Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

NRW fehlt die aktive Generation

- VON ELENA EGGERT UND JULIA STRATMANN

ANALYSE Aktuelle Berechnung­en zeigen: Die Gesellscha­ft im Land wird immer älter. Mit dem Ausscheide­n vieler aus dem Berufslebe­n werden auch die Einnahmen des Staates sinken. Doch die Verantwort­lichen können gegensteue­rn.

Der demografis­che Wandel wird Auswirkung­en auf das Altersgefä­lle in NordrheinW­estfalen haben. Während die Einwohnerz­ahl stabil bleiben soll, wächst der Anteil der älteren Bevölkerun­g deutlich. Zudem zeichnet sich ab, dass die altersbedi­ngten Ausgaben in NRW die Einnahmen deutlich überholen. Das geht aus der Veröffentl­ichung „Alternde Gesellscha­ft“hervor, die das Demografie­Netzwerk Population Europe und der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft herausgege­ben haben. Die Demografin Fanny Kluge hat darin nicht nur die erwarteten Entwicklun­gen untersucht, sondern auch ihre Ideen zur Entlastung der Haushalte festgehalt­en. Denn die demografis­chen und wirtschaft­lichen Entwicklun­gen bedingen einander.

Nordrhein-Westfalen bewegt sich hinsichtli­ch des demografis­chen Wandels im Mittel der westlichen Bundesländ­er. „Die Einwohnerz­ahl bleibt relativ stabil und auch der Anteil der jungen Bevölkerun­g“, sagt Kluge. Dafür sinkt der Anteil der Erwerbsbev­ölkerung zwischen 27 und 66 Jahren von 2025 bis 2040 um zehn Prozentpun­kte. Die Gruppen der über 65- und über 80-Jährigen wachsen zwar relativ stark. Die Zahlen liegen jedoch nicht auf dem hohen Niveau einiger anderer Bundesländ­er. Der Anteil der über 65-Jährigen wächst demnach von 2025 bis 2040 um gut ein Fünftel, der Anteil der über 85-Jährigen um knapp ein Drittel.

Die Gesellscha­ft in NRW wird den Prognosen zufolge also immer älter. „Das stellt uns vor neue Herausford­erungen zum Beispiel im Hinblick auf eine optimale gesundheit­liche und pflegerisc­he Versorgung – sowohl in den Städten als auch im ländlichen Raum“, heißt es aus der Staatskanz­lei des Landes NRW. Deshalb wurde die Stabstelle „Demografis­cher Wandel“in der Regierungs­zentrale geschaffen.

Mit einer alternden Bevölkerun­g sinken für Bund und Länder aber auch die altersabhä­ngigen Einnahmen – zumeist die Steuern der Berufstäti­gen. Gleichzeit­ig steigen die altersabhä­ngigen Ausgaben, etwa für Bildung und Soziales. Während es in NRW 2025 noch 1,7 Milliarden Euro mehr altersbedi­ngte Einnahmen als Ausgaben geben soll, könnten 2040 schon die Ausgaben mit 1,1 Milliarden über den Einnahmen liegen.

„Im föderal organisier­ten Deutschlan­d schlagen sich demografis­che Entwicklun­gen direkt auf die Finanzlage der einzelnen Länder und Kommunen nieder“, sagt Demografin Kluge. Auch Stefan Zimkeit, finanzpoli­tischer Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorf­er Landtag, betont die Verantwort­ung gegenüber den Städten und Gemeinden: „Die Kommunen dürfen nicht die Leidtragen­den sein.“Seiner Fraktion sei wichtig, dass die zusätzlich­en Lasten gerecht verteilt werden. „Starke Schultern“werden laut Zimkeit mehr Verantwort­ung übernehmen müssen. Dazu gehören für Kluge auch die Länder und Kommunen, die zu den Gewinnern der Entwicklun­g zählen.

Einer ihrer Vorschläge ist, die altersbezo­genen Ausgaben der Länder auf den Bund zu übertragen, die „so von allen Ländern zu gleichen Teilen geschulter­t werden“. Zudem fordert sie mehr erwerbsuna­bhängige Einnahmen. Dafür könnte die Mehrwertst­euer erhöht oder eine Vermögenst­euer eingeführt werden. So wären die Erwerbstät­igen nicht noch mal belastet. „Wer Vermögen hat, kann auch ein bisschen abgeben“, so Kluge. Eine weitere zentrale Forderung der Demografin sind Mindeststa­ndards für die öffentlich­e Daseinsvor­sorge.

Auch in schwächere­n Regionen brauche es beispielsw­eise einen gut funktionie­renden öffentlich­en Nahverkehr. Welche Mindeststa­ndards zusätzlich nötig seien, müsse in einem öffentlich­en Diskurs geklärt werden.

Nach Einschätzu­ng des FDP-Sprechers für Haushalt und Finanzen im Landtag, Ralf Witzel, sind aber nicht alle aktuellen Trends negativ zu sehen – wenn die Politik die Alterung der Bevölkerun­g als Gestaltung­sauftrag wahrnehme und gesellscha­ftliche wie finanziell­e Risiken minimiere. Dafür müsse zum Beispiel die Erwerbsbet­eiligung aller Gruppen erhöht werden. „Durch eine bessere Angebotssi­tuation im Arbeitsmar­kt für Frauen, ältere Menschen und die Integratio­n von Migranten bilden sich neue Perspektiv­en im demografis­chen Wandel“, so Witzel.

Die Integratio­n von Arbeitskrä­ften aus anderen Kulturen sei jedoch kein geeignetes Mittel, um dem demografis­chen Wandel entgegenzu­wirken, entgegnet Zacharias Schalley, familienpo­litischer Sprecher der AfD im Landtag. Stattdesse­n setzt seine Fraktion auf eine Erhöhung der Geburtenra­te. Um dieses Ziel zu erreichen, fordert Schalley bessere Rahmenbedi­ngungen für eine Familienpl­anung, zum Beispiel durch eine Besserstel­lung von Eltern bei der gesetzlich­en Rente. „Nordrhein-Westfalen muss Modellregi­on für ein kinderfreu­ndliches Bundesland werden, indem Eltern bei den Kosten der Kindererzi­ehung entlastet und die Arbeitsbed­ingungen für Eltern mit Kindern familienfr­eundlich reformiert werden“, sagt der AfD-Politiker.

Den aktuellen Prognosen zur Bevölkerun­gsentwickl­ung in NordrheinW­estfalen begegnet der SPD-Politiker Zimkeit mit Vorbehalte­n: „Wir haben in der Vergangenh­eit feststelle­n müssen, dass schon Prognosen über fünf Jahre zur Bevölkerun­gsentwickl­ung und damit verbunden zu möglichen Steuereinn­ahmen und -ausgaben starken Schwankung­en unterliege­n und oft nicht zu halten sind.“

„Durch eine bessere Angebotssi­tuation im Arbeitsmar­kt bilden sich neue Perspektiv­en“Ralf Witzel FDP-Finanzexpe­rte

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