Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Von Hollywood nach Wuppertal
Für den Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“hat Frank Petzold die Computereffekte beigesteuert. Die sind so gut, dass er jetzt mit dem Europäischen Filmpreis geehrt wird. Gelernt hat er in den Studios, die „Star Wars“produzieren.
WUPPERTAL Wo bei Filmen die Realität endet, fängt Frank Petzolds Job an. Seine Aufgabe ist es, eine Illusion von Wirklichkeit zu erschaffen, das einzufügen, was die Kamera nicht abbilden kann. Zuletzt bei der Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“, die vielleicht für Deutschland bei den Oscars ins Rennen geht. Für seine Visual Effects bekommt Petzold am Samstag in Reykjavik den Europäischen Filmpreis.
Am Computer in seinem Wuppertaler Arbeitszimmer führt der 53-Jährige seine digitalen Zauberkünste vor, in Vorher- und Nachher-Sequenzen. Zwei Soldaten starren im Schützengraben entsetzt nach oben, wo ein Mitarbeiter von einem Brett Erde auf sie hinabrieseln lässt. Petzold drückt auf einen Knopf, in derselben Szene fährt ein Panzer über den Graben, aus seinen Ketten rieselt Erde auf die Soldaten.
In einer anderen Einstellung verwandelt sich ein intaktes Ensemble aus Häusern per Knopfdruck in eine Trümmerlandschaft. Die Täuschung ist perfekt. „So einen Knopf wünschen sich alle Regisseure“, sagt der 53-Jährige und grinst. „Aber den gibt’s natürlich nicht.“
Tatsächlich arbeiten für solche Effekte Hunderte Menschen monatelang an einem Film, bei „Im Westen nichts Neues“waren es insgesamt sogar eineinhalb Jahre. Vier Monate dauerten die reinen Dreharbeiten. Petzold war immer dabei, mit einem kleinen Team, zeichnete die Kamerapositionen akribisch auf, drehte aber auch selbst. „Einen Monat lang habe ich zwischendurch nur Explosionen gefilmt“, sagt er. Und sie später am Computer in die Einstellungen vom Schlachtfeld eingebaut. Oder er nahm laufende Soldaten vor dem sogenannten Greenscreen auf. Später schnitt er sie heraus und fügte sie in Filmszenen ein. Genauso wie zerstörte Dächer, Flammen oder Rauchschwaden. Frickelarbeit ist das, viel Kleinklein, ein langwieriges und mühsames Geschäft, das einer allein niemals bewältigen kann. Bei „Im Westen nichts Neues“koordinierte Petzold ein Team von 160 Visual-Effects-Spezialisten – mehr als 500 Szenen wurden digital aufgepeppt.
Zu sehen ist das nicht, alles wirkt realistisch. Das sei das größte Kompliment für ihn, sagt der Wuppertaler. Ist es doch mit den Effekten alleine nicht getan, alles muss passen: der Lichteinfall, das Timing, die Reaktion des Schauspielers. Am Set sorgt Petzold dafür, dass die Darsteller Blickpunkte bekommen, bastelt Ersatz oder nutzt Laserpointer. „Nichts ist schlimmer, als wenn ein Schauspieler in die falsche Richtung schaut“, sagt er, denn beim Dreh ist ja oft nichts zu sehen, wird vieles später digital hinzugefügt. Zum Beispiel fuhr nur ein Panzer bei „Im Westen nichts Neues“einigermaßen, der Rest wurde digital dupliziert. Genauso wie Menschen in Massenszenen. Für Effektkünstler wie Petzold ein Klacks. Zur Hochform läuft er auf, wenn er sich kreativ gefordert fühlt, es knifflig wird. Etwa bei Horrorfilmen. „Ich bin gebürtiger Monstermacher“, sagt er.
Gelernt hat er das Monstergeschäft in den USA, bei den Besten seines Fachs. Ende der 80er fing Petzold an, sich für Filmanimationen zu begeistern, gründete eine kleine Firma für Werbefilme, war aber da schon fasziniert von den Effekten in Blockbustern wie „Jurassic Park“und „Terminator“. Mit seiner damaligen Freundin (und heutigen Frau) Bridget, einer Amerikanerin, ging er 1995 nach San Francisco, wollte dort unbedingt für Phil Tippett und dessen Studio arbeiten. Tippett galt als Effekt-Guru, zeichnete etwa für die „Star-Wars“-Reihe verantwortlich.
„Ich habe ihm täglich per Fax geschrieben, ich würde auch Kaffee kochen, wenn ich nur mit ihm drehen könnte“, erzählt Petzold. Nach zwei Wochen hieß es: „Komm vorbei!“Zwischen beiden entwickelte sich eine Freundschaft und eine Kooperation, die 13 Jahre währte. Seit 2007 arbeitet Petzold wieder in Europa. Sein erster Film mit Tippett war „Starship Troopers“, später folgten unter anderem „Hollow Man“, „The Haunting“, „Hercules“und „Stepford Wives“, alles hochkarätig besetzte und teure Produktionen. An etwa 25 Filmen hat der Wuppertaler bisher mitgewirkt, mit Hollywood-Stars wie Kevin Bacon und Dwayne Johnson gedreht.
Große Produktionen haben auch große Budgets. Am Ende liegt es aber am Regisseur, was umgesetzt wird. Petzold möchte am liebsten alles, was geht. Je grausamer, desto besser, lautet seine Devise. Weil es ihn am meisten fordert. Solange das Blut nicht rot ist, kannst du dir alles erlauben, heißt eine Regel in seinem Metier. Für „Im Westen nichts Neues“aber musste er sich zurücknehmen, historisch korrekt bleiben, den Schrecken ertragbar gestalten.
Der fertige Film geht trotzdem unter die Haut, selbst Monstermacher Petzold. Gedreht wurde in Prag, die Infrastruktur dort sei hervorragend, sagt Petzold. Anstrengend aber seien solche Drehs immer, deshalb nimmt er sich auch gerne mal nach einer Produktion zwei bis drei Monate Auszeit. „Wunden lecken“nennt er das. Apropos Wunden: Seine Lieblingsszene aus „Im Westen nichts Neues“möchte der Effektkünstler noch zeigen. Ein Soldat wird im Schützengraben von einem Panzer überrollt. Eine kurzer, aber drastischer Moment. Petzolds Augen leuchten. Weil er die Realität mal wieder perfekt getrickst hat.