Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Live von der Razzia
Der Schlag gegen „Reichsbürger“wurde öffentlich begleitet. Daran gibt es Kritik.
DÜSSELDORF Razzien gibt es viele im Land. Mal geht es um Drogen, mal um Kinderpornografie, mal um Clankriminalität. Das sind keine harmlosen Verdachtsmomente. Meist wird im Nachhinein bekannt, dass derartige Durchsuchungen stattgefunden haben. Anders bei der Großrazzia gegen eine mutmaßliche Terrorgruppierung in der „Reichsbürger“-Szene. Nicht wenige überregionale und öffentlich-rechtliche Medien waren vorab über den Zugriff am frühen Mittwochmorgen informiert. Kurz nach Beginn der Aktion gab es bereits umfangreiche Hintergrundberichte, nebst den aktuellen Fotos vom abgeführten Heinrich XIII. Prinz Reuß.
An der Art der Beteiligung von Journalisten regt sich Kritik. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner schrieb bei Twitter, der Plan der Ermittler sei seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis gewesen. „Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs“, fügte Renner auf NTV hinzu. „Hier wurde riskiert, dass eine monatelang geplante Aktion am Ende schiefgeht.“Die Informationen über die Razzia seien derart breit gestreut gewesen, dass es wie eine PR-Aktion wirke.
Behörden und Medien sitzen sich auf zwei unterschiedlichen Seiten des Schreibtischs gegenüber. Informationen von öffentlichem Interesse zu publizieren, ist Aufgabe der Presse; staatliche Stellen sind zur Mitwirkung daran verpflichtet. Dieser Austausch bildet einen Grundstein der freiheitlich-demokratischen Ordnung, und oft genug funktioniert er gut. Oft geschieht es aber, dass redaktionelle Recherchen Erkenntnisse liefern, die Behörden noch nicht bekannt sind, und nicht selten spüren Journalisten Vorhaben auf, die (womöglich aus guten Gründen) noch unter der Decke gehalten werden.
Möglich also, dass investigativ arbeitende Redaktionen nicht eigens über die bevorstehende Aktion gegen die „Reichsbürger“-Szene unterrichtet wurden, sondern vorab selbst an relevante Details zum Stand der Ermittlungen gelangt waren, die sie – um die Aktion nicht zu gefährden – erst zum Zeitpunkt des Zugriffs veröffentlichten. Nun handelt es sich bei der Razzia gegen mutmaßliche Reichsbürger um einen besonders spektakulären Fall. Das wiederum rechtfertigt den Verdacht, dass es den Strafverfolgern doch auch um eine Inszenierung des vorläufigen Höhepunkts ihrer monatelangen Ermittlungen gegangen sein könnte. Erinnerungen an die medienwirksame Hausdurchsuchung bei Klaus Zumwinkel am Valentinstag 2008 werden wach. Der damalige Post-Chef wurde der Steuerhinterziehung verdächtigt und später deswegen auch verurteilt. Dagegen konnte das mörderische NSU-Trio jahrelang nahezu unbehelligt seine blutige Spur quer durch die Republik ziehen.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Staat mit starken Bildern signalisiert, dass er wehrhaft ist und den Feinden der Demokratie entschlossen entgegentritt. Die Bundesrepublik ist weit entfernt vom Chaos der Weimarer Verhältnisse. Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft sind für ihren Schlag gegen mutmaßliche Urheber von Umsturzplänen zu beglückwünschen – so wirr diese auch erscheinen mögen.
Allerdings gilt auch für die wirrsten Köpfe die Unschuldsvermutung, solange sie nicht von einem Gericht verurteilt wurden. Heinrich XIII. Prinz Reuß wirkt auf den Fotos von Mittwochmorgen bereits wie ein des Verbrechens Überführter. Dabei wird er zum Zwecke weiterer strafrechtlicher Ermittlungen abgeführt. Ein Rechtsstaat hat solche Bilder gar nicht nötig.