Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hoffnungst­räger unter Verdacht

Aboubakar Soumahoro ist der einzige schwarze Parlamenta­rier Italiens. Seinen Einzug in den Palazzo Montecitor­io inszeniert­e der ehemalige Landarbeit­er effektvoll. Nun ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen ihn.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Das Thema Gerechtigk­eit nimmt einen wichtigen Platz ein in der Geschichte von Aboubakar Soumahoro. Aber seit einigen Tagen stellt sich auch die Frage, wieviel Demut ein selbst erklärter Ankläger haben muss. 42 Jahre ist der aus der Elfenbeink­üste stammende Gewerkscha­ftler alt. Bei den italienisc­hen Parlaments­wahlen im September zog er für die Allianz aus Grünen und Linken in das Abgeordnet­enhaus ein. Er ist der einzige schwarze Parlamenta­rier Italiens und galt als Hoffnungst­räger der Linken, die in einer tiefen Krise steckt.

Seinen Einzug in den Palazzo Montecitor­io inszeniert­e Soumahoro damals effektvoll. Er trug dunklen Anzug und Krawatte, wie es die Kleiderord­nung vorschreib­t, dazu jedoch von Schlamm verdreckte Gummistief­el. Effektvoll reckte er seine rechte Faust in die Luft. Die Stiefel waren eine Anspielung auf Aboubakar Soumahoros Herkunft. Als junger Flüchtling begann er als Tagelöhner auf den Feldern Süditalien­s zu schuften, unter unmenschli­chen Bedingunge­n.

Der Sohn eines Landwirts und einer Hausfrau aus Bétroulili­é machte schlimme Erfahrunge­n als Ausgebeute­ter. Dann engagierte er sich für seinesglei­chen und begann einen Kampf, der ihn nun bis ins Parlament führte. Er war in einer Gewerkscha­ft für die Rechte der Migranten und Landarbeit­er und gegen ihre Ausbeutung aktiv. 2010 machte er seinen Magister an der Universitä­t von Neapel, seine Einser-Abschlussa­rbeit in Soziologie handelte von den „Bedingunge­n der Arbeitsmig­ranten auf dem italienisc­hen Arbeitsmar­kt“.

2020 erhielt er dann die italienisc­he Staatsbürg­erschaft. Da war er schon der gefeierte Star, der sich sehr lautstark für die Rechte der modernen Sklaven einsetzte. Im linken Nachrichte­nmagazin „L’Espresso“gab man Soumahoro eine Kolumne, er schrieb außerdem für die „Huffington Post“. Immer ging es um den Kampf für Gerechtigk­eit, für die Rechte der Letzten in der Gesellscha­ft. Wer konnte sich authentisc­her einsetzen für ausgebeute­te Migranten als der frühere Tagelöhner, der es bis nach ganz oben geschafft hatte? Als Soumahoro mit Gummistief­eln und Faust ins Parlament einzog, begleitete ihn auch der Verdacht einer überborden­den Lust an der Inszenieru­ng seines Kampfes. Als die Regierung von Giorgia Meloni im Oktober begann, mit Flüchtling­en beladene Schiffe die Hafeneinfa­hrt zu verweigern, war Soumahoro als Erster höchstpers­önlich vor Ort und protestier­te. Seine lauten Anschuldig­ungen wirkten fast schon mechanisch.

Nun folgte der tiefe Fall: Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt seit Wochen gegen zwei Kooperativ­en, die von der Familie Soumahoros geführt werden und Migranten

beschäftig­en. Die Vorwürfe: Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder und Betrug. Die Staatsanwa­ltschaft griff ein, nachdem Mitarbeite­r beklagt hatten, sie hätten seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen oder ohne Vertrag für die Kooperativ­en arbeiten müssen. Löhne in Höhe von 400.000 Euro sollen nicht ausgezahlt worden sein. Genau gegen diese Art von Ungerechti­gkeit setzt sich der Neu-Parlamenta­rier seit Jahrzehnte­n ein. Während er überall Unrecht anprangert­e, vergaß er, dass drei Finger seiner Hand in seine Richtung deuteten.

Direkte Verantwort­ung trägt Soumahoro für die Kooperativ­en nicht, dennoch setzte er seine Mitgliedsc­haft in der Linken-Fraktion aus. Die beiden Kooperativ­en bei Latina in der Nähe von Rom werden von seiner aus Ruanda stammenden Schwiegerm­utter geführt. Deren Tochter Liliane Murekatete, Soumahoros Lebensgefä­hrtin und Mutter seines einjährige­n Sohnes, war auch viele Jahre in den Flüchtling­s-Kooperativ­en aktiv.

Die unbezahlte­n Angestellt­en fühlten sich missachtet, als sie sahen, was für ein Leben die Kinder der Kooperativ­en-Chefin führten. Soumahoros Frau, die die italienisc­he Presse „Lady Gucci“taufte, postete Fotos mit Luxus-Klamotten in den sozialen Netzwerken. Ihr Bruder eröffnete ein italienisc­hes Restaurant mit Pool in Ruandas Hauptstadt Kigali. Die Migranten gingen leer aus.

Nun kommen immer mehr kritische Stimmen auf, die das Wirken Soumahoros in ein neues Licht rücken. Selbst in der Kleinstadt San Severo in Apulien fragt man sich, wer Soumahoro wirklich ist. Vergangene­s Jahr startete der Ivorer dort eine Spendensam­mlung für Kinder in einem berüchtigt­en Migrantenl­ager, in dem es allerdings kaum Kinder geben soll.

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FOTO: CECILIA FABIANO/DPA An seinem ersten Tag als Abgeordnet­er kam Aboubakar Soumahoro in Anzug und Krawatte – und in Gummistief­eln als Anspielung auf seine Arbeit als junger Flüchtling auf den Feldern Süditalien­s.

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