Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Hebammenmangel trifft Dormagen
Eine Hebamme für die Vor- und Nachsorge rund um eine Geburt zu finden, ist auch in Dormagen aktuell ein großes Problem für werdende Mütter. Hebammen erklären die Gründe für den Mangel.
DORMAGEN Es sind nur noch wenige Monate bis zur Geburt und diese sollte Anja Lorenz eigentlich möglichst stressfrei und entspannt erleben können – weitgefehlt, denn die Dormagenerin steht unter enormem Stress. Bereits seit Beginn der Schwangerschaft ist sie auf der Suche nach einer Hebamme, die sie rund um die Geburt berät und sie danach unterstützt. Bisher jedoch erfolglos.
Dass in Deutschland aktuell ein Mangel an Hebammen herrscht, lässt sich nicht bestreiten, viele schwangere Frauen müssen heute ohne Nachsorge auskommen. Das frustriert auch Lorenz: „Ich bekomme nur Absagen, ich finde das unglaublich“, sagt sie. „Ich habe früh genug angefangen zu suchen und dennoch erhalte ich nur Absagen. Die meisten Hebammen haben keine Kapazität mehr.“Zu knapp dreißig Hebammen habe sie Kontakt aufgenommen, „ich habe auch schon weiter weg gesucht, aber auch da keine Chance. Es kann ja nicht sein, dass ich bereits vor der Schwangerschaft anfangen muss, danach zu suchen“, so Anja Lorenz. Eine Lösung habe sie bisher nicht gefunden. „Ich probiere es einfach weiter, ausgezählt bin ich in drei Monaten, das wird jetzt wahrscheinlich knapp, aber ich habe ja nicht wirklich eine andere Wahl.“
Kirsten Jannicke, leitende Hebamme am Rheinland-Klinikum in Dormagen sagt: „Der Bereich Dormagen und der Kölner Norden sind aktuell wirklich schlecht abgedeckt.“Überall in Deutschland fehlen Hebammen, aber im Stadtgebiet sei die Situation für werdende Mütter sehr unbefriedigend. „Dabei ist der Bedarf gleichbleibend hoch.“Im Klinikum gibt es eine ambulante Wochenbettsprechstunde, um das Problem der fehlenden Nachsorge wenigstens ein bisschen aufzufangen. „Im Schnitt kommen etwa drei Frauen zu dem Termin einmal pro Woche“, so Jannicke. Doch das sei einfach anders als eine Betreuung zu Hause, wie sie eigentlich vorgesehen ist.
Das sagt auch Susanne Huth. Sie ist zum einen Familienhebamme bei der Stadt Dormagen, zum anderen freiberuflich in der Nachsorge tätig. „Die Frauen sind nach der Geburt im Wochenbett und sollten nicht zur Nachsorge durch die Gegend fahren müssen“, sagt sie. Eine Betreuung zu Hause sei deutlich umfangreicher. „Wir geben den Frauen dadurch so viel Sicherheit, das ist unfassbar wichtig.“Der Hebammenmangel ist nicht neu, es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, die in der Politik wenig Beachtung finden, meint Susanne Huth. Die Bezahlung sei schlecht, es gebe „unfassbare Auflagen“von Seiten der Krankenkassen und der Politik. Auch die Kosten für Versicherungen seien eklatant gestiegen. So habe sie im Jahr 2011 noch 670 Euro im Jahr bezahlt, sogar noch inklusive Geburtshilfe als Beleghebamme im Krankenhaus, nun seien es 1300 Euro, „nur für die Vor- und Nachsorge, ohne Geburtshilfe.“Wenn Hebammen freiberuflich in der Geburtshilfe tätig seien, müssten sie heute 9098 Euro im Jahr nur für die Berufshaftpflicht ausgeben. Hinzu kämen weitere Kosten wie die Mitgliedschaft im Hebammenverband, Spritkosten und so weiter.
Die Gebührenordnung für die Hebammen hingegen sei seit vielen Jahren nicht angepasst worden. Erst in diesem Jahr richtete sich der Landesverband der Hebammen in
Nordrhein-Westfalen in einem sogenannten Brandbrief an die Regierung. Dort heißt es: „Seit Jahren verschlimmert sich der Notstand in der klinischen Geburtshilfe, es gibt immer weniger Fachkräfte, die unter diesen Bedingungen arbeiten wollen und die Interventionen wie Kaiserschnitte und weitere Eingriffe in den Geburtsverlauf steigen stetig.“
„Viele Kolleginnen haben deshalb in den letzten Jahren aufgehört“, so Huth. „Der Frust bei vielen ist einfach zu hoch.“Da sich auch Hebammen, die neben einer Festanstellung im Krankenhaus zum Beispiel für eine freiberufliche Tätigkeit auch vollständig selbst versichern müssen, sei das für viele gar nicht mehr möglich, auch aus finanziellen Gründen. Die Folge: Frauen müssen fast schon mit dem positiven Schwangerschaftstest auf Hebammen-Suche gehen. „Man hat auch in der zwölften Schwangerschaftswoche noch ganz gute Karten, aber es ist schwieriger, als es das vor zehn Jahren noch war“, sagt auch Kirsten Jannicke. Sie rät Frauen, nicht aufzugeben und es immer wieder zu probieren, manchmal gebe es kurzfristig Kapazitäten. Was passieren müsse, damit es wieder mehr Hebammen gibt, sei klar. „Die Tätigkeit muss völlig anders bezahlt werden, das gilt aber für den gesamten Pflegebereich“, sagt Susanne Huth. „Ich glaube, dass viele wieder in ihren Beruf zurückgehen würden.“