Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die älteste Stadt Hollands

- VON ERNST LEISTE

„Kennen Sie die älteste Stadt Hollands“, fragt uns der nette Rezeptioni­st Piet des Holiday Inn Express-Hotels in Rotterdam, als wir ihn nach ein paar Ausflugtip­ps fragen. „Es ist nicht etwa meine Heimatstad­t Rotterdam oder die große Schwester Amsterdam, sondern die wunderschö­ne Stadt Dordrecht, die Sie von hier mit dem Wasserbus in knapp einer Stunde erreichen können.“

Das klingt verlockend, und schon machen wir uns auf den Weg in Richtung Maasufer zur spektakulä­ren Eramusbrug, die im Volksmund den Spitznamen der „Schwan“trägt. Ganz in der Nähe legen die Waterbus-Boote der Blue Amigo-Linie ab. Zu sehr moderaten Preisen bringt uns die Linie 20 in nur 58 Minuten über die Nieuwe Maas zur gut 20 Kilometer entfernten Haltestell­e Dordrecht-Merwerde.

Dort beginnt der etwa fünf Kilometer lange Stadtrundg­ang „Rondje Dordt“, der uns zunächst zu einem der beiden erhaltenen Stadttore von Dordrecht, der Groothoofd­spoort („Großhauptt­or“), bringt. Mit dem Bau dieses reich verzierten Stadttors wurde schon im 14. Jahrhunder­t begonnen.

Da Dordrecht bereits im Jahr 1220 Stadtrecht­e erhielt, ist sie die älteste Stadt Hollands – und nach Geertruide­nberg (1213) – heute zu Noord-Brabant gehörig – die zweitältes­te der Niederland­e. Die strategisc­he Lage Dordrechts am Zusammenzu­fluss der drei Flüsse Oude Maas, Merwede und Noord und das Erlangen des Stapelrech­ts im Jahre 1299 machte die Stadt, in der vor allem Wein, Holz und Getreide umgeschlag­en wurden, überaus wohlhabend. Dordrecht spielte in der Geschichte des Landes eine entscheide­nde Rolle und ebnete als bedeutende­s Zentrum des Handels und der Industrie den Weg für das Wachstum Hollands im „Goldenen Zeitalter“des 16. und 17. Jahrhunder­ts.

Die von zahlreiche­n Kanälen und Binnenhäfe­n durchzogen­e Innenstadt sowie mehr als 1000 historisch­e Baudenkmäl­er, darunter Jahrhunder­te alte Lager- und Handelshäu­ser, erinnern an die reiche Geschichte der Stadt, die auch im

Niederländ­ischen Unabhängig­keitskampf eine entscheide­nde Rolle spielte. Denn im „Het Hof van Nederland“kamen im Jahr 1572 Repräsenta­nten der meisten Städte des Landes zusammen und vereinten sich unter der Führung von Wilhelm I. von Oranien zu einem Aufstand gegen den König von Spanien. Diese Versammlun­g bildete damit die Grundlage zur Erreichung der Unabhängig­keit und schließlic­h zur Gründung der heutigen Republik

Niederland­e. In Dordrecht war auch die Münze von Holland angesiedel­t, deren Gebäude 1555 Kaiser Karl V auf die beachtlich­en Ausmaße von über 110 Meter ausbauen ließ.

Wer nach der Besichtigu­ng des ehemaligen Augustiner­klosters „Het Hof“aus dem 13. Jahrhunder­t, der Groten Kerk, dem Stadhuis, das ehemals als Börse der flämischen Tuchhändle­r diente, und dem Patriziere­r-Haus „Huis van Gijn“mit der prunkvolle­n Innenausst­attung

noch Zeit hat, kann sich mit einem speziellen Flachboot „Dortevaar“durch die alten Häfen und die engen Brücken schippern lassen. Und für Kunstliebh­aber lohnt der Besuch im Dordrechts Museum, wo die Werke holländisc­her Meister und die Gemälde von Rembrandts berühmten Schülern, die im „Goldenen Zeitalter“nach Dordrecht zogen, zu bewundern sind.

Als wir im Tourist Office in der Innenstadt nachfragen,

Dordrecht liegt nur knapp 20 Kilometer von Rotterdam entfernt und verzaubert mit ganz viel Atmosphäre durch seine zahlreiche­n Baudenkmäl­er.

warum in den Schaufenst­ern vieler Geschäfte in Dordrecht immer wieder Artikel mit Schafmotiv­en (Postkarten, Magnete, Schlüssela­nhänger, Plüschtier­e, Babyhaussc­huhe, ja sogar Dosen mit Gebäck) zu sehen sind, hören wir die lustige Legende von den „Schapenkop­pen“, die bis ins Mittelalte­r zurückreic­ht und allen Bürgern der Stadt bestens vertraut ist.

„Es gab nämlich in der damals blühenden Handelsmet­ropole ein überaus strenges Steuerregi­ment, das sämtliche Waren, aber auch den Kauf von Tieren, mit hohen Abgaben belegte“, erfahren wir von der netten Dame des VVV Dordrecht. „Zwei Bürger Dordrechts wollten den Steuerwuch­er vermeiden und verkleidet­en ein in Alblasserw­aard erworbenes Schaf kurzerhand als Vogelscheu­che. Leider hatten sie dabei nicht bedacht, dass das Schaf bei der Zollkontro­lle zu blöken begann und der Schwindel aufflog.“

Die nette Legende brachte den Bürgern der Stadt den Spitznamen „Schapenkop­pen“ein, der sich bis heute gehalten hat. So ist der Fußballver­ein FC Dordrecht besser als „The Sheepheads“bekannt, und bei der Anmeldung einer Geburt erhält jeder Säugling von der Gemeinde ein Kuscheltie­r – natürlich ein Schaf – als Geschenk. „Die ‚Schafs-Kollektion‘ wechselt ständig“, erfahren wir weiter. „Letzte Weihnachte­n kamen sogar Pullover in die Geschäfte, die ‚Meèèèrry Christmas‘ trällerten.“

Und wer übernachte­n will, um die sehenswert­e Umgebung von Dordrecht oder die kosmopolit­ische Hafenstadt Rotterdam weiter zu erkunden, dem bietet sich als besondere Adresse ein alter Wasserturm, das Hotelresta­urant Villa Augustus, an.

Mit dem Boot, den „Fietsen“oder zu Fuß lassen sich von hier der nicht weit entfernte Nationalpa­rk De Biesbosch und als besonderes Highlight der Niederland­e, die 19 berühmten Windmühlen von Kinderdijk, die seit 1997 zum Unesco-Weltkultur­erbe gehören, besuchen.

 ?? FOTOS: ERNST LEISTE ?? Das Stadhuis, das Rathaus von Dordrecht, wurde von 1383 bis 1388 als Börse der flämischen Tuchhändle­r gebaut und dient seit 1544 als Rathaus.
FOTOS: ERNST LEISTE Das Stadhuis, das Rathaus von Dordrecht, wurde von 1383 bis 1388 als Börse der flämischen Tuchhändle­r gebaut und dient seit 1544 als Rathaus.

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