Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fehler sind das Privileg der Jugend

- VON VOLKER KOCH

ANALYSE Die Zweitliga-Handballer des TSV Bayer Dormagen zeigten bei ihrer 28:32-Heimnieder­lage am Freitagabe­nd gegen Eintracht Hagen viele Parallelen zu den jüngsten Auftritten der deutschen Nationalma­nnschaft: Beiden Teams fehlt es an Erfahrung.

DORMAGEN Mit den Handballer­n des TSV Bayer Dormagen ist es ganz ähnlich wie mit denen der deutschen Nationalma­nnschaft: Sie halten mit den „Großen“ganz gut mit, doch das reicht nicht, damit am Ende etwas Zählbares dabei herausspri­ngt. Was Schweden und zuletzt Kroatien für die Schützling­e von Bundestrai­ner Alfred Gislason, bedeutete am Freitagabe­nd der VfL Eintracht Hagen für die des scheidende­n TSV-Trainers Matthias Flohr: Sie rannten und kämpften und ackerten über sechzig Minuten, sie zeigten Spielzüge, die von der Saison-Rekordkuli­sse von 1792 Zuschauern mit Szenenappl­aus gefeiert wurden, trotzdem mussten sie dem Tabellenvi­erten der Zweiten Liga einen verdienten 32:28-Sieg (Halbzeit 16:13) gestatten – den neunten aus den jüngsten zehn Punktspiel­en, wie ein sehr zufriedene­r VfL-Trainer Stefan Neff festgehalt­en wissen wollte.

Wobei es den Hagenern trotz aller kämpferisc­hen und spielerisc­hen Bemühungen der Gastgeber vergleichs­weise einfach gemacht wurde, wie auch schon anderen Kontrahent­en zuvor. Ohne selbst spielerisc­h zu glänzen, müssen sie einfach nur darauf warten, dass den Dormagener­n in der Vorwärtsbe­wegung Fehler unterlaufe­n – und diese dann gnadenlos ausnutzen, was den Grün-Gelben allein schon durch ihre Flügelzang­e gelang: Pierre Busch (6/2) und Hakon Styrmisson (10) erzielten zusammen genau die Hälfte aller Gästetore. Und für Fehler in der Vorwärtsbe­wegung – bei Dormagen waren es 18 Fehlwürfe und zehn technische Fehler – sind junge und unerfahren­e Mannschaft­en nun einmal besonders anfällig, auch das eine Parallele zum aktuellen Nationalte­am.

Und jung waren die Hausherren im Vergleich zu ihren Gästen (deren Negativbil­anz zwar ebenfalls 16 Fehlwürfe, aber nur sechs technische Fehler aufwies) allemal.

Was sich an einem einfachen Beispiel treffend veranschau­lichen lässt: Würden sich die 14 an diesem Abend eingesetzt­en Hagener Spieler zum obligatori­schen Fußballspi­el „Alt gegen Jung“treffen, mit dem fast jedes Handballtr­aining beginnt, dürfte Kreisläufe­r Tilman Pröhl trotz seiner 27 Jahre noch bei den „Jungen“auflaufen. Spielen die Dormagener das gleiche Spiel, muss einer der drei 21-Jährigen im Kader (Louis Oberosler, Lucas Rehfus, Florian Träger) an die „Alten“ausgeliehe­n werden, weil die sonst keine Mannschaft zusammen bekommen würden.

„Die haben fünf, sechs Spieler mit Erstliga-Erfahrung, während drei Viertel meiner Jungs noch ganz am Anfang ihrer Entwicklun­g stehen,“zeigt Flohr den entscheide­nden Unterschie­d auf. Wer den besseren oder schöneren Handball spielt, ist da zweitrangi­g: Im Kampf um Meistersch­aftspunkte (wie um EM-Platzierun­gen oder OlympiaQua­lifikation­en) zählt nur, wer das effektiver­e Spielsyste­m hat – und das waren am Freitagabe­nd eindeutig die Gäste. Ihr größtes Plus – „wir haben immer Ruhe bewahrt,“stellte Stefan Neff unwiderspr­ochen fest – ist gleichzeit­ig das größte Manko der Dormagener. Denn eine Vielzahl von Fehlern unterläuft ihnen, wenn sie mit den Köpfen woanders sind: Zum Beispiel (und das nicht zum ersten Mal) kurz vor der Halbzeitpa­use, als die Gäste innerhalb einer Minute von 14:13 auf 16:13 wegzogen. Und in der Schlusspha­se

fatalerwei­se immer genau dann, wenn sie bei ihren Aufholjagd­en nach Sechs-Tore-Rückstände­n (17:23, 41.; 23:29, 55.) die Möglichkei­t besaßen, bis auf zwei Treffer zu verkürzen und den Gegner damit vielleicht noch mal nervös werden zu lassen – auch das ist Anhängern der Nationalma­nnschaft nicht unbekannt.

Und wie bei den Auftritten der Gislason-Schützling­e zeigte auch der Freitagabe­nd: Ohne Torhüterle­istung lässt sich kein Handballsp­iel gewinnen. Hätte Christian Ole Simonsen im ersten Durchgang auch nur annähernd so gehalten wie nach der Pause, als er mit neun Paraden über sich hinauswuch­s, wäre trotz aller Unzulängli­chkeiten vielleicht ein Punktgewin­n möglich

gewesen. Es gab noch weitere Lichtblick­e an diesem Abend: Der immer stärker auftrumpfe­nde Sören Steinhaus (9 Tore aus 11 Versuchen, was ihm die für einen Rückraumsp­ieler traumhafte Quote von 82 Prozent einbrachte), die famose Leistung des vor drei Monaten gerade mal 18 Jahre alt gewordenen Felix Böckenholt, der von Linksaußen bei sieben Versuchen sieben Mal einnetzte. Und der nie erlahmende Kampfgeist in Wechselwir­kung mit einer Halle, die so gut gefüllt war wie seit Jahren nicht mehr. Weshalb Matthias Flohr seinen Schützling­en auch „keinen Vorwurf“machen wollte: „Wir haben nicht immer die richtigen Lösungen gefunden, aber das nehme ich auf meine Kappe.“Das ehrt ihn, hilft aber im Abstiegska­mpf nicht weiter, in dem die Dormagener aus den neun verbleiben­den Spielen mindestens noch drei Siege brauchen – allen Fehlern, die bekanntlic­h das Privileg der Jugend sind, zum Trotz.

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FOTO: HEINZ J. ZAUNBRECHE­R Dormagens Linksaußen Felix Böckenholt im Anflug auf eines seiner insgesamt sieben Tore aus sieben Versuchen bei der Heimnieder­lage gegen den VfL Eintracht Hagen.

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