Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Stadtrat kippt mehrheitlich Bürgerantrag
Ein Bürgerantrag gegen jegliche Form von Extremismus wurde in der letzten Stadtratssitzung durch einen Änderungsantrag, der zunächst anonym blieb, gekippt. Seither kochen die Gemüter über. Was ist geschehen?
DORMAGEN Dass der Tagesordnungspunkt 5.4 in der Stadtratssitzung vom vergangenen Donnerstag innerhalb weniger Tage zum Gesprächsthema in Dormagen werden würde, war zunächst nicht abzusehen. Es handelt sich um einen Bürgerantrag, den 26 Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet hatten. Mit diesem Antrag sollte eine Resolution verabschiedet werden, die sich gegen jede Form extremistischer Tendenzen wendet. Unter anderem hieß es darin: „Wir verurteilen jegliche Form von Extremismus, Rassismus und Diskriminierung aufs Schärfste. Die Verbreitung extremistischer Ideen und gezielte Stimmungsmache gegen bestimmte Gruppen sind inakzeptabel und gefährden den sozialen Frieden unserer Stadt. Wir fordern daher alle politischen Akteure auf, sich klar von extremistischen Positionen zu distanzieren und sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einzusetzen.“Zu den Unterzeichnern (allesamt CDU-Mitglieder) gehören u.a. Markus Gilgen, Guido Schor, Muharrem Ozince oder Samira Benidir und Parteivorsitzende Anissa Saysay. Erfolgreich waren die Bürger damit aber nicht.
Denn zwei Tage vor der Ratssitzung verschickte das Ratsbüro der Stadt einen Änderungsantrag zur Resolution an die Stadtverordneten. Im Kern ist der Text des Änderungsantrags fast identisch mit dem des Bürgerantrags, nur dass es heißt: „Der Stadtrat verurteilt jegliche Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung auf das Schärfste. Die gezielte Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten sowie geflüchtete Menschen ist inakzeptabel und wird nicht toleriert“. Nicht enthalten ist eine klare Abgrenzung zum Linksextremismus und zu einem extremistischen Islamismus. Beide Anträge plädieren jedoch für eine offene und tolerante Gesellschaft.
Der versandte Änderungsantrag trug weder einen Adresskopf noch einen Absender. Und auch auf Nachfrage im Ratsbüro wollte man weder Saysay noch der Zentrumsfraktion, die ebenfalls nachgefragt hatte, wer denn den Antrag gestellt hatte, einen Namen nennen. Erst auf Nachfrage
während der Stadtratssitzung von Zentrum-Chef Hans-Joachim Woitzik stellte sich heraus, dass Kai Weber, Fraktionschef der CDU, dahintersteckte. Damit war die Katze aus dem Sack und der Bruch zwischen Partei und Fraktion einmal mehr sichtbar. „Was können die Gründe sein für einen Änderungsantrag? Gibt es so massive inhaltliche Schwächen im Bürgerantrag, dass sich die Mehrheit des Rates dahinter nicht versammeln kann? Der Bürgerantrag wurde mehrheitlich von CDU-Mitgliedern unterzeichnet. Reicht das als Grund für einen Änderungsantrag aus?“, fragte Saysay in der Sitzung. Eine Antwort erhielt sie nicht.
„Das war beschämend, was da passiert ist, und zeigt einmal mehr, wie sich die Fraktion gegenüber der Partei verhält“, kommentiert ExBürgermeister und CDU-Mitglied Peter-Olaf Hoffmann fassungslos. „Wenn sich Demokraten untereinander so bekämpfen, wie es jetzt von der Fraktion gegenüber der Partei geschehen ist, frohlocken die Extremisten“, so Hoffmann.
Auch Woitzik, der mit seiner Zentrumsfraktion
ebenso wie Norbert Back (Ein Herz für Dormagen) und Anissa Saysay gegen den Änderungsantrag gestimmt hatte, findet deutliche Worte: „Es ist ein Unding, wie das abgelaufen ist. Einen Antrag, so kurz, vor der Sitzung anonym einzureichen, ist völlig unüblich. Meiner Meinung nach ist das ein unzulässiges Verfahren“. Ein Antrag müsse eine gewisse Form haben, „aber dieser hatte keine Form“.
Er verstehe auch nicht, warum man nicht seinen Namen unter den eigenen Antrag stelle. „Das erklärt öffentlich den Dissens zwischen der CDU-Fraktion und der Partei.“
Vier Tage nach der Ratssitzung ist Saysay immer noch fassungslos. Und das nicht nur wegen der Vorkommnisse in der Sitzung, sondern auch, weil ihr nun über die sozialen Medien die Worte quasi im Mund herumgedreht werden. Saysay, die, wie sie selbst sagt, wohl die Einzige im Stadtrat ist, die einen Migrationshintergrund hat, zu unterstellen, sie würde sich nicht gegen Rechtsextremismus stellen, sei schon bemerkenswert. Dazu beigetragen hatte die SPD. In einer Pressemitteilung heißt es: „Die Resolution spricht sich eindeutig gegen jegliche Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung aus. Lediglich die Mitglieder der Zentrumsfraktion sowie die Einzelratsmitglieder der EHfD und der AfD, sowie die CDU-Parteivorsitzende Anissa Saysay, stimmten gegen den Antrag.“Eine solche Haltung sei nicht im Einklang mit den Grundwerten unserer Gemeinschaft
und sendet ein falsches Signal an unsere Bürgerinnen und Bürger, kommentierte SPD-Fraktionschef Michael Dries.
Bürgermeister Erik Lierenfeld sagte auf Anfrage: „„Ich kann verstehen, dass der Stadtrat hier den Schwerpunkt auf die aktuelle Situation im Bereich des Rechtsextremismus gesetzt hat und das nicht verwässern wollte. Insofern habe ich großes Verständnis für den Änderungsantrag. Dass Änderungsanträge zwischen den Fraktionen abgestimmt werden und dann eine Fraktion – hier die CDU, stellvertretend der Vorsitzende Kai Weber – den Antrag einbringt, ist nicht unüblich. Man verzichtet in diesem Fall natürlich auch auf ein Logo oder Ähnliches, damit das auch als gemeinsamer Antrag darstellbar ist. So kenne ich es noch aus meiner Zeit im Stadtrat.“Demgegenüber sagt Peter-Olaf Hoffmann: „Ich bezweifele das. Ich habe solch einen Antrag noch nie erlebt, weder als Bürgermeister noch als Stadtratsmitglied. Wenn das nicht unüblich ist, sollte Herr Lierenfeld einmal aus dem Archiv solche Anträge vorlegen.“