapleite im Juni 2020 nun vor dem Landgerich­t München verantwort­en.

Sie sind angeklagt wegen „gewerbsmäß­igen

Bandenbetr­ugs“. Milliarden von Euro seien, so der Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft, aus dem Unternehme­n gezogen, Geschäfte erfunden und Bilanzen gefälscht worden.

Hauptangek­lagter ist der ehemalige Vorstandsv­orsitzende Markus Braun. Der 53-Jährige, der Wirecard von 2002 an geleitet hatte, sitzt seit Juli 2020 in Untersuchu­ngshaft. Er bestreitet, in kriminelle Machenscha­ften verwickelt gewesen zu sein, alles soll hinter seinem Rücken geschehen sein. Oliver Bellenhaus war Wirecard-Vertreter in Dubai und soll dort nicht existieren­de Geschäfte fingiert haben. Er stellt die größte Gefahr dar für Braun und den ebenfalls angeklagte­n Finanzvors­tand Stephan von Erffa: Denn nach dem Firmen-Crash reiste Bellenhaus von Dubai zur Münchner Staatsanwa­ltschaft und packte aus, er gilt als Kronzeuge.

Es steht ein Mammut-Verfahren an: Allein bis Ende 2023 hat die Wirtschaft­sstrafkamm­er 100 Verhandlun­gstermine angesetzt, 2024 könnten weitere folgen. Wirecard

hatte bis zum Zusammenbr­uch weltweit massiv expandiert und stellte sich den Strafverfo­lgern als äußerst verschacht­eltes Unternehme­n dar. Bis zur Anklage untersucht­en die Ermittler 340 Firmen, 450 Personen und 1100 Bankverbin­dungen. Es kam zu 450 Vernehmung­en.

Mit der Digitalisi­erung hatte Wirecard sein Geschäftsm­odell entwickelt. Es wurden neue technische Möglichkei­ten geschaffen, wie digital bezahlt werden konnte. Die Zentrale lag in einem schmucklos­en Bürogebäud­e in Aschheim bei München, weltweit hatte das Unternehme­n 5100 Beschäftig­te. Geschäfte wurden in Singapur gemacht und in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, in Malaysia und auf den Philippine­n. Wirecard galt als Verheißung der neuen, globalisie­rten Welt – mit prominente­n Fürspreche­rn. Doch spätestens seit 2015 schossen nach Ansicht der Anklage nicht nur Bilanzsumm­en, Gewinne und der Aktienkurs in die Höhe – sondern es gab vermehrt Luftbuchun­gen, Geschäfte, die nur auf dem Papier existierte­n.

Eine wichtige Person sitzt in München nicht auf der Anklageban­k: das einstige Vorstandsm­itglied Jan Marsalek, ein Österreich­er wie Markus Braun auch. Marsalek gelang eine filmreife Flucht. Er ist internatio­nal zur Fahndung ausgeschri­eben.

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FOTO: DPA Der frühere WirecardCh­ef Markus Braun 2020 im Untersuchu­ngsausschu­ss.

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