Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Drama über die „Me Too“-Enthüllungsstory
Beim US-Film „She Said“führt die deutsche Regisseurin Maria Schrader Regie.
(kna) Ein massiger Körper stampft in das Gebäude der „New York Times“. Das zugehörige Gesicht ist zu keinem Zeitpunkt in „She Said“zu sehen. Auch nicht, als er in einem Besprechungsraum sitzt, um sich gegen Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben werden, zu verteidigen. Während das Gespräch in vollem Gange ist, sich die Empörung auftürmt und selbstgerechtes Machtgebaren die Luft erfüllt, zoomt die Kamera langsam am Hinterkopf von Harvey Weinstein vorbei auf das Gesicht der Journalistin Megan Twohey (Carey Mulligan). Jede Attacke lässt sie mit stoischer Gelassenheit an sich abprallen. Die männliche Macht ist zumindest in diesem Zimmer gebrochen.
Es ist diese Szene, mit der die Regisseurin Maria Schrader den letzten Zweifel darüber ausräumt, wessen Geschichte sie erzählen möchte. Die von Harvey Weinstein ist es nicht. Zumindest geht es nicht um den Menschen, sondern um ein weitreichendes System sexueller Gewalt und des Schweigens, für das der Name des einst so einflussreichen Filmproduzenten steht.
„She Said“ist keine Nacherzählung der Vorgänge – dem „He Said“wurde ohnehin viel Raum gegeben. Nun geht es um die Frauen und ihren langen, beschwerlichen Kampf, Angst, Scham und Sprachlosigkeit zu überwinden. Es ist den langwierigen Recherchen und dem einfühlsamen Engagement der Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor (Zoe Kazan) zu verdanken, dass einige Frauen mit ihrem Namen an die Öffentlichkeit gingen und die „Me Too“-Bewegung ins Rollen kam.
Am Ende ist die Welt damit noch lange nicht. Das beweist auch die konzentrierte und reflektierte Form, mit der Schrader die Perspektive der Frauen, ihr Erleben und ihr Überleben in einer von Männern dominierten Welt einnimmt. Wenn beispielsweise ein kaum auszuhaltendes Tondokument eines Übergriffs abgespielt wird, den Zuschauern aber Bilder vorenthalten werden, spürt man die gewaltsame Einsamkeit der Opfer. Zu hören ist, wie Weinstein eine Frau bedrängt, wie er sie zu sexuellen Handlungen drängt. Die Kamera setzt ihre Bildsprache dagegen, streift durch verlassene Hotelgänge und evoziert dadurch ein drängendes Gefühl der Isolation,
das aufzeigt, wie Privatheit in einen Zwangsraum umschlägt. Die „New York Times“will sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum Thema machen. Der Name Weinstein fällt bald, und doch braucht es viele Anläufe und Seitenwege, um den omnipräsenten Verdacht zu erhärten. Erstaunlich, wie lange er Frauen als Freiwild betrachten konnte. Erschreckend, wie sich um seine außergerichtlichen Einigungen und Schweigeklauseln ein großer juristischer Apparat aufgebaut hat.
Was diese Realität für Frauen bedeutet, dafür findet Schrader die richtigen Bilder. Frau und Partnerin, Mutter und erfolgreiche Journalistin: Die Anstrengungen, diese Identitäten zusammenzuhalten und Widersprüche auszuhalten, ist den Gesichtern der Protagonistinnen abzulesen. An keiner Stelle werden diese unterschiedlichen Welten voneinander entkoppelt. Es gilt immer noch der mächtige Satz von Simone de Beauvoir, dass man nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird. In „She Said“wird der Passivität, die dieser kritischen Diagnose innewohnt, eine Ermächtigung entgegengesetzt.
Während bei einem Film wie „Tausend Zeilen“, der ebenfalls von journalistischer Arbeit erzählt, der familiäre Hintergrund des Journalisten wie aus einer eingeschobenen Beziehungskomödie wirkt, schafft es „She Said“, die Druckkammer des Journalismus und die Machtverhältnisse immerzu präsent zu halten und miteinander zu verschalten. Da gibt es nicht die Spur einer Heldinnengeschichte. Auch sind Schrader und ihre Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz nicht an einer spannungsgeladenen Dramaturgie interessiert. Es gibt keine Verdrehungen, um möglichst viel Spannung aus den Fakten zu ziehen. Dafür wird ein Raum für die dringend notwendige Solidarität eröffnet.
Das hat wohl auch damit zu tun, dass der Film auf dem gleichnamigen Sachbuch von Twohey und Kantor basiert. Auch diesen beeindruckenden Frauen geht es nie um die eigene Person. „She Said“ist ein ebenso großartiger wie wichtiger Film, der aus dem Fall Weinstein kein kitschiges Erbauungskino macht.
She Said, USA 2022 – Regie: Maria Schrader; mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson; 129 Minuten