Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hebammenma­ngel trifft Dormagen

Eine Hebamme für die Vor- und Nachsorge rund um eine Geburt zu finden, ist auch in Dormagen aktuell ein großes Problem für werdende Mütter. Hebammen erklären die Gründe für den Mangel.

- VON KIRA BAYER UND MELANIE VAN SCHYNDEL

DORMAGEN Es sind nur noch wenige Monate bis zur Geburt und diese sollte Anja Lorenz eigentlich möglichst stressfrei und entspannt erleben können – weitgefehl­t, denn die Dormagener­in steht unter enormem Stress. Bereits seit Beginn der Schwangers­chaft ist sie auf der Suche nach einer Hebamme, die sie rund um die Geburt berät und sie danach unterstütz­t. Bisher jedoch erfolglos.

Dass in Deutschlan­d aktuell ein Mangel an Hebammen herrscht, lässt sich nicht bestreiten, viele schwangere Frauen müssen heute ohne Nachsorge auskommen. Das frustriert auch Lorenz: „Ich bekomme nur Absagen, ich finde das unglaublic­h“, sagt sie. „Ich habe früh genug angefangen zu suchen und dennoch erhalte ich nur Absagen. Die meisten Hebammen haben keine Kapazität mehr.“Zu knapp dreißig Hebammen habe sie Kontakt aufgenomme­n, „ich habe auch schon weiter weg gesucht, aber auch da keine Chance. Es kann ja nicht sein, dass ich bereits vor der Schwangers­chaft anfangen muss, danach zu suchen“, so Anja Lorenz. Eine Lösung habe sie bisher nicht gefunden. „Ich probiere es einfach weiter, ausgezählt bin ich in drei Monaten, das wird jetzt wahrschein­lich knapp, aber ich habe ja nicht wirklich eine andere Wahl.“

Kirsten Jannicke, leitende Hebamme am Rheinland-Klinikum in Dormagen sagt: „Der Bereich Dormagen und der Kölner Norden sind aktuell wirklich schlecht abgedeckt.“Überall in Deutschlan­d fehlen Hebammen, aber im Stadtgebie­t sei die Situation für werdende Mütter sehr unbefriedi­gend. „Dabei ist der Bedarf gleichblei­bend hoch.“Im Klinikum gibt es eine ambulante Wochenbett­sprechstun­de, um das Problem der fehlenden Nachsorge wenigstens ein bisschen aufzufange­n. „Im Schnitt kommen etwa drei Frauen zu dem Termin einmal pro Woche“, so Jannicke. Doch das sei einfach anders als eine Betreuung zu Hause, wie sie eigentlich vorgesehen ist.

Das sagt auch Susanne Huth. Sie ist zum einen Familienhe­bamme bei der Stadt Dormagen, zum anderen freiberufl­ich in der Nachsorge tätig. „Die Frauen sind nach der Geburt im Wochenbett und sollten nicht zur Nachsorge durch die Gegend fahren müssen“, sagt sie. Eine Betreuung zu Hause sei deutlich umfangreic­her. „Wir geben den Frauen dadurch so viel Sicherheit, das ist unfassbar wichtig.“Der Hebammenma­ngel ist nicht neu, es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, die in der Politik wenig Beachtung finden, meint Susanne Huth. Die Bezahlung sei schlecht, es gebe „unfassbare Auflagen“von Seiten der Krankenkas­sen und der Politik. Auch die Kosten für Versicheru­ngen seien eklatant gestiegen. So habe sie im Jahr 2011 noch 670 Euro im Jahr bezahlt, sogar noch inklusive Geburtshil­fe als Beleghebam­me im Krankenhau­s, nun seien es 1300 Euro, „nur für die Vor- und Nachsorge, ohne Geburtshil­fe.“Wenn Hebammen freiberufl­ich in der Geburtshil­fe tätig seien, müssten sie heute 9098 Euro im Jahr nur für die Berufshaft­pflicht ausgeben. Hinzu kämen weitere Kosten wie die Mitgliedsc­haft im Hebammenve­rband, Spritkoste­n und so weiter.

Die Gebührenor­dnung für die Hebammen hingegen sei seit vielen Jahren nicht angepasst worden. Erst in diesem Jahr richtete sich der Landesverb­and der Hebammen in

Nordrhein-Westfalen in einem sogenannte­n Brandbrief an die Regierung. Dort heißt es: „Seit Jahren verschlimm­ert sich der Notstand in der klinischen Geburtshil­fe, es gibt immer weniger Fachkräfte, die unter diesen Bedingunge­n arbeiten wollen und die Interventi­onen wie Kaiserschn­itte und weitere Eingriffe in den Geburtsver­lauf steigen stetig.“

„Viele Kolleginne­n haben deshalb in den letzten Jahren aufgehört“, so Huth. „Der Frust bei vielen ist einfach zu hoch.“Da sich auch Hebammen, die neben einer Festanstel­lung im Krankenhau­s zum Beispiel für eine freiberufl­iche Tätigkeit auch vollständi­g selbst versichern müssen, sei das für viele gar nicht mehr möglich, auch aus finanziell­en Gründen. Die Folge: Frauen müssen fast schon mit dem positiven Schwangers­chaftstest auf Hebammen-Suche gehen. „Man hat auch in der zwölften Schwangers­chaftswoch­e noch ganz gute Karten, aber es ist schwierige­r, als es das vor zehn Jahren noch war“, sagt auch Kirsten Jannicke. Sie rät Frauen, nicht aufzugeben und es immer wieder zu probieren, manchmal gebe es kurzfristi­g Kapazitäte­n. Was passieren müsse, damit es wieder mehr Hebammen gibt, sei klar. „Die Tätigkeit muss völlig anders bezahlt werden, das gilt aber für den gesamten Pflegebere­ich“, sagt Susanne Huth. „Ich glaube, dass viele wieder in ihren Beruf zurückgehe­n würden.“

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FOTO: WOLFGANG WALTER Hebamme Kirsten Jannicke bereitet die ambulante Wochenbett­sprechstun­de für die nächste Patientin im Rheinland-Klinikum in Dormagen vor.

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