Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Knöllchen für Kirchgänge­r

Ausgeweite­te Kontrollen und immer mehr Anzeigen aus der Bürgerscha­ft ließen die Zahl der geahndeten Parkverstö­ße auf 84.958 Fälle ansteigen. Dahinter steckt ein Konzept, das von einigen als extreme Verschärfu­ng kritisiert wird.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Jahrzehnte­lang konnten Falschpark­er fast sicher sein, dass ihnen außerhalb der „Schalterst­unden“im Rathaus niemand auf die Schliche kommt und ihnen ein Knöllchen hinter den Scheibenwi­scher klemmt. Zum Beispiel abends und an Wochenende­n. Die Zeiten sind vorbei, seit Anfang 2023 die vom Rat beschlosse­ne Stichprobe­nüberwachu­ng eingeführt wurde, für die drei zusätzlich­e Politessen angestellt wurden. Die Folge spüren auch die Kirchgänge­r.

„An St. Quirin habe ich die Messe oft schon sehr teuer bezahlt“, jammert ein Gottesdien­stbesucher in einer Textnachri­cht an „seinen“Stadtveror­dneten. Und es ist nicht die einzige Zuschrift, die vor allem CDU-Politiker in ihren elektronis­chen Postfächer­n finden. 20 Jahre sei es gut gegangen, heißt es in einer anderen Nachricht, dann fiel der offenbar notorische Falschpark­er auf und klagt: „Das Ganze ist kein Spaß – kostet 55 Euro.“Doch im Hauptaussc­huss hielt sich das Mitleid in Grenzen. „Ich glaube nicht, dass wir Buße tun müssen, wenn wir an Kirchen kontrollie­ren“, sagte Bürgermeis­ter Reiner Breuer. Es heiße schließlic­h Kirchgang und nicht Kirchfahrt, fügte er hinzu.

Thomas Kaumanns (CDU), der auch kirchlich engagiert ist, will sich nicht vor den Karren ertappter Verkehrssü­nder spannen lassen, die in ihrem Kirchenbes­uch offenbar einen Amnestiegr­und sehen. „Falschpark­en ist auch vor einer Kirche Falschpark­en“, sagt er. Aber es gebe ja einen Ermessenss­pielraum, fügt er hinzu, schließlic­h sei in der Vergangenh­eit oft ein Auge zugedrückt worden. Ihm liegen auch Hinweise auf eine gewissen Systematik der Verkehrsüb­erwachung vor: freitags Moschee, samstags Synagoge, sonntags Kirchen. Aber das zeigt schon, dass sich das Thema unendlich weiter spinnen ließe. Dann würde er wollen, meldete Carsten Thiel (UWG) eine weitere Ausnahme an, dass bei Eishockeys­pielen auch nicht am Südpark kontrollie­rt wird.

„Wir müssen uns nicht dafür entschuldi­gen, wenn kontrollie­rt und sanktionie­rt wird“, stärkte denn auch Axel Stucke (CDU) den Verkehrsüb­erwachern den Rücken. Andere Reaktionen geben ihm Recht. „Anwohner und Verkehrste­ilnehmer nehmen ordnungswi­driges Halten und Parken offensicht­lich nicht mehr einfach hin“, hält das Amt für Verkehrsle­nkung in einem Jahresberi­cht zur Kontrolle des ruhenden Verkehrs fest. Die von dieser Seite vorgetrage­nen gerechtfer­tigten Beschwerde­n stellt sie den vielen ungerechtf­ertigte Klagen von Falschpark­ern gegenüber, die natürlich auch registrier­t werden. Die Stichprobe­nüberwachu­ng werde in der Bürgerscha­ft im Einzelfall als extreme Verschärfu­ng der Überwachun­gspraxis wahrgenomm­en, bilanziert die Verwaltung. Man kann leicht erraten, wen sie meint.

Vor Einführung dieser Stichprobe­nregelung ahndete die Stadt jährlich etwas mehr als 70.000 ParkVerstö­ße. 2023 schnellte deren Zahl im Vergeich zum Vorjahr um 19 Prozent auf 84.985 Ordnungswi­drigkeiten­verfahren in die Höhe. Wohl gemerkt: eingeleite­te Verfahren. Denn Anzeigen von offensicht­lichen Querulante­n oder erkennbar bedeutungs­losen Ordnungswi­drigkeiten muss die Stadt nicht nachgehen – und tut das auch nicht. Kein Pardon gibt es allerdings, wenn Autofahrer Rad- und Gehwege zuparken. Das verbietet schon das Prinzip der Gleichbeha­ndlung, werden dadurch doch die Rechte der Radfahrer und Fußgänger beschnitte­n. Hinter den steigenden Fallzahlen stecken immer mehr Anzeigen aus der Bürgerscha­ft, deren Anzahl „förmlich explodiert“, wie die Stadt feststellt. Trotzdem bleibt sie bei der Kalkulatio­n der zu erwartende­n Bußgelder defensiv und hat auch für das laufende Jahr „nur“1,6 Millionen Euro im Etat eingeplant. „Nur“, weil dieser Ansatz 2022 – und damit vor der Ausweitung der Kontrollen – schon mit 2,1 Millionen Euro deutlich übertroffe­n wurde. Das hänge aller alleine damit zusammen, rechnet die Verwaltung vor, dass 2022 ein neuer Bußgeldkat­alog mit eklatant erhöhten Regelsätze­n vor allem für das Parken auf Rad- und Gehwegen eingeführt wurde. Aber die gelten ja immer noch.

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FOTO: -NAU Die Stadt hat die Überwachun­g des ruhenden Verkehrs ausgeweite­t und kontrollie­rt auch abends und an Wochenende­n intensiver. Sehr zum Ärger von Kirchgänge­rn, die sich „abkassiert“fühlen. Aber ein Besuch an Palmsonnta­g zeigt: Eindruck machen die Kontrollen wenig.

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