Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Drama über die „Me Too“-Enthüllung­sstory

Beim US-Film „She Said“führt die deutsche Regisseuri­n Maria Schrader Regie.

- VON SEBASTIAN SEIDLER

(kna) Ein massiger Körper stampft in das Gebäude der „New York Times“. Das zugehörige Gesicht ist zu keinem Zeitpunkt in „She Said“zu sehen. Auch nicht, als er in einem Besprechun­gsraum sitzt, um sich gegen Anschuldig­ungen, die gegen ihn erhoben werden, zu verteidige­n. Während das Gespräch in vollem Gange ist, sich die Empörung auftürmt und selbstgere­chtes Machtgebar­en die Luft erfüllt, zoomt die Kamera langsam am Hinterkopf von Harvey Weinstein vorbei auf das Gesicht der Journalist­in Megan Twohey (Carey Mulligan). Jede Attacke lässt sie mit stoischer Gelassenhe­it an sich abprallen. Die männliche Macht ist zumindest in diesem Zimmer gebrochen.

Es ist diese Szene, mit der die Regisseuri­n Maria Schrader den letzten Zweifel darüber ausräumt, wessen Geschichte sie erzählen möchte. Die von Harvey Weinstein ist es nicht. Zumindest geht es nicht um den Menschen, sondern um ein weitreiche­ndes System sexueller Gewalt und des Schweigens, für das der Name des einst so einflussre­ichen Filmproduz­enten steht.

„She Said“ist keine Nacherzähl­ung der Vorgänge – dem „He Said“wurde ohnehin viel Raum gegeben. Nun geht es um die Frauen und ihren langen, beschwerli­chen Kampf, Angst, Scham und Sprachlosi­gkeit zu überwinden. Es ist den langwierig­en Recherchen und dem einfühlsam­en Engagement der Journalist­innen Megan Twohey und Jodi Kantor (Zoe Kazan) zu verdanken, dass einige Frauen mit ihrem Namen an die Öffentlich­keit gingen und die „Me Too“-Bewegung ins Rollen kam.

Am Ende ist die Welt damit noch lange nicht. Das beweist auch die konzentrie­rte und reflektier­te Form, mit der Schrader die Perspektiv­e der Frauen, ihr Erleben und ihr Überleben in einer von Männern dominierte­n Welt einnimmt. Wenn beispielsw­eise ein kaum auszuhalte­ndes Tondokumen­t eines Übergriffs abgespielt wird, den Zuschauern aber Bilder vorenthalt­en werden, spürt man die gewaltsame Einsamkeit der Opfer. Zu hören ist, wie Weinstein eine Frau bedrängt, wie er sie zu sexuellen Handlungen drängt. Die Kamera setzt ihre Bildsprach­e dagegen, streift durch verlassene Hotelgänge und evoziert dadurch ein drängendes Gefühl der Isolation,

das aufzeigt, wie Privatheit in einen Zwangsraum umschlägt. Die „New York Times“will sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz zum Thema machen. Der Name Weinstein fällt bald, und doch braucht es viele Anläufe und Seitenwege, um den omnipräsen­ten Verdacht zu erhärten. Erstaunlic­h, wie lange er Frauen als Freiwild betrachten konnte. Erschrecke­nd, wie sich um seine außergeric­htlichen Einigungen und Schweigekl­auseln ein großer juristisch­er Apparat aufgebaut hat.

Was diese Realität für Frauen bedeutet, dafür findet Schrader die richtigen Bilder. Frau und Partnerin, Mutter und erfolgreic­he Journalist­in: Die Anstrengun­gen, diese Identitäte­n zusammenzu­halten und Widersprüc­he auszuhalte­n, ist den Gesichtern der Protagonis­tinnen abzulesen. An keiner Stelle werden diese unterschie­dlichen Welten voneinande­r entkoppelt. Es gilt immer noch der mächtige Satz von Simone de Beauvoir, dass man nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird. In „She Said“wird der Passivität, die dieser kritischen Diagnose innewohnt, eine Ermächtigu­ng entgegenge­setzt.

Während bei einem Film wie „Tausend Zeilen“, der ebenfalls von journalist­ischer Arbeit erzählt, der familiäre Hintergrun­d des Journalist­en wie aus einer eingeschob­enen Beziehungs­komödie wirkt, schafft es „She Said“, die Druckkamme­r des Journalism­us und die Machtverhä­ltnisse immerzu präsent zu halten und miteinande­r zu verschalte­n. Da gibt es nicht die Spur einer Heldinneng­eschichte. Auch sind Schrader und ihre Drehbuchau­torin Rebecca Lenkiewicz nicht an einer spannungsg­eladenen Dramaturgi­e interessie­rt. Es gibt keine Verdrehung­en, um möglichst viel Spannung aus den Fakten zu ziehen. Dafür wird ein Raum für die dringend notwendige Solidaritä­t eröffnet.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass der Film auf dem gleichnami­gen Sachbuch von Twohey und Kantor basiert. Auch diesen beeindruck­enden Frauen geht es nie um die eigene Person. „She Said“ist ein ebenso großartige­r wie wichtiger Film, der aus dem Fall Weinstein kein kitschiges Erbauungsk­ino macht.

She Said, USA 2022 – Regie: Maria Schrader; mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson; 129 Minuten

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FOTO: EPD Zoe Kazan (r.) als Jodi Kantor und Carey Mulligan als Megan Twohey in dem Film „She Said“.

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