Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
NRW fehlt die aktive Generation
ANALYSE Aktuelle Berechnungen zeigen: Die Gesellschaft im Land wird immer älter. Mit dem Ausscheiden vieler aus dem Berufsleben werden auch die Einnahmen des Staates sinken. Doch die Verantwortlichen können gegensteuern.
Der demografische Wandel wird Auswirkungen auf das Altersgefälle in NordrheinWestfalen haben. Während die Einwohnerzahl stabil bleiben soll, wächst der Anteil der älteren Bevölkerung deutlich. Zudem zeichnet sich ab, dass die altersbedingten Ausgaben in NRW die Einnahmen deutlich überholen. Das geht aus der Veröffentlichung „Alternde Gesellschaft“hervor, die das DemografieNetzwerk Population Europe und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft herausgegeben haben. Die Demografin Fanny Kluge hat darin nicht nur die erwarteten Entwicklungen untersucht, sondern auch ihre Ideen zur Entlastung der Haushalte festgehalten. Denn die demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bedingen einander.
Nordrhein-Westfalen bewegt sich hinsichtlich des demografischen Wandels im Mittel der westlichen Bundesländer. „Die Einwohnerzahl bleibt relativ stabil und auch der Anteil der jungen Bevölkerung“, sagt Kluge. Dafür sinkt der Anteil der Erwerbsbevölkerung zwischen 27 und 66 Jahren von 2025 bis 2040 um zehn Prozentpunkte. Die Gruppen der über 65- und über 80-Jährigen wachsen zwar relativ stark. Die Zahlen liegen jedoch nicht auf dem hohen Niveau einiger anderer Bundesländer. Der Anteil der über 65-Jährigen wächst demnach von 2025 bis 2040 um gut ein Fünftel, der Anteil der über 85-Jährigen um knapp ein Drittel.
Die Gesellschaft in NRW wird den Prognosen zufolge also immer älter. „Das stellt uns vor neue Herausforderungen zum Beispiel im Hinblick auf eine optimale gesundheitliche und pflegerische Versorgung – sowohl in den Städten als auch im ländlichen Raum“, heißt es aus der Staatskanzlei des Landes NRW. Deshalb wurde die Stabstelle „Demografischer Wandel“in der Regierungszentrale geschaffen.
Mit einer alternden Bevölkerung sinken für Bund und Länder aber auch die altersabhängigen Einnahmen – zumeist die Steuern der Berufstätigen. Gleichzeitig steigen die altersabhängigen Ausgaben, etwa für Bildung und Soziales. Während es in NRW 2025 noch 1,7 Milliarden Euro mehr altersbedingte Einnahmen als Ausgaben geben soll, könnten 2040 schon die Ausgaben mit 1,1 Milliarden über den Einnahmen liegen.
„Im föderal organisierten Deutschland schlagen sich demografische Entwicklungen direkt auf die Finanzlage der einzelnen Länder und Kommunen nieder“, sagt Demografin Kluge. Auch Stefan Zimkeit, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, betont die Verantwortung gegenüber den Städten und Gemeinden: „Die Kommunen dürfen nicht die Leidtragenden sein.“Seiner Fraktion sei wichtig, dass die zusätzlichen Lasten gerecht verteilt werden. „Starke Schultern“werden laut Zimkeit mehr Verantwortung übernehmen müssen. Dazu gehören für Kluge auch die Länder und Kommunen, die zu den Gewinnern der Entwicklung zählen.
Einer ihrer Vorschläge ist, die altersbezogenen Ausgaben der Länder auf den Bund zu übertragen, die „so von allen Ländern zu gleichen Teilen geschultert werden“. Zudem fordert sie mehr erwerbsunabhängige Einnahmen. Dafür könnte die Mehrwertsteuer erhöht oder eine Vermögensteuer eingeführt werden. So wären die Erwerbstätigen nicht noch mal belastet. „Wer Vermögen hat, kann auch ein bisschen abgeben“, so Kluge. Eine weitere zentrale Forderung der Demografin sind Mindeststandards für die öffentliche Daseinsvorsorge.
Auch in schwächeren Regionen brauche es beispielsweise einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. Welche Mindeststandards zusätzlich nötig seien, müsse in einem öffentlichen Diskurs geklärt werden.
Nach Einschätzung des FDP-Sprechers für Haushalt und Finanzen im Landtag, Ralf Witzel, sind aber nicht alle aktuellen Trends negativ zu sehen – wenn die Politik die Alterung der Bevölkerung als Gestaltungsauftrag wahrnehme und gesellschaftliche wie finanzielle Risiken minimiere. Dafür müsse zum Beispiel die Erwerbsbeteiligung aller Gruppen erhöht werden. „Durch eine bessere Angebotssituation im Arbeitsmarkt für Frauen, ältere Menschen und die Integration von Migranten bilden sich neue Perspektiven im demografischen Wandel“, so Witzel.
Die Integration von Arbeitskräften aus anderen Kulturen sei jedoch kein geeignetes Mittel, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken, entgegnet Zacharias Schalley, familienpolitischer Sprecher der AfD im Landtag. Stattdessen setzt seine Fraktion auf eine Erhöhung der Geburtenrate. Um dieses Ziel zu erreichen, fordert Schalley bessere Rahmenbedingungen für eine Familienplanung, zum Beispiel durch eine Besserstellung von Eltern bei der gesetzlichen Rente. „Nordrhein-Westfalen muss Modellregion für ein kinderfreundliches Bundesland werden, indem Eltern bei den Kosten der Kindererziehung entlastet und die Arbeitsbedingungen für Eltern mit Kindern familienfreundlich reformiert werden“, sagt der AfD-Politiker.
Den aktuellen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung in NordrheinWestfalen begegnet der SPD-Politiker Zimkeit mit Vorbehalten: „Wir haben in der Vergangenheit feststellen müssen, dass schon Prognosen über fünf Jahre zur Bevölkerungsentwicklung und damit verbunden zu möglichen Steuereinnahmen und -ausgaben starken Schwankungen unterliegen und oft nicht zu halten sind.“
„Durch eine bessere Angebotssituation im Arbeitsmarkt bilden sich neue Perspektiven“Ralf Witzel FDP-Finanzexperte