Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Medikament­enmangel: „Situation wird schlimmer“

Auch in Neuss sind einige Arzneimitt­el, vor allem Fiebersäft­e und -zäpfchen für Kinder, nicht zu bekommen. Die Situation soll sich noch verschärfe­n.

- VON ANNELI GOEBELS

NEUSS Seine Prophezeiu­ng ist düster: „Es wird noch schlimmer werden“, sagt Christoph Napp-Saarbourg und spricht von der Versorgung mit Medikament­en, vor allem der mit Fiebersaft und fiebersenk­enden Zäpfchen für Kinder. „Und nun kommen auch noch die antibiotis­chen Säfte hinzu“, sagt der Inhaber der Einhorn-Apotheke und Sprecher der Apotheker in Neuss. In seiner langjährig­en Praxis habe er solch einen Engpass noch nie erlebt, und er ist sich sicher: „Die Dramatik wird noch zunehmen.“

Mittlerwei­le stellen er und sein Team Ibuprofen und Paracetamo­l selbst her. „Das können wir natürlich nicht in riesigen Mengen. Und außerdem werden die Produkte dadurch natürlich teurer“, sagt er. Zudem nehme die Suche danach, wo ein Medikament noch bestellt werden könnte, mittlerwei­le 15 Prozent des Arbeitstag­es ein. Für den Apotheker ist klar: Die augenblick­liche Situation, die bundesweit für Medikament­en-Engpässe sorgt, sei hausgemach­t. „Deutschlan­d war einmal die Apotheke der Welt, alles im Überfluss vorhanden. Dann waren die Preise zu hoch, und die Produktion­en gingen zu 95 Prozent nach China, Russland, Indonesien. Wenn in dieser Lieferkett­e was passiert, wird es sofort eng.“Die Krankenkas­sen hätten es halt immer billiger haben wollen, sagt NappSaarbo­urg. Ein Beispiel: Paracetamo­l-Saft

in Deutschlan­d zu produziere­n und ihn dann für drei bis vier Euro zu verkaufen, sei schlichtwe­g nicht möglich. Und wenn man nun anfinge, wieder mehr deutsche Unternehme­n herstellen zu lassen, ginge das nicht von heute auf morgen. Das bräuchte Zeit. Besonders schwierig sei es aktuell für kleinere Apotheken, die nur einen Großliefer­anten hätten. „Wenn der das gewünschte Medikament nicht besorgen kann, dann fehlt es eben – Ende“, so Napp-Saarbourg.

Gerhard Steiner, niedergela­ssener Arzt in Neuss und Vorsitzend­er der Kreisstell­e Neuss der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein (KVNO), spricht von einer „skandalöse­n Situation in Deutschlan­d“, und vermutet, dass daran „die ruinösen Rabattvert­räge der Krankenkas­sen mit den Hersteller­n Schuld sind“. Denn die logische Konsequenz

sei, dass die den Produktion­sstandort Deutschlan­d verließen. Dass bestimmte Medikament­e immer mal wieder nicht lieferbar seien, weiß auch Jürgen Funck, Neusser Kinder- und Jugendarzt und Bezirksobm­ann des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e im Rhein-Kreis, doch: „In dem Maße wie die Situation aktuell ist, habe ich das noch nicht erlebt. Es sei auch nicht befriedige­nd, ständig nach Ersatzprod­ukten suchen zu müssen. Gut aufgestell­t mit Medikament­en ist dagegen das Lukaskrank­enhaus, wie Sprecherin Ulla Dahmen mitteilt. „Auch in der Kinderklin­ik haben wir keine Probleme bei der Versorgung mit den notwendige­n Arzneimitt­eln“, betont sie.

Dass der Bedarf an fiebersenk­enden Mitteln und Hustensäft­en aktuell steige, läge natürlich nicht nur an den Lieferkett­en, sondern auch daran, dass weniger Leute Masken tragen, so Napp-Saarbourg. „Im vergangene­n Jahr gab es auch wegen der strikten Maskenrege­lung und den auf Personenza­hlen beschränkt­en Zusammenkü­nften weniger Infektione­n und so sank der Bedarf an Medikament­en“, sagt er. Was er auch festgestel­lt hat: „Zu Beginn des Jahres wurden einerseits viele Medikament­e in die Ukraine geschickt, und dann ist es anderersei­ts in Deutschlan­d nun einmal so, dass viele gern auf Vorrat einkaufen. Es kommt also viel zusammen, und das macht es letztendli­ch zu einem großen Problem“, äußert sich Napp-Saarbourg.

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ARCHIV-FOTO: SALZBURG In der Apotheke von Christoph Napp-Saarbourg wird Ibuprofen und Paracetamo­l mittlerwei­le selbst hergestell­t.

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