Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Ehre der Erfindung des Kult-Cocktails beanspruch­en viele für sich – aber die Mythen sind ohnehin unterhalts­amer als die harten Fakten.

- VON MARTIN ROLSHAUSEN

Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur Geschichte­n. Wenn etwas existiert, das diese These belegt, dann ist es die Piña Colada. Die Geschichte­n, die über die Erfindung dieses Cocktails kursieren, sind so zahlreich wie die Rezepte für dessen Zubereitun­g. Klar ist: In eine Piña Colada gehört Ananas. Bedeutet die spanische Wortkombin­ation doch nichts anderes als „gesiebte Ananas“. Womit dieser Saft gemischt wird, ob er geschüttel­t oder durch den Mixer gejagt wird, ändert sich je nach Geschichte, die darüber erzählt wird. Oder nach dem, der eines der vielen Rezepte

aufgeschri­eben, ja angeblich auch erfunden hat.

Roberto Cofresi hat kein Rezept notiert, er hat auch selbst keine Geschichte­n über die Piña Colada in die Welt gesetzt. Dass sein Name immer wieder fällt, wenn im Kopf Bilder von Palmen und Meer und dem passenden Getränk dazu entstehen sollen, liegt daran, dass Erzählunge­n über Piraten immer gut ankommen. Der legendäre puertorica­nische Freibeuter soll zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts seine Mannschaft mit einer Mischung aus Rum, Ananas und Kokosnuss bei Laune gehalten haben. Belegt ist diese Geschichte allerdings nicht.

Wahr ist aber, dass die Piña Colada und Puerto Rico eine enge Verbindung haben. Gleich zwei Institutio­nen auf der Karibikins­el beanspruch­en die Erfindung dieses Cocktails nämlich für sich. Da ist zum einen die „Caribe Hilton’s Beachcombe­r Bar“in der Hauptstadt San Juan. Dort wurde die Piña Colada am 15. August 1954 erfunden. Das behauptet zumindest das Hotel. Es hat damit neun Jahre Vorsprung auf die Bar „La Barrachina“, ebenfalls in San Juan. Der Barkeeper Don Ramon Portas Mingot sei der Erfinder der Piña Colada gewesen. Das hat man sich auf einer Gedenktafe­l an der Bar auch in Stein meißeln lassen. Unumstritt­en ist diese Geschichte dennoch nicht, ebenso wenig wie die des Hilton.

Klar ist: Bereits Ende des Jahres 1922, also vor 100 Jahren und lange, bevor die angebliche­n Erfinder mit Alkohol in Berührung kommen konnten, wurde die Piña Colada erstmals schriftlic­h erwähnt. „Doch am allerbeste­n ist eine Piña Colada: Der Saft einer reifen Ananas – schon an sich ein köstliches Getränk – wird im richtigen Verhältnis mit Eis, Zucker, Limettensa­ft und Bacardi Rum kräftig geschüttel­t“, schrieb das Travel Magazine. Von einer Zutat, die heute in vielen Piña Coladas Standard ist, wusste das Reisemagaz­in offenbar noch nichts: Kokosnussc­reme oder Kokosnusss­irup.

Creme oder Sirup, das ist nur eine Frage, an der sich die Cocktail-Geister scheiden. Weil es preisgünst­iger ist, verwenden viele Bars den Sirup. An deutschen Barschulen wird in der Regel die Zubereitun­g mit Creme gelehrt, zum Beispiel vier Centiliter­n davon mit vier Centiliter­n weißem Rum sowie acht Centiliter­n Ananassaft und zwei Centiliter­n Sahne. Damit unterschei­det sich das deutsche Rezept kaum von dem der Internatio­nal Bartenders Associatio­n. Der Weltverban­d

der Bartender sieht für die Piña Colada je drei Centiliter weißen Rum und Cream of Coconut sowie neun Centiliter Ananassaft vor. Der Münchner Kult-Barkeeper Charles Schumann dosiert die klassische Piña Colada in seinem vor gut 30 Jahren veröffentl­ichten Standardwe­rk „American Bar“mit vier Centiliter­n Kokosnussc­reme und jeweils sechs Centiliter­n Ananassaft und weißem Rum. Er hat dem eine eigene Variante hinzugefüg­t, in der unter anderem Ananasstüc­ke verwendet werden. Dann wird dieser Cocktail allerdings nicht im Shaker, sondern im Mixer zubereitet. Das Ganze immer mit Eis. Einig sind sich alle Rezepte in Sachen Garnitur: Das Glas wird verziert mit einem Stück aus einer Ananassche­ibe und einer Cocktailki­rsche.

Welche Variante davon auch immer man bevorzugt, „die neue Generation Barkeeper ist eher gegen die Piña Colada eingestell­t“, sagt Tom Sipos, der an der Austrian Bar Academy in

Wien Barkeeper aus aller Welt ausbildet. „Viele wenden sich von den 80er-Jahre-Drinks ab“, berichtet er. Sein Favorit sei sie auch nicht, aber: „Ich bin der Meinung, dass man sich nach den Gästen richten sollte. Und die mögen diese Art Cocktail nach wie vor: nicht so stark und leicht trinkbar.“Man ordne solche Drinks zwar gerne Frauen zu, sagt er, „aber männliche Gäste mögen diese flüssige Nachspeise auch – und genau das ist die Piña Colada“.

Aber nicht nur, weil sie beim Trinken wenig Widerstand leistet, ist die Piña Colada beliebt. Die Geschichte dieses Drinks ist nämlich auch eine Sehnsuchts-Geschichte. Es habe in Amerika angefangen, erzählt Sipos. Clevere Barbesitze­r haben ein Geschäftsm­odell entdeckt: „Die haben Leuten, die sich Urlaub nicht leisten konnten, den Urlaub in die Stadt gebracht.“

Und wer hat sie nun erfunden? „Die glaubhafte­ste Story“ist die mit der ‚Caribe Bar’“, sagt Sipos. Dort habe nämlich ein zweiter Barkeeper gearbeitet – nämlich Don Ramon Portas Mingot, also der Mann, der die Piña Colada dann später in seiner eigenen Bar erfunden haben will. Im Bargeschäf­t sei es nunmal wichtig, eine gute Geschichte nicht einfach einem Konkurrent­en zu überlassen.

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FOTO: ISTOCK

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