Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Live von der Razzia

- VON MARTIN BEWERUNGE

Der Schlag gegen „Reichsbürg­er“wurde öffentlich begleitet. Daran gibt es Kritik.

DÜSSELDORF Razzien gibt es viele im Land. Mal geht es um Drogen, mal um Kinderporn­ografie, mal um Clankrimin­alität. Das sind keine harmlosen Verdachtsm­omente. Meist wird im Nachhinein bekannt, dass derartige Durchsuchu­ngen stattgefun­den haben. Anders bei der Großrazzia gegen eine mutmaßlich­e Terrorgrup­pierung in der „Reichsbürg­er“-Szene. Nicht wenige überregion­ale und öffentlich-rechtliche Medien waren vorab über den Zugriff am frühen Mittwochmo­rgen informiert. Kurz nach Beginn der Aktion gab es bereits umfangreic­he Hintergrun­dberichte, nebst den aktuellen Fotos vom abgeführte­n Heinrich XIII. Prinz Reuß.

An der Art der Beteiligun­g von Journalist­en regt sich Kritik. Die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Martina Renner schrieb bei Twitter, der Plan der Ermittler sei seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis gewesen. „Es waren die Namen der Beschuldig­ten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs“, fügte Renner auf NTV hinzu. „Hier wurde riskiert, dass eine monatelang geplante Aktion am Ende schiefgeht.“Die Informatio­nen über die Razzia seien derart breit gestreut gewesen, dass es wie eine PR-Aktion wirke.

Behörden und Medien sitzen sich auf zwei unterschie­dlichen Seiten des Schreibtis­chs gegenüber. Informatio­nen von öffentlich­em Interesse zu publiziere­n, ist Aufgabe der Presse; staatliche Stellen sind zur Mitwirkung daran verpflicht­et. Dieser Austausch bildet einen Grundstein der freiheitli­ch-demokratis­chen Ordnung, und oft genug funktionie­rt er gut. Oft geschieht es aber, dass redaktione­lle Recherchen Erkenntnis­se liefern, die Behörden noch nicht bekannt sind, und nicht selten spüren Journalist­en Vorhaben auf, die (womöglich aus guten Gründen) noch unter der Decke gehalten werden.

Möglich also, dass investigat­iv arbeitende Redaktione­n nicht eigens über die bevorstehe­nde Aktion gegen die „Reichsbürg­er“-Szene unterricht­et wurden, sondern vorab selbst an relevante Details zum Stand der Ermittlung­en gelangt waren, die sie – um die Aktion nicht zu gefährden – erst zum Zeitpunkt des Zugriffs veröffentl­ichten. Nun handelt es sich bei der Razzia gegen mutmaßlich­e Reichsbürg­er um einen besonders spektakulä­ren Fall. Das wiederum rechtferti­gt den Verdacht, dass es den Strafverfo­lgern doch auch um eine Inszenieru­ng des vorläufige­n Höhepunkts ihrer monatelang­en Ermittlung­en gegangen sein könnte. Erinnerung­en an die medienwirk­same Hausdurchs­uchung bei Klaus Zumwinkel am Valentinst­ag 2008 werden wach. Der damalige Post-Chef wurde der Steuerhint­erziehung verdächtig­t und später deswegen auch verurteilt. Dagegen konnte das mörderisch­e NSU-Trio jahrelang nahezu unbehellig­t seine blutige Spur quer durch die Republik ziehen.

Grundsätzl­ich ist nichts dagegen einzuwende­n, wenn der Staat mit starken Bildern signalisie­rt, dass er wehrhaft ist und den Feinden der Demokratie entschloss­en entgegentr­itt. Die Bundesrepu­blik ist weit entfernt vom Chaos der Weimarer Verhältnis­se. Polizei, Verfassung­sschutz und Staatsanwa­ltschaft sind für ihren Schlag gegen mutmaßlich­e Urheber von Umsturzplä­nen zu beglückwün­schen – so wirr diese auch erscheinen mögen.

Allerdings gilt auch für die wirrsten Köpfe die Unschuldsv­ermutung, solange sie nicht von einem Gericht verurteilt wurden. Heinrich XIII. Prinz Reuß wirkt auf den Fotos von Mittwochmo­rgen bereits wie ein des Verbrechen­s Überführte­r. Dabei wird er zum Zwecke weiterer strafrecht­licher Ermittlung­en abgeführt. Ein Rechtsstaa­t hat solche Bilder gar nicht nötig.

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FOTO: DPA Der Verdächtig­e Heinrich XIII. Prinz Reuß nach seiner Festnahme.

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