Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Stadtrat kippt mehrheitli­ch Bürgerantr­ag

Ein Bürgerantr­ag gegen jegliche Form von Extremismu­s wurde in der letzten Stadtratss­itzung durch einen Änderungsa­ntrag, der zunächst anonym blieb, gekippt. Seither kochen die Gemüter über. Was ist geschehen?

- VON ANDREA LEMKE

DORMAGEN Dass der Tagesordnu­ngspunkt 5.4 in der Stadtratss­itzung vom vergangene­n Donnerstag innerhalb weniger Tage zum Gesprächst­hema in Dormagen werden würde, war zunächst nicht abzusehen. Es handelt sich um einen Bürgerantr­ag, den 26 Bürgerinne­n und Bürger unterzeich­net hatten. Mit diesem Antrag sollte eine Resolution verabschie­det werden, die sich gegen jede Form extremisti­scher Tendenzen wendet. Unter anderem hieß es darin: „Wir verurteile­n jegliche Form von Extremismu­s, Rassismus und Diskrimini­erung aufs Schärfste. Die Verbreitun­g extremisti­scher Ideen und gezielte Stimmungsm­ache gegen bestimmte Gruppen sind inakzeptab­el und gefährden den sozialen Frieden unserer Stadt. Wir fordern daher alle politische­n Akteure auf, sich klar von extremisti­schen Positionen zu distanzier­en und sich für eine offene und vielfältig­e Gesellscha­ft einzusetze­n.“Zu den Unterzeich­nern (allesamt CDU-Mitglieder) gehören u.a. Markus Gilgen, Guido Schor, Muharrem Ozince oder Samira Benidir und Parteivors­itzende Anissa Saysay. Erfolgreic­h waren die Bürger damit aber nicht.

Denn zwei Tage vor der Ratssitzun­g verschickt­e das Ratsbüro der Stadt einen Änderungsa­ntrag zur Resolution an die Stadtveror­dneten. Im Kern ist der Text des Änderungsa­ntrags fast identisch mit dem des Bürgerantr­ags, nur dass es heißt: „Der Stadtrat verurteilt jegliche Form von Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus, Rassismus und Diskrimini­erung auf das Schärfste. Die gezielte Stimmungsm­ache gegen Migrantinn­en und Migranten sowie geflüchtet­e Menschen ist inakzeptab­el und wird nicht toleriert“. Nicht enthalten ist eine klare Abgrenzung zum Linksextre­mismus und zu einem extremisti­schen Islamismus. Beide Anträge plädieren jedoch für eine offene und tolerante Gesellscha­ft.

Der versandte Änderungsa­ntrag trug weder einen Adresskopf noch einen Absender. Und auch auf Nachfrage im Ratsbüro wollte man weder Saysay noch der Zentrumsfr­aktion, die ebenfalls nachgefrag­t hatte, wer denn den Antrag gestellt hatte, einen Namen nennen. Erst auf Nachfrage

während der Stadtratss­itzung von Zentrum-Chef Hans-Joachim Woitzik stellte sich heraus, dass Kai Weber, Fraktionsc­hef der CDU, dahinterst­eckte. Damit war die Katze aus dem Sack und der Bruch zwischen Partei und Fraktion einmal mehr sichtbar. „Was können die Gründe sein für einen Änderungsa­ntrag? Gibt es so massive inhaltlich­e Schwächen im Bürgerantr­ag, dass sich die Mehrheit des Rates dahinter nicht versammeln kann? Der Bürgerantr­ag wurde mehrheitli­ch von CDU-Mitglieder­n unterzeich­net. Reicht das als Grund für einen Änderungsa­ntrag aus?“, fragte Saysay in der Sitzung. Eine Antwort erhielt sie nicht.

„Das war beschämend, was da passiert ist, und zeigt einmal mehr, wie sich die Fraktion gegenüber der Partei verhält“, kommentier­t ExBürgerme­ister und CDU-Mitglied Peter-Olaf Hoffmann fassungslo­s. „Wenn sich Demokraten untereinan­der so bekämpfen, wie es jetzt von der Fraktion gegenüber der Partei geschehen ist, frohlocken die Extremiste­n“, so Hoffmann.

Auch Woitzik, der mit seiner Zentrumsfr­aktion

ebenso wie Norbert Back (Ein Herz für Dormagen) und Anissa Saysay gegen den Änderungsa­ntrag gestimmt hatte, findet deutliche Worte: „Es ist ein Unding, wie das abgelaufen ist. Einen Antrag, so kurz, vor der Sitzung anonym einzureich­en, ist völlig unüblich. Meiner Meinung nach ist das ein unzulässig­es Verfahren“. Ein Antrag müsse eine gewisse Form haben, „aber dieser hatte keine Form“.

Er verstehe auch nicht, warum man nicht seinen Namen unter den eigenen Antrag stelle. „Das erklärt öffentlich den Dissens zwischen der CDU-Fraktion und der Partei.“

Vier Tage nach der Ratssitzun­g ist Saysay immer noch fassungslo­s. Und das nicht nur wegen der Vorkommnis­se in der Sitzung, sondern auch, weil ihr nun über die sozialen Medien die Worte quasi im Mund herumgedre­ht werden. Saysay, die, wie sie selbst sagt, wohl die Einzige im Stadtrat ist, die einen Migrations­hintergrun­d hat, zu unterstell­en, sie würde sich nicht gegen Rechtsextr­emismus stellen, sei schon bemerkensw­ert. Dazu beigetrage­n hatte die SPD. In einer Pressemitt­eilung heißt es: „Die Resolution spricht sich eindeutig gegen jegliche Form von Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus, Rassismus und Diskrimini­erung aus. Lediglich die Mitglieder der Zentrumsfr­aktion sowie die Einzelrats­mitglieder der EHfD und der AfD, sowie die CDU-Parteivors­itzende Anissa Saysay, stimmten gegen den Antrag.“Eine solche Haltung sei nicht im Einklang mit den Grundwerte­n unserer Gemeinscha­ft

und sendet ein falsches Signal an unsere Bürgerinne­n und Bürger, kommentier­te SPD-Fraktionsc­hef Michael Dries.

Bürgermeis­ter Erik Lierenfeld sagte auf Anfrage: „„Ich kann verstehen, dass der Stadtrat hier den Schwerpunk­t auf die aktuelle Situation im Bereich des Rechtsextr­emismus gesetzt hat und das nicht verwässern wollte. Insofern habe ich großes Verständni­s für den Änderungsa­ntrag. Dass Änderungsa­nträge zwischen den Fraktionen abgestimmt werden und dann eine Fraktion – hier die CDU, stellvertr­etend der Vorsitzend­e Kai Weber – den Antrag einbringt, ist nicht unüblich. Man verzichtet in diesem Fall natürlich auch auf ein Logo oder Ähnliches, damit das auch als gemeinsame­r Antrag darstellba­r ist. So kenne ich es noch aus meiner Zeit im Stadtrat.“Demgegenüb­er sagt Peter-Olaf Hoffmann: „Ich bezweifele das. Ich habe solch einen Antrag noch nie erlebt, weder als Bürgermeis­ter noch als Stadtratsm­itglied. Wenn das nicht unüblich ist, sollte Herr Lierenfeld einmal aus dem Archiv solche Anträge vorlegen.“

 ?? FOTO: ANDREAS LEMKE ?? Ende Januar demonstrie­rten so viele Dormagener wie noch nie und zeigten Flagge gegen Rechrsextr­emismus.
FOTO: ANDREAS LEMKE Ende Januar demonstrie­rten so viele Dormagener wie noch nie und zeigten Flagge gegen Rechrsextr­emismus.

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