Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eine neue Heimat in Grevenbroich
Vor rund zwei Jahren flüchtete Anastasiia Pidvirna vor dem Krieg in der Ukraine und fand in Grevenbroich ein neues Zuhause und eine zweite Familie. Wie es ihr heute geht und was ihr sehnlichster Wunsch ist.
GREVENBROICH Wenn Anastasiia Pidvirna erzählt, wie es ihr heute – rund zwei Jahre nach ihrer Flucht – geht, ist sie voller Dankbarkeit für die Möglichkeit, einen Neuanfang in Grevenbroich gewagt zu haben. Dabei ist sie den Tränen nahe und ihre Stimme bricht: „Ich freue mich jeden Tag, zur Arbeit zu kommen und bin sehr dankbar für diese Möglichkeit.“Bereits vier Wochen nach ihrer Flucht begann die 25-Jährige als Dolmetscherin in der Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss zu arbeiten. Zunächst übersetzte sie für Geflüchtete aus ihrem Heimatland vom Ukrainischen ins Englische. Aber auch Deutsch beherrschte sie schnell und konnte damit das Kreisordnungsamt im Bereich der Einbürgerung unterstützen.
Durch einen Zufall verschlug es Pidvirna vor rund zwei Jahren nach Grevenbroich: „Meine Mutter hat im Bus von der Ukraine über Polen nach Deutschland eine Frau kennengelernt, die eine Familie kannte, bei der wir zunächst wohnen konnten“, sagt die 25-Jährige. Zu dieser Familie gehörte Maike HauswaldTextoris, Abteilungsleiterin des Kreisordnungsamtes und heutige Kollegin von Pidvirna.
„Meine Oma war bettlägerig und wurde von einer Pflegekraft aus der Ukraine mehrere Monate lang gepflegt. Zu ihr hatten wir weiterhin Kontakt. Und als der Krieg ausbrach, haben wir ihr gesagt, dass sie gerne zu uns kommen kann, denn meine Oma war zu dem Zeitpunkt gerade verstorben und das ganze Haus war frei“, erinnert sich Hauswald-Textoris zurück. „Und wir haben ihr gesagt, dass sie jemand Nettes, den sie im Bus kennenlernt, gerne mitbringen kann“, führt Hauswald-Textoris weiter aus. Dadurch sei wiederum der Kontakt zu Anastasiia Pidvirna und ihrer Mutter entstanden.
Bis heute lebt Pidvirna in diesem Haus. Ihre Mutter ist mittlerweile wieder in der Ukraine, in ihrer Heimatstadt Mykolajiw, nahe der Hafenstadt Odessa. Ursprünglich sollte das Haus in Wevelinghoven verkauft werden. Aber: „Bisher besteht die Notwendigkeit noch nicht, es zu verkaufen – und Anastasiia kann dort günstig leben. Wir sind aber nach wie vor auf der Suche“, sagt Hauswald-Textoris.
Anastasiia Pidvirna, die von ihrer Familie und ihren Freunden auch gerne ‚Nastja‘ genannt wird, hat regelmäßig Kontakt zu ihrer Familie. „Meine Mutter und mein Bruder sind beide noch in meiner Heimatstadt Mykolajiw. Mein Papa ist bei der Armee und zurzeit in Cherson“, sagt die 25-Jährige. Im Februar war sie dort, um ihre Familie zu besuchen.
Und gerade am 24. Februar, der Tag, an dem sich der Krieg in der Ukraine zum zweiten Mal gejährt hat, ist sie wieder nach Deutschland zurückgeflogen. Anlass für ihren Besuch sei ihr Geburtstag sowie die Geburtstage ihrer Familie, die alle im Februar sind, gewesen. Bereits zum zweiten Mal war sie im Heimaturlaub. „Es ist schon ein komisches Gefühl: Auf der einen Seite freue ich mich, meine Familie zu sehen und genieße die Zeit mit ihr. Aber auf der anderen Seite sieht man die zerstörten
Gebäude und die schrecklichen Ausmaße des Krieges.“
Langfristig möchte Anastasiia Pidvirna in Deutschland bleiben, aber: „Die Ukraine wird für immer mein Heimatland bleiben“, sagt die 25-Jährige unter Tränen. Dennoch sei Deutschland für sie mittlerweile ihr zweites Zuhause geworden. „Nastja gehört für mich zur Familie. Manchmal ist sie meine Tochter und manchmal meine Schwester“, sagt Hauswald-Textoris. „Ich habe zum Glück eine Familie hier in Deutschland gefunden“, erwidert Pidvirna. Für ihre Mutter sei Grevenbroich eine „Stadt der Träume“. So habe sie es zumindest in den ersten drei Monaten, in denen sie in der Schlossstadt war, wahrgenommen.
„Ich bin froh, dass sie mich damals begleitet hat, weil ich nicht alleine aus der Ukraine flüchten wollte“, sagt die 25-Jährige. Nach drei Monaten sei ihre Mutter in die Heimat zurückgekehrt, um ihrem Mann und Sohn beizustehen. „Sie hat dafür gesorgt, dass Nastja in Sicherheit ist und als sie gemerkt hat, dass es ihr hier gut geht, ist sie guten Gewissens zurückgekehrt“, sagt Maike Hauswald-Textoris.
Anastasiia Pidvirnas sehnlichster Wunsch ist es, dass die Ukraine den Krieg so schnell wie möglich gewinnt und ihre Familie gesund bleibt. Der erste Ort, an den Pidvirna nach dem Krieg zurückkehren würde, ist ihre Wohnung in Mykolajiw.